Ein Ulmer Doktorand hat eine Projektionstechnik entwickelt, mit der die ganze Welt zum Display wird. Der Projektor wirft Informationen wahlweise auf den Boden oder in die Handinnenfläche des Nutzers. So kann er Nachrichten per Handgeste bearbeiten ohne zum Smartphone zu greifen oder sich durch Städte navigieren lassen. Der Projektor ist mit einem Smartphone oder Laptop verbunden, eine spezielle Brille ist nicht nötig.
Ein heller Pfeil auf dem Boden weist Christian Winkler den Weg durch das Forschungsgebäude der Uni Ulm. Hier wird der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Medieninformatik seinen Projektor AMP-D vorführen. Aber zunächst hebt er eine Infobox auf, die an der Treppe auf ihn wartet. „Akku aufladen nicht vergessen“, mahnt die darin enthaltene Nachricht.
Was wie eine Zukunftsvision klingt, ist für die Forschergruppe um Winkler längst Realität: Ein Projektor, der mit einem mobilen Endgerät verbunden ist, wirft Informationen zum Beispiel auf den Fußboden oder in die Handinnenfläche des Nutzers. Kurzum: Ein Fenster in die digitale Welt öffnet sich. „Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig. Der Benutzer kann Nachrichten bearbeiten ohne sein Smartphone zu zücken, die Navigationshilfe lotst ihn durch fremde Straßenzüge und auf der Shoppingmeile erhält er personalisierte Werbung“, erläutert Christian Winkler. Darüber hinaus lassen sich zum Beispiel virtuelle Einkaufslisten im Supermarkt oder der Geburtstagsgruß für Freunde auf der Türschwelle hinterlegen. Die Adressaten „stolpern“ also am vorgesehenen Ort über die Nachricht.
Die Fachwelt hat der Hardware-Entwickler bereits überzeugt: Im Vorfeld der „ACM CHI Conference on Human Factors in Computing Systems“ (CHI) ist das Paper zur Projektionstechnik unter die fünf Prozent besten Beiträge gewählt worden.
Nächstes Ziel: Miniaturisierung
Zugegeben: Der Prototyp „Ambient Mobile Pervasive Display“ (AMP-D) ist noch ziemlich sperrig und wiegt insgesamt rund sieben Kilogramm. Hauptsächlich verantwortlich für das Gewicht ist ein Rucksack, den Christian Winkler zur Demonstration umgeschnallt hat, und aus dem der Projektor an einer Teleskopstange über seine Schulter ragt. Damit verbunden sind eine Tiefenkamera und ein Orientierungssensor, die Bewegungen des Nutzers erfassen. Eine Servosteuerung sorgt dafür, dass der Projektor auf den Boden oder in die Handinnenfläche fokussiert. Daten werden aktuell noch von einem Laptop eingespeist, der in absehbarer Zeit jedoch durch ein Smartphone ersetzt wird. Christian Winklers Ziel ist ein Projektor, der zum Beispiel in eine Brosche oder Halskette integriert werden kann. Einmal mit dem Smartphone verbunden, könnte der Spaziergang durch die digital angereicherte Umwelt beginnen – und das ganz ohne schweren Rucksack. Bis entsprechend kleine Lichtwerfer, die auch bei Tageslicht gut funktionieren, auf dem Markt sind, wird es noch dauern. Doch schon jetzt sind die Fähigkeiten von AMP-D erstaunlich: Per Handgeste können Nutzer mit dem System interagieren, also etwa Nachrichten „aufheben“ und nach dem Lesen über die Schulter werfen.
Dabei kommt die Privatsphäre nicht zu kurz: Persönliche Informationen werden in die Handfläche projiziert, Allgemeines auf den Boden.
Der Informatiker Winkler hat die Projektionstechnik im Zuge seiner Doktorarbeit am Institut für Medieninformatik entwickelt. „Mir ist aufgefallen, dass Displays immer größer werden und die Leute mehr und mehr mobile Endgeräte bei sich haben. Also habe ich mir gedacht: Warum nutzen wir unsere Umwelt nicht als ständig verfügbare Projektionsfläche und entkoppeln die Größe eines Geräts von der des Displays?“, erläutert der 31-Jährige.
Bei der Entwicklung des Prototyps ist Winkler von Professor Enrico Rukzio und den wissenschaftlichen Mitarbeitern Julian Seifert sowie David Dobbelstein unterstützt worden. Im April werden sie AMP-D bei der Konferenz CHI in Toronto vorstellen. Das ist die wichtigste Tagung im Bereich Mensch-Maschine-Interaktion.
Verantwortlich: Annika Bingmann