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Zell-Wettkampf als Krebsprävention
Neuer Mechanismus der Leukämieentstehung entdeckt

Ulm University

Der ständige Wettbewerb zwischen jungen und alten Vorläuferzellen im Thymus scheint die Entstehung einer bestimmten Blutkrebsart zu verhindern. Diesen Mechanismus haben Forscher aus Ulm und Heidelberg in enger Kooperation nachgewiesen und in der renommierten Fachzeitschrift Opens external link in new windowNature publiziert. Womöglich hält der „Zell-Wettkampf“ auch andere Tumorerkrankungen in Schach. In jedem Fall spielen die Erkenntnisse der Forscher eine wichtige Rolle für die Gentherapie bestimmter Formen des schweren kombinierten Immundefekts (Severe Combined Immune Deficiency/ SCID).

Der so genannte Thymus unter dem menschlichen Brustbein ist ein wichtiges Organ des Immunsystems: Ständig wandern Vorläuferzellen aus dem Knochenmark ein, verdrängen ältere Zellen und reifen zu T-Lymphozyten heran. Als „Polizei“ streifen die fertigen Immunzellen dann durch den Körper und eliminieren infizierte sowie entartete Zellen. „Wenn keine neuen Zellen aus dem Knochenmark in den Thymus nachkommen, wird auf einen Vorrat zurückgegriffen. Im Thymus befindliche unreife Vorläufer produzieren dann über einen gewissen Zeitraum T-Lymphozyten“, erklärt Professor Hans Jörg Fehling vom Ulmer Institut für Immunologie. Ein Wettkampf, bei dem ältere Zellen eliminiert werden, findet unter diesen Bedingungen nicht statt.
Die Folgen haben Ulmer Forscher um Dr. Vera Martins und Professor Hans Jörg Fehling unter Federführung von Professor Hans-Reimer Rodewald, Chef der Abteilung Zelluläre Immunologie am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg und bis 2010 Leiter des Instituts für Immunologie in Ulm, in aufwändigen Experimenten am Mausmodell untersucht.

Dazu wurden immungeschwächten Nagern aus speziell gezüchteten Stämmen gesunde Thymi transplantiert. Aus dem Knochenmark der genetisch veränderten Mäuse konnten keine Vorläuferzellen in den Thymus gelangen, so dass sie auf  bevorratete Zellen angewiesen waren. Nach einiger Zeit entwickelte die Mehrzahl der Tiere eine Blutkrebsart, die der T-Zell-Leukämie beim Menschen glich. „Offenbar entarten alte Vorläuferzellen, wenn sie nicht im Wettkampf‘ durch jüngere ersetzt werden“, erklärt Erstautorin Dr. Vera Martins. Bei den älteren Vorläuferzellen hätten sie eine besonders starke Aktivierung eines Gens nachgewiesen, das mit der Blutkrebsentstehung beim Menschen assoziiert werde.

Dem Zell-Wettbewerb scheint übrigens die Konkurrenz um den Wachstumsfaktor Interleukin-7 zugrunde zu liegen. Im Kampf um das lebenswichtige Eiweiß dominieren die frisch aus dem Knochenmark eingewanderten Zellen – ältere Vorläufer sterben den Zelltod.
„Eine mögliche ursächliche Verbindung zwischen Zell-Konkurrenz und Krebswachstum wurde schon früher postuliert; dabei ging es jedoch um die Selektion von bereits mutierten Krebszellen oder ihren Vorstufen. Darüber hinaus legen unsere Experimente nun aber nahe, dass Zell-Wettstreit zwischen jungen und alten Zellen die verausgabten alten Zellen daran hindert, überhaupt Mutationen zu entwickeln. In diesem Sinne ist Zell-Konkurrenz ein Mechanismus, der Krebsentstehung verhindern könnte und es wird spannend sein, zu untersuchen, ob dieses Prinzip auch in anderen Geweben, die ständig aus Stammzellen erneuert werden, wirkt – zum Beispiel in der Haut und im Darm"; so die Einschätzung von Professor Hans-Reimer Rodewald aus Heidelberg.

Erkenntnisse könnten Behandlung von Leukämien und SCID verbessern

Die in fünfjähriger Forschungsarbeit und unter schwierigen experimentellen Bedingungen mit großer Unterstützung durch das Ulmer Tierforschungszentrum gewonnen Erkenntnisse sind nicht nur für die Grundlagenforschung bedeutend: Insgesamt könnte ein genaueres Verständnis des Zell-Wettbewerbs Diagnose und Therapie von T-Zell-Leukämien verbessern – einer relativ schwer behandelbaren Blutkrebsform, die oft bei Kindern auftritt.

Außerdem liefern die Ergebnisse eine plausible Erklärung, warum einige Patienten mit einem schweren kombinierten Immundefekt, die selbst keine T-Lymphozyten produzieren können, nach der Gentherapie Blutkrebs bekommen: „Die genetisch korrigierten, den Patienten zugeführten Stammzellen wandern in den Thymus ein, nicht jedoch in das Knochenmark. Deshalb können die Vorläuferzellen im Thymus nicht erneuert werden“, erklärt Fehling. Und der fehlende Zell-Wettkampf begünstige eben die Entstehung von Blutkrebs. Tatsächlich erkrankten fünf der 20 nach diesem Protokoll behandelten Kinder an Leukämie. Diese neuen Erkenntnisse sollten nun zu wichtigen Modifikationen bei der gentherapeutischen Behandlung bestimmter Formen von SCID Anlass geben.

 

Vera C. Martins, Katrin Busch, Dilafruz Juraeva, Carmen Blum, Carolin Ludwig, Volker Rasche, Felix Lasitschka, Sergey E. Mastitsky, Benedikt Brors, Thomas Hielscher, Hans Joerg Fehling & Hans-Reimer Rodewald. Cell competition is a tumour suppressor mechanism in the thymus. Nature 509, 465–470 (22 May 2014) Opens external link in new windowdoi:10.1038/nature13317

Bildunterschrift:

Die beteiligten Ulmer Forscher (v.l.): Prof. Hans Jörg Fehling vom Institut für Immunologie, Erstautorin Dr. Vera Martins (bis 2013 Universität Ulm, jetzt: DKFZ Heidelberg), Dr. Petra Kirsch, Leiterin Tierforschungszentrum Ulm, Carmen Blum, MTA am Institut für Immunologie, Prof. Volker Rasche, Leiter der Ulmer „Core Facility Kleintier MRT“, und Carolin Ludwig (vormals MTA Institut für Immunologie, jetzt: Institut für Innere Medizin III)

 

Verantwortlich: Annika Bingmann