Moderne Fahrerassistenzsysteme sorgen im Straßenverkehr für mehr Sicherheit und Bequemlichkeit. Ob mit automatischer Einparkhilfe, Abstandskontrolle oder Müdigkeitserkennung, die einzelnen Systeme sind technisch bereits sehr ausgereift. Doch noch immer gibt es für die Entwickler so manche Tücken auszumerzen, und zwar nicht nur technische. Denn der Mensch fährt immer mit. Für das langfristige Ziel der Forscher - das sogenannte autonome, also führerlose Fahren - gilt dies ganz besonders.
"Gerade ältere Menschen könnten von selbststeuernden Fahrzeugen sehr profitieren. Vorausgesetzt die hochautomatisierte Technik überfordert die Senioren nicht", so Professor Martin Baumann vom Institut für Psychologie und Pädagogik der Universität Ulm. Der technikaffine Psychologe ist seit 2014 Professor für "Human Factors" und forscht zu den psychologischen Grundlagen des Autofahrens.
Eines seiner neuen Forschungsprojekte, das er zusammen mit Dr. Nicola Fricke aus seiner Abteilung bearbeitet, widmet sich den spezifischen Problemen von älteren Autofahrerinnen und -fahrern. "Eine typische Unfallsituation im Alter ist das Linksabbiegen an einer unübersichtlichen Kreuzung", erklärt der 45-jährige. Zwar wird der Erfahrungsschatz des Menschen im Laufe seines Lebens immer größer, seine kognitive Leistungsfähigkeit hingegen nimmt altersbedingt ab. "Vor allem im Stadtverkehr mit seiner Fülle an komplexen Situationen sind Senioren bisweilen überfordert", meint Baumann. Die Technik kann hier nur unterstützen, wenn sie für den Nutzer beherrschbar ist und eine gewisse Akzeptanz erfährt.
Informationen über den Systemzustand stärken das Vertrauen
Für den Wissenschaftler besteht die Herausforderung konkret darin, für ein gewisses Maß an Systemtransparenz zu sorgen, damit der Mensch ausreichend Vertrauen aufbauen kann. Er sollte der Technik aber auch nicht blind vertrauen: "Gerade in komplexen Situationen stoßen auch autonome Systeme an ihre Grenzen. Dann muss der `Fahrer´ eingreifen und das Steuer übernehmen", sagt der Wissenschaftler, der über das interdisziplinäre Forschungszentrum für kooperative, hochautomatisierte Fahrerassistenzsysteme und Fahrfunktionen F3 eng mit Ingenieuren, Informatikern und Psychologen der Uni Ulm zusammenarbeitet. Auf dem Gebiet der Fahrer-Fahrzeug-Interaktion sorgt die Human-Factors-Forschung dafür, dass die Technik möglichst sinnvoll eingesetzt wird und sich an den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Nutzer orientiert. "Sie hat zudem den Auftrag, die spezifischen Fähigkeiten des Menschen optimal zu nutzen", ergänzt der gebürtige Regensburger, der vor seiner Promotion an der TU Chemnitz in seiner Heimatstadt Psychologie studiert hat.
"Als soziales Wesen ist der Mensch ein Meister der Interaktion und Kooperation", so der Kognitionspsychologe, zu dessen Forschungsschwerpunkten nicht nur Fahrerassistenzsysteme und Mensch-Maschine-Interaktion gehören, sondern auch ganz allgemeine kognitive Verstehensprozesse zur Urteilsbildung oder Problemlösung. Wissenschaftler wie Professor Martin Baumann arbeiten nun daran, das partnerschaftliche Miteinander im Straßenverkehr zu befördern, also in einem Bereich, den viele Autofahrer bisweilen eher als Kampfzone erleben. "Kooperatives Fahren" nennt sich dieses Forschungsfeld. Die Idee: Über die Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation soll kooperatives Verhalten auf Autobahnen, Landstraßen und im Stadtverkehr mit technischen Mitteln herbeigeführt werden. Ein Beispiel: Auf einer zweispurigen Autobahn möchte ein PKW einen langsam fahrenden LKW überholen. "Ein kooperatives System würde hier dafür sorgen, dass nachfolgende PKW frühzeitig abbremsen, um Spurwechslern das Einscheren zu erleichtern. So lassen sich massive Kettenbremseffekte und bei dichtem Verkehr die Entstehung von Staus verhindern", erläutert Baumann. Kooperative Systeme würden damit nicht nur die Sicherheit erhöhen, sondern zusätzlich beim Spritsparen helfen.
Welche Nebentätigkeiten sind beim Autofahren besonders gefährlich?
Ein weiteres Forschungsgebiet von Baumann ist die Gefahrenwahrnehmung und Aufmerksamkeitsforschung. Der Kognitionspsychologie ist prinzipiell skeptisch, ob sich Ablenkung beim Fahren über einen längeren Zeitraum überhaupt vermeiden lässt. "Wir möchten mit unserer Forschung herausfinden, welche Nebentätigkeiten beim Autofahren besonders gefährlich sind, und über welche kausalen Zusammenhänge diese die Aufmerksamkeit der Fahrer vermindern", informiert der Wissenschaftler, der in seiner Zeit als Postdoc beim Bundesamt für Straßenwesen das Ablenkungspotential von tragbaren Geräten in Fahrzeugen untersucht hat.
Für seine Forschung nutzt Baumann einen Simulator, den die Ulmer Informatikprofessoren Enrico Rukzio und Frank Kargl entwickelt haben. Mit dieser Apparatur kann beispielsweise die Ablenkungswirkung von Nebenaufgaben beim Fahrspurwechsel untersucht werden. Über ein gesondertes Eye-Tracking-System, das Blickbewegungen erfasst, lässt sich zudem genau verfolgen, was die Aufmerksamkeit der Versuchsperson gerade fesselt. Übrigens: nicht nur das Telefonieren oder Schreiben von Textnachrichten lenkt Fahrerinnen und Fahrer ab. Dazu reicht es bereits, intensiv über ein Problem nachzudenken, sei es ein privates oder ein wissenschaftliches. Martin Baumann grübelt seit geraumer Zeit darüber, welche Experimente er in Zukunft machen wird, wenn sein "Fahrsimulator" endlich in Betrieb genommen werden kann, den er bei der DFG beantragt hat. Aber natürlich nicht, wenn er selbst am Steuer sitzt.
Fotos: Eberhardt/kiz (1,2), Philipp Hoch (3), Felix Wagner (4)
Text: Andrea Weber-Tuckermann