Facebook, Smartphone, E-Mails und Sensordaten…Täglich wächst der Datenberg und wir alle tragen dazu bei – ob als Privatperson oder als Arbeitnehmer. „Big Data“ ist eine große Chance für Unternehmen, stellt IT-Verantwortliche und Datenschützer aber gleichzeitig vor enorme Herausforderungen. Professor Manfred Reichert, seit dem 1. Oktober Direktor des Instituts für Datenbanken und Informationssysteme, erklärt, was sich hinter dem Schlagwort „Big Data“ verbirgt, und wie Unternehmen den wachsenden Datenberg sinnvoll nutzen können.
Herr Professor Reichert, der Begriff Big Data ist auch in Publikumsmedien präsent. Was versteht man eigentlich unter diesem Schlagwort?
Reichert: „Die grenzenlose Digitalisierung fast aller Lebensbereiche führt dazu, dass sich das Datenvolumen mittlerweile alle zwei Jahre verdoppelt. Tendenz steigend. Rund 60 Prozent der Daten werden von Privatpersonen erzeugt – durch soziale Netzwerke, die Nutzung von Smartphones und nicht zuletzt 200 Millionen E-Mails, die pro Minute verschickt werden.
Aber auch in Unternehmen liegen immer mehr Daten zu Kunden, Produkten, Dienstleistungen und Abläufen vor. Dazu kommen Millionen automatisch produzierter Datensätze von Maschinen, Fahrzeugen und Geräten, die heute selbstverständlich mit Sensoren ausgestattet sind. Diese riesige, rasant wachsende Datenmenge, Big Data, ist vielfach unstrukturiert. Es bedarf daher Methoden und Technologien für die Erfassung dieser Daten, ihre Speicherung und vor allem für ihre intelligente Analyse – möglichst in Echtzeit. Auch das verbirgt sich hinter dem Begriff Big Data.“
Wie können Unternehmen von Big Data profitieren und inwiefern müssen sie technisch aufrüsten?
Reichert: „ Das amerikanische IT-Marktforschungsinstitut Gartner hat Big Data als Öl des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Kein schlechter Vergleich, denn genau wie Rohöl haben die Datenberge zunächst keinen Wert, sie müssen zuerst weiterverarbeitet werden. Ein Unternehmen, das seine Daten intelligent auswertet und betriebliche Prozesse entsprechend optimiert, ist seinen Mitbewerbern deutlich voraus. Werden zum Beispiel Datensätze aus Maschinenparks permanent analysiert, können Probleme in Echtzeit erkannt, die Reparatur und Instandhaltung effizient organisiert werden. Eine intelligente Datenanalyse erlaubt es Unternehmen zudem, auf individuelle Gegebenheiten beim Kunden einzugehen oder etwa die Lagerhaltung der aktuellen Produktnachfrage entsprechend zu optimieren. Kurzum: Es kommt darauf an, Big Data in die Verbesserung der gesamten Wertschöpfungskette einfließen zu lassen.
Für eine effiziente Verarbeitung der Datenmassen sind dann sowohl leistungsstarke Rechner mit mehreren, parallel arbeitenden Prozessoren nötig als auch leistungsfähige Software. Meiner Meinung nach wird Big Data für Unternehmen vergleichbare Veränderungen mit sich bringen, wie das Aufkommen des Internets Ende der 1990er-Jahre.“
Spätestens seit der NSA-Affäre, Sicherheitslücken und Betrugsfällen im Netz ist das Bewusstsein für Datenschutz auch bei Privatpersonen gestiegen. Wie ist Datenschutz in Zeiten von Big Data möglich?
Reichert: „Datenschutz und -sicherheit sind im Kontext von Big Data große Herausforderungen, aber es gibt natürlich auch Möglichkeiten, ihnen zu begegnen, etwa mit Verschlüsselungstechniken.
In Unternehmen brauchen wir in Zukunft jedoch nicht nur Datenschutzbeauftragte, sondern ,Data Scientists‘. Diese Informatiker sollten in der Lage sein, Datenschutz in die Prozesse rund um Big Data einzubringen, aber auch die Erfassung, Analyse und Nutzung dieser Daten zu bewerkstelligen. Generell muss in Unternehmen stets überlegt werden, wie man verantwortungsvoll und im Sinne der Kunden mit Informationen umgehen kann.“
Inwiefern wird an der Uni Ulm zu Big Data geforscht? Und wie bereiten Sie angehende Informatikerinnen und Informatiker auf ihre Arbeit mit der Datenflut vor?
Reichert: „Meine Arbeitsgruppe beschäftigt sich neben Datenbankensystemen vor allem mit Technologien für die effiziente und flexible Steuerung von Unternehmensprozessen. Wie können diese inner- und zwischenbetrieblichen Prozesse erfasst, dokumentiert, analysiert, automatisiert und kontinuierlich an Änderungen in der Umgebung angepasst werden? Dabei spielt Big Data natürlich eine Rolle. Denn nur wer diese Datenmengen versteht, ist auch in der Lage, seine Prozesse optimal zu gestalten.
An unserem Institut läuft zudem das Berufungsverfahren für eine Professur mit dem Schwerpunkt Big Data. Allerdings kann das umfassende Forschungsfeld Data Science keineswegs von einem Institut abgedeckt werden – hierzu tragen verschiedene Disziplinen der Informatik bei.
Interdisziplinarität ist auch in der Ausbildung der Studierenden wichtig. Die Informatiker von morgen sollen nicht nur Methoden und Technologien erlernen, sondern auch den verantwortungsvollen Umgang mit Daten. Aber vor allem müssen sie einen Blick fürs Ganze bekommen und Daten in Verbindung mit Unternehmensprozessen sehen – sonst wird aus Big Data ganz schnell Big Blabla.“
Zum Hintergrund
Big Data war Anfang September Thema der „18. Internationalen IEEE EDOC-Konferenz“ an der Universität Ulm.
Zur Person
Professor Manfred Reichert (49) ist ein „Eigengewächs“ der Universität Ulm: Der gebürtige Ulmer studierte Wirtschaftsmathematik auf dem Eselsberg und promovierte anschließend in der Informatik bei Professor Peter Dadam („Dynamische Ablaufänderungen in Workflow-Management-Systemen“). Nach einem dreijährigen Auslandsaufenthalt als „Associate Professor“ an der Universität Twente in den Niederlanden nahm er 2008 den Ruf an seine Alma Mater, die Universität Ulm, an.
Als Professor am Institut für Datenbanken und Informationssysteme forscht Reichert zu neuartigen Technologien für das Prozessmanagement (Business Process Management, Adaptive Prozesse, Mobile Prozesse und Wissensintensive Prozesse). Gemeinsam mit seinem Doktorvater hat er das führende adaptive Prozessmanagementsystem „ADEPT“ entwickelt und in die Praxis getragen. Zum Wintersemester übernimmt Professor Manfred Reichert, der im Bereich Business Process Management zu den weltweit renommiertesten und meist zitierten Wissenschaftlern zählt, die Institutsleitung von Professor Dadam. Für Uniangehörige interessant: Kürzlich wurde Reichert zum Studiendekan für die Informatik gewählt.
Mit Prof. Reichert gesprochen hat Annika Bingmann