Welleneigenschaften von Elektronen


Nachdem Robert Millikan 1911 die Ladung des Elektrons bestimmte, konnte bald auch seine Ruhemasse gemessen werden. Zahlreiche Experimente mit Elektronenstrahlen wie Ablenkung im elektrischen und magnetischen Feld sprachen für die korpuskulare (zu lat. corpusculum: "Teilchen") Natur der Elektronen. Im Bild rechts sehen wir eine Aufnahme von Elektronenspuren in einer Blasenkammer. Selbst das Vorhandensein solcher Spuren deutet auf die Teilchennatur der Elektronen hin. Durch das äußere Magnetfeld sind hier, wie mit allen geladenen Teilchen, spiralförmige Bahnen entstanden.

In den vorangehenden Kapiteln haben wir erfahren, dass Licht je nach Versuchsbedingungen sowohl Wellen- als auch Teilcheneigenschaften aufweist.

Warum sollten dann nicht aus Symmetriegründen bewegte Materieteilchen, d.h. massebehaftete Objekte wie Elektronen, umgekehrt auch Welleneigenschaften zeigen?

Louis de Broglie stellte 1923 als Erster in seiner Doktorarbeit eine Wellentheorie von Teilchen auf. Die Experimente mit Licht lieferten uns zwei folgende Beziehungen zwischen den Teilchengrößen E, p und den Wellengrößen , :

De Broglie vermutete, dass dieser Zusammenhang nicht nur für Photonen, sondern auch für Elektronen und andere materielle Teilchen zutrifft:

Hypothese von de Broglie:

  1. Zu jedem bewegten Teilchen gehört eine Welle mit Wellenlänge  = h / p .

  2. Zwischen der Frequenz der Welle und der Energie E des Teilchens gilt die Beziehung  .

Für einen experimentellen Nachweis seiner "Materiewellen" schlug de Broglie vor: Wenn ein Teilchenstrahl eine sehr kleine Öffnung durchquert, dann sollten Beugungserscheinungen auftreten. Die Breite dieser Öffnung ist von entscheidender Bedeutung. Denn die Beugung und gleichzeitig auch die Interferenz am Spalt werden bei Wellenvorgängen erst dann merklich, wenn der Durchmesser des Spaltes etwas größer als die Wellenlänge ist. (Für den Beugungswinkel des ersten Nebenmaximums gilt: sin = /d   d   .)

Um die Beugung und Interferenz von Elektronen zu erhalten, muss ein Spalt oder ein Gitter gefunden werden mit einer unwesentlich größeren Öffnungsbreite als die Wellenlänge der fliegenden Elektronen.

Für nicht-relativistische Geschwindigkeiten können wir die Wellenlänge der bewegten Teilchen in Abhängigkeit von ihrer Ruhemasse m0 bringen. Wir setzen für den Impuls p = m v. Die Geschwindigkeit v erhalten wir aus der bekannten Formel Ekin = m v/2 .

(7.1)

Ein Elektron, das durch eine Spannung beschleunigt wird, erhält die kinetische Energie Ekin = m v/2 = e  U . So können wir die Wellenlänge des Elektrons als Funktion der Spannung schreiben:

(7.2)

Bei einer Spannung in der Größenordnung von 10V besitzen also Elektronen eine Wellenlänge im Nanometer-Bereich, in dem auch der Atomabstand in Festkörpern liegt. Wir erinnern uns: Röntgenstrahlen mit Wellenlängen im Nanometer-Bereich werden von kristallinen Feststoffen an ihrem Raumgitter gestreut.

Kristalle können somit auch bei Elektronen als Beugungsgitter dienen!

Drei Jahre nach de Broglies Hypothese führten Clinton Davisson und Lester Germer den ersten Nachweis der Elektronenbeugung aus:


Experiment von Davisson und Germer

Aus der Glühkathode treten Elektronen aus und werden durch eine Spannung an die Anode beschleunigt. Nach dem Aufprall auf einen Nickelkristall werden sie gestreut. Der Abstand d zwischen den Atomen im Nickelkristall beträgt 0,215 nm . Die Intensität der gestreuten Elektronen wird mit einem Detektor gemessen. Der Ort des Detektors wird solange variiert, bis die Intensität ein Maximum erreicht.
Bei einer Beschleunigungsspannung von 54 V erscheint das Interferenzmaximum 1. Ordnung unter dem Winkel  = 50°.



Die Wellenlänge der Elektronen können wir jetzt auf zwei Weisen berechnen:

  1. Mit einer Gleichung aus der Optik gilt für die Lage der Maxima bei der Beugung am Gitter:

    (7.3)

    Für das Maximum 1. Ordnung (erstes Nebenmaximum) ist n = 1. Das Experiment liefert uns folgende Wellenlänge:

    (7.4)

    Wellenlänge aus dem Experiment
    Atomabstand Winkel Wellenlänge
    0,215 nm 50° 0,165 nm

  2. Mit de Broglies Beziehung (7.2) können wir die Wellenlänge alleine aus der Kenntnis ihrer Energie oder der Beschleunigungsspannung berechnen:

    (7.5)

    Wellenlänge nach de Broglie
    Spannung Wellenlänge
    54 V 0,167 nm

Auch mit anderen Spannungen erzielten Davisson und Germer eine gute Übereinstimmung der gemessenen Wellenlänge mit der vorhergesagten Wellenlänge von de Broglie.




In einem ähnlichen Versuch mit einer Elektronenbeugungsröhre können wir die Interferenzen von Elektronen an einem Leuchtschirm sichtbar machen. Elektronen treten aus der glühenden Kathode aus und werden durch die Spannung UB zur Anode hin beschleunigt. Durch ein Loch in der Anode gelangen sie auf den Leuchtschirm und erzeugen dort einen Lichtfleck. Bringen wir eine dünne Graphitfolie dazwischen, dann bilden sich mehrere konzentrische Ringe um den ursprünglichen Lichtfleck. Vergrößern wir die Spannung UB , so werden die Ringe kleiner. Denn nach de Broglie vermindern wir damit die Wellenlänge von Elektronen und mit der Formel (7.3) aus der Optik wird dadurch auch der Streuwinkel kleiner.


In weiteren Experimenten mit kristallinen Stoffen wurden auch Protonen und Neutronen Welleneigenschaften nachgewiesen.

Die Beugungsversuche an Kristallen bestätigten die Hypothese von de Broglie: Bewegte Mikroobjekte mit Ruhemasse, wie Elektronen, Protonen und Neutronen, besitzen Welleneigenschaften.

Nun wollen wir auch die Gegenstände aus unserem Alltag auf solche Eigenschaften überprüfen.

Werden Interferenzen auch bei Makroobjekten beobachtet?

Entsteht eine Beugungsfigur beim Wurf eines Balls durch ein Fenster? Wir müssen also herausfinden, ob die Fensterbreite in der Größenordnung der Wellenlänge liegt. Für die Masse des Balls nehmen wir 1kg an, für seine Geschwindigkeit 10 m/s.

(7.6)

Selbst für den subatomaren Bereich ist dieser Wert sehr winzig, geschweige denn für unseren Ball. Wir sehen, dass Objekte aus unserer erfassbaren Umwelt zu schwer sind, um daran Welleneigenschaften beobachten zu können. Sie können jedoch für jedes Objekt berechnet werden.

Jede Form von Materie besitzt Welleneigenschaften. Sie spielen in unserer erfahrbaren Welt aber keine Rolle.

Kurz nach der Entdeckung der Welleneigenschaften von Elektronen kam die Vermutung auf, statt Licht Elektronen zur Vergrößerung und Abbildung kleinster Objekte zu verwenden. Denn der Abstand, der mit einem Mikroskop aufgelöst werden kann, hängt direkt proportional von der Wellenlänge ab. Im Unterschied zu Lichtquanten haben Elektronen keinen bestimmten Wellenlängenbereich und lassen sich nach de Broglie durch hohe Spannungen auf viel kleinere Wellenlängen bringen. Die Abbildung stellt schematisch ein Elektronenmikroskop dar. Durch Hochspannung beschleunigte Elektronen werden mit Hilfe einer magnetischen Spule gebündelt und treffen auf ein dünnes Objekt. Beim Durchgang durch das Objekt werden sie etwas gestreut und deswegen von einer zweiten Spule fokussiert. Die dritte magnetische Spule übernimmt die Aufgabe des Okulars im Lichtmikroskop. Sie projiziert den Elektronenstrahl auf einen Leuchtschirm oder eine Photoplatte.

Besonders plastische und kontrastreiche Bilder erzeugt ein Raster-Tunnel-Mikroskop. Darin wird die Oberfläche des Präparates mit einem feinen Elektronenstrahl abgetastet. Das Bild zeigt uns eine Aufnahme von Iod-Atomen (pinkfarben dargestellt), die auf einer Platin-Oberfläche adsorbiert sind. Die violetten Bahnen deuten Bindungen zwischen den Atomen an. Die gelbe Lücke ist durch die Entfernung eines Iod-Atoms entstanden.