Erklärbar dennoch, dass sich neben Erleichterung auch Wehmut in den Rückblick mischt. Seit mehr als 38 Jahren versteht sich Jilge „als akademischer Dienstleister, Organisator und Ausbilder“ an der Universität Ulm. Und die Aufgabe, von der er sich Ende des Monats verabschieden wird, hat er stets auch gelebt. Sie ist fraglos eine der schwierigeren, die die Uni zu vergeben hat: Professor Jilge leitet seit 1996 das Tierforschungszentrum, nicht nur in Ulm eine Einrichtung im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.
Wobei sich die Spannung hier nie in gewalttätigen Aktionen entladen hat. „Ich bin stolz darauf, dass wir im Gegensatz zu anderen Orten Angriffe immer verhindern konnten“, betont der 1987 habilitierte Tiermediziner, macht kein Hehl daraus, dass er selbst zur Deeskalation entscheidend beigetragen hat. Mit Transparenz, Reden und Überzeugen vor allem. Er hat Tierversuchsgegner eingeladen, mitunter sogar zu Kongressen, und er hat bei Podiumsdiskussionen argumentiert. Dennoch: „Für die wissenschaftliche Forschung sind Tierversuche nach wie vor unentbehrlich“, ist er überzeugt, „Simulationen am Rechner keine Alternative“. Fast alle Meilensteine der Medizinforschung basierten auf Experimenten am Tier, weiß der Wissenschaftler, „ohne sie gäbe es kein künstliches Gelenk, keine Herztransplantation und keine Computertomographie“, Auch alle wichtigen Schutzimpfungen seien am Tier entwickelt worden, Tollwut, Wundstarrkrampf und Kinderlähmung unter anderem. Das schließe Veränderungen in der tierexperimentellen Forschung nicht aus. Wie in der Vergangenheit. „Von 1971 bis 1993 hatten wir fast ausschließlich Großtiere“, erinnert sich Jilge, Schafe, Ziegen, Schweine, Hunde und Katzen. Seither dominieren transgene Mäuse.
Keine Frage, dass sich damit auch die Anforderungen an ihn und sein rund 50köpfiges Team „gewaltig verändert“ hätten, „größtenteils selbst ausgebildet und fachlich sehr qualifiziert“. Früher häufig bei Operationen an Großtieren gefragt stünden heute seine Aufgaben als Tierschutzbeauftragter und Ausbilder im Vordergrund. „Viel Schreibtischarbeit, aber sehr spannend.“ Viel aus der Humanmedizin habe er inzwischen gelernt, schmunzelt Professor Jilge, von den Neurowissenschaften bis zu Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse. Nicht überraschend freilich, „geht doch jedes Versuchsvorhaben mit tierexperimenteller Forschung über unsere Schreibtische“.
Zwei Mal im Jahr ist er mit seinem Team gar bundesweit gefragt. Bei den versuchstierkundlichen Blockkursen nämlich, eine Kombination aus Vorlesungen und praktischer Arbeit, zwei Wochen lang, seit Jahren als erstes Angebot dieser Art in Deutschland akkreditiert, Jilge zufolge ein Alleinstellungsmerkmal der Uni Ulm. Und regelmäßig ausgebucht. „Die Interessenten rennen uns die Bude ein“, so der Kursleiter, darunter neben Medizinstudenten und Technischen Angestellten nicht wenige Postgraduierte und Professoren. „Auch namhafte“, wie der Wissenschaftler mit einer Ausbildungsermächtigung als Fachtierarzt für Versuchstierkunde anmerkt, akkreditiert überdies von der ECLAM (European College of Laboratory Animal Medicine).
Naheliegend, dass angesichts dieser Aktivitäten, neben seinem Lehrdeputat versteht sich, zuletzt eigene Forschung zurückstehen musste. „Dabei habe ich früher viel geforscht“, erinnert sich Professor Jilge, vor allem über die Ontogenese der Circadianperiodik des Kaninchens, der inneren Uhr als Steuerung der Tagesperiodik und aller Körperfunktionen, „von uns bis zu den Jahren 2002/2003 chronobiologisch definiert“. Das sei zuvor so nicht bekannt gewesen. „Ferner haben wir die Körperkerntemperatur am Kaninchen telemetrisch gemessen und dabei den fütterungssynchronisierbaren Circadianoszillator entdeckt, inzwischen in Biologiebüchern verankertes Gemeinwissen.“
Fest verankert wie die Versuchstierkunde als Fach im Bachelorstudiengang Molekulare Medizin. Daraus wird sich Professor Burghart Jilge zurückziehen. Seine Aufgaben als Mitglied der Bundestierschutzkommission sowie im Landestierschutzbeirat Baden-Württemberg indes wird er bis 2011 weiter wahrnehmen. „So wird es wohl ein fließender Übergang in den Ruhestand“, vermutet der Wissenschaftler, der in Göppingen aufgewachsen ist und in Gießen und München studiert hat. Künftig aber werde es ihn wohl öfter in den Süden ziehen, in das Dorf hoch über dem Ligurischen Meer, zum Filmen, Fotografieren, Lesen und Kochen. Seine ganz große Leidenschaft nicht zu vergessen: Das Laufen, sieben bis acht Stunden pro Woche im Normalfall und ab und an auch einen Marathon, durchaus mal in der Ultra- oder hochalpinen Version.
Weitere Informationen: Prof. Dr. Burghart Jilge, Tel. 0731/50-25590