Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Ulm ist es erstmals gelungen, Beta-Amyloid-Fibrillen aus dem menschlichen Gehirn zu isolieren und zu untersuchen. Diese Eiweißfasern stehen im Verdacht, die Alzheimer-Krankheit sowie die Zerebrale Amyloid-Angiopathie mit auszulösen. Veröffentlicht wurde die Studie, an der auch Forschende aus Tübingen, Halle und San Diego beteiligt waren, im Fachjournal Nature Communications.
Dass Morbus Alzheimer mit Proteinablagerungen im Gehirn einhergeht, ist seit vielen Jahren bekannt. Unter Alzheimer-Forschern gelten dabei zwei Proteine, Tau und Beta-Amyloid, als besonders krankheitsverursachend. Diese Eiweiße bilden lange Molekülketten, sogenannte Fibrillen, die sich als Faserklumpen im Gehirn ansammeln. Die genaue Ursache, warum sich körpereigene Proteine krankhaft entwickeln und zu degenerativen Veränderungen des Gehirns führen, ist noch nicht bekannt.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Ulm ist es jedoch erstmals gelungen, Beta-Amyloid-Fibrillen aus Gewebeproben erkrankter Menschen zu extrahieren und präzise darzustellen. Die Überraschung dabei: die Fasern unterscheiden sich sehr deutlich von den bisher zur Forschung genutzten, synthetisch erzeugten Fibrillen. „Unsere Hauptergebnisse sind, dass wir die Struktur von Beta-Amyloid sichtbar machen konnten, und dass sie sich fundamental von bisherigen Annahmen unterscheidet“, erklärt Professor Marcus Fändrich, Leiter des Instituts für Proteinbiochemie der Universität Ulm. Zum einen sind die einzelnen Peptide, aus denen sich die Fibrillen zusammensetzen, anders gestaltet als die Exemplare aus dem Reagenzglas, zum anderen sind die nun untersuchten Fibrillen in sich völlig anders verdrillt als die synthetischen Exemplare. „Das ist eine grundsätzlich andere Eigenschaft, die wir so nicht erwartet hatten“, sagt Fändrich.
Eine große Herausforderung war es, die Amyloid-Fibrillen aus dem Gewebe zu lösen und aufzureinigen
Für ihre Studie untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Gewebeproben dreier Patienten, in denen sie die gleichen Strukturen fanden. Diesem Forschungsergebnis gingen mehr als vier Jahren intensiver Arbeit voraus. Zunächst stand das durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Tübingen, Halle (Saale) und San Diego ergänzte Ulmer Team vor der Herausforderung, die Beta-Amyloid-Fibrillen aus den Gewebeproben zu lösen und in vielen Arbeitsschritten aufzureinigen. Bei der Betrachtung unter dem Kryo-Elektronenmikroskop wiesen die Fibrillen zudem zahlreiche unterschiedliche Subtypen auf, was die Auswertung weiter erschwerte.
Der Entschlüsselung der Ursachen von Alzheimer-Erkrankungen sind die Ulmer Forscherinnen und Forscher damit womöglich einen Schritt näher gekommen. Eine der krankheitsverursachenden Strukturen, die Beta-Amyloid im Gehirn annehmen kann, sei nun viel genauer bekannt. „Die Wissenschaft wird jetzt im Reagenzglas Bedingungen finden müssen, die diese Strukturen hervorrufen“, erklärt Fändrich. Auf Basis dieser Beta-Amyloid-Strukturen könnten weitergehende Untersuchungen folgen. Außerdem müsse sich erweisen, ob die Informationen über die Beta-Amyloid-Struktur für die Entwicklung von pharmazeutischen Wirkstoffen genutzt werden könnten. In der Fachwelt hat die jüngste Nachricht aus Ulm bereits für ein beträchtliches Echo gesorgt.
Veröffentlichungshinweis:
Cryo-EM structure and polymorphism of Aβ amyloid fibrils purified from Alzheimer’s brain tissue. Marius Kollmer, William Close, Leonie Funk, Jay Rasmussen, Aref Bsoul, Angelika Schierhorn, Matthias Schmidt, Christina J. Sigurdson, Mathias Jucker & Marcus Fändrich; Nature Communications volume 10, Article number: 4760 (2019), published 29 October 2019, https://doi.org/10.1038/s41467-019-12683-8
Text: Jens Eber
Medienkontakt: Andrea Weber-Tuckermann