„Drehkreuz“ für Elektronen
Eine ultimative Miniaturisierung eröffnet neue Anwendungen

Universität Ulm

Wo liegen die Grenzen der Miniaturisierung? Zumindest für die Erzeugung von elektrischem Strom haben Forschende aus Stuttgart, Ulm und Madrid diese Frage beantwortet. Mithilfe eines Rastertunnelmikroskops ist es ihnen gelungen, zwei Energieniveaus auf atomarer Skala zu koppeln: Der so entstandene Kontakt kann nur von einem einzelnen Elektron nach dem anderen passiert werden. Wird eine Komponente dieses minimalen Aufbaus entfernt, versiegt der Stromfluss sofort. Die Forschungsergebnisse, mit denen integrierte Schaltungen oder künftige Quantencomputer optimiert werden könnten, sind in der renommierten Fachzeitschrift „Nature Physics“ erschienen.

Naturwissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung Stuttgart, der Universität Ulm und der Autonomen Universität Madrid erkunden die Grenzen der Nanowelt. Im Mittelpunkt ihrer kürzlich in Nature Physics veröffentlichten Publikation zwischen Theorie und Experiment steht der elektrische Strom. Fließt dieser durch ein Kabel, verhalten sich die Elektronen wie eine homogene Flüssigkeit. Mithilfe eines Rastertunnelmikroskops (Nobelpreis 1986)  kann ein solcher Stromkanal jedoch bis an die atomare Grenze eingeschränkt werden. Dazu wird die Mikroskop-Spitze, an deren Ende sich nur ein Atom befindet, mit einem minimalen Abstand von wenigen Angstrøm über einer Probenoberfläche platziert. Somit sind die Elektronen gezwungen, durch die entstandene Vakuumbarriere zu „tunneln“. Dieser „Tunneleffekt“ ist ein quantenmechanisches Phänomen: Dahinter verbirgt sich die Fähigkeit, eine Barriere zu durchdringen, ohne genug Energie für die Überwindung dieses Hindernisses zu haben. Wird der beschriebene Rastertunnelmikroskop-Aufbau bis nahe an den absoluten Nullpunkt gekühlt, zeigt sich die Quantisierung der elektrischen Ladung allerdings nur indirekt. Der Strom fließt trotzdem homogen weiter – ohne dass einzelne Elektronen identifiziert werden können.

Einzigartiger, reduzierter Aufbau

Für eine solche „Elektronen-Vereinzelung“ muss der bis dato genutzte „Tunnelkontakt“ durch eine Art Drehtür ersetzt werden. Um ein solches Drehkreuz zu realisieren, dürfen den  Elektronen allerdings nicht etliche verschiedene Energieniveaus für das „Tunneln“ zur Verfügung stehen. „Am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung ist es uns innerhalb einer kleinen Energielücke gelungen, ein einziges Niveau herzustellen – sowohl an der Spitze als auch an der Probe“, so Haonan Huang, Experte für das eingesetzte Millikelvin-Rastertunnelmikroskop, das auf bis zu -273 °C abkühlt.
Gibt es nur ein einziges Energieniveau, müssen die Elektronen tatsächlich einzeln die Barriere passieren. Erstaunlicherweise funktioniert der Ladungstransport dennoch effektiv und mit reduzierten Energieverlusten. „Dank dieses einzigartigen, auf seine elementaren Bestandteile reduzierten Aufbaus, können wir uns erstmals auf die fundamentalsten Aspekte des Tunnelns konzentrieren – eine große Chance“, sagt Christian Ast, Leiter der Gruppe mK-Rastertunnelmikroskop am Max-Planck-Institut. Auf längere Sicht könnte die Elektronen-Vereinzelung auf integrierte Schaltungen übertragen werden und den Weg zu einer energieeffizienten Elektronik ebnen.

Theoretische Erklärung aus Ulm

Versuchsaufbau sowie Probenpräparation waren aufwändig und die Bedingungen im akustisch wie elektromagnetisch isolierten Präzisionslabor extrem. Trotzdem ist die theoretische Erklärung der Forschungsergebnisse durch die Universität Ulm erstaunlich einfach: „An diesem minimalen Aufbau ist die fast vollständige Isolation von der Umgebung bemerkenswert. Diese wird durch Symmetrie erzwungen, ist daher enorm robust, und kann als einfaches Zwei Niveau-System beschrieben werden“, erklärt Professor Joachim Ankerhold, Direktor des Instituts für Komplexe Quantensysteme der Universität Ulm. Die beschriebene Isolation prädestiniert das miniaturisierte System für die Verwendung als Qubit – so werden elementare Bausteine eines Quantencomputers bezeichnet. Weitere Anwendungen umfassen zum Beispiel den Einsatz als Sensor, um die Wechselwirkung mit exotischen Materiezuständen zu erforschen.

Insgesamt haben die Forschenden den Prozess des elektrischen Stromflusses und insbesondere den „Tunnelprozess“ auf das unbedingt Wesentliche reduziert. Darüber hinaus konnten sie grundlegende Mechanismen und Bausteine für neue Anwendungen identifizieren – von den Materialwissenschaften bis hin zur Informationstechnologie. „Die nun publizierten Resultate stellen den Anfang dar, um mit Hilfe der Funktionalisierung durch Einzelatome die Möglichkeiten der Rastertunnel-Mikroskopie in neue Dimensionen zu entwickeln“, resümiert der Ulmer Quantenphysiker Professor Joachim Ankerhold.

Die erfolgreiche Kooperation der Stuttgarter und Ulmer Gruppen ist eingebettet in die vielfältigen Aktivitäten des Zentrums „Integrated Quantum Science and Technology“  (IQST),  in dem Ulmer und Stuttgarter Forschende ihre Kompetenzen bündeln.

H. Huang, C. Padurariu, J. Senkpiel, R. Drost, A.L. Yeyati, J.C. Cuevas, B. Kubala, J. Ankerhold, K. Kern, C.R. Ast. Tunneling dynamics between superconducting bound states at the atomic limit. Nature Physics 16, 1227-1231 (2020)

Text: MPI Festkörperforschung/ab


Schematische Darstellung des Aufbaus zur Elektronen-Vereinzelung
Schematische Darstellung des Aufbaus zur Elektronen-Vereinzelung (Graphik Urheber: Dr. C. Ast, MPI Festkörperforschung)
Prof. Joachim Ankerhold
Prof. Joachim Ankerhold, Direktor des Instituts für Komplexe Quantensysteme (Foto: Elvira Eberhardt/Uni Ulm)