Sie sind klebrig und verklumpen leicht. Nervenzellen im Gehirn, die damit befallen sind, geben meist irgendwann ihren Geist auf. Die Rede ist von einer ganz speziellen Eiweißverbindung, einem Peptid namens Beta-Amyloid, das an der Entstehung der Alzheimer Krankheit beteiligt ist. Oft bleibt die Krankheit über Jahre im Verborgenen, bis sie schließlich als Demenz hervorbricht. Die Symptome: Verwirrtheit, Orientierungs- losigkeit und Vergesslichkeit - bis hin zur völligen Auflösung der Persönlichkeit.
Wissenschaftler der Universität Ulm haben nun nachgewiesen, dass mit dem Fortschreiten der Krankheit nicht nur die Menge des abgelagerten Beta-Amyloid zunimmt, sondern dass die Eiweißaggregate einen mehrstufigen "Reifungsprozess" durchlaufen. Bestimmte Reifungsschritte sind dabei charakterisiert durch das Auftreten spezifischer modifizierter Amyloidpeptide, von denen bekannt ist, dass sie die Interaktionsfreudigkeit gegenüber anderen Proteinen erhöhen. "Das heißt, die Substanz wird immer klebriger und neigt verstärkt zur Verklumpung, was sie noch toxischer auf die Nervenzellen im Gehirn wirken lässt", erklärt Professor Dietmar Thal. Der Leiter der Sektion Neuropathologie der Universität Ulm ist Projektleiter der nun in "Brain" veröffentlichten Studie über den Zusammenhang zwischen biochemischen und klinischen Stadien bei Alzheimer.
Je stärker die Verklumpungsneigung umso gefährlicher ist das Beta-Amyloid
Zwar geht man mittlerweile davon aus, dass sich bereits weniger stark aggregierte Formen dieses Peptids (Beta-Amyloid-Oligomere) toxisch auf empfindliche Hirnstrukturen wie Synapsen auswirken. "Die klinischen Symptome der Alzheimer-Demenz treten allerdings meist erst dann auf, wenn sich im Gehirn bereits pathologische Veränderungen durch abgelagerte Fibrillen und Plaques zeigen", so Professorin Christine von Arnim. Die Oberärztin in der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Ulm gehört neben dem Neuropathologen Dietmar Thal und dem Biochemiker Professor Marcus Fändrich zu den Gründern der Ende letzten Jahres ins Leben gerufenen "Projektgruppe Alzheimer-Forschung Ulm".
Das interdisziplinäre Team aus Wissenschaftlern der Ulmer Universität und des Universitätsklinikums Ulm konnte nun anhand zahlreicher Gewebeproben zeigen, dass sich im Gehirn von verstorbenen Alzheimer-Kranken mit Demenzsymptomen eine spezielle phosphorylierte Form des Peptids nachweisen lässt, die die Bildung von Beta-Amyloid-Oligomeren fördert. Diese Makromoleküle begünstigen die Fibrillenbildung, indem sie als "Keime" die Zusammenlagerung der Proteine zu faserartigen Molekülkomplexen befördern, wie die Kooperationspartner von der Universität Bonn bereits früher zeigen konnten. Hirngewebe von Alzheimer-Kranken im vorklinischen - also symptomfreien - Stadium wies kein phosphoryliertes Amyloid aber in vielen Fällen eine andere verkürzte, so genannte Pyroglutamat-modifizierte Amyloidvariante auf. Von dieser Variante ist bekannt, dass auch sie die Aggregationsneigung der Fibrillen erhöht. "Man kann sich das als eine Art Reifungsprozess vorstellen, über den das Beta-Amyloid immer komplexere Strukturen annimmt, die den Neuronen immer stärker zusetzen", veranschaulicht der Amyloid-Experte Fändrich.
Krankheitsmodell mit drei Stadien
Die Alzheimer-Forscher haben ihre Studienergebnisse schließlich in ein hierarchisches Krankheitsmodell mit drei biochemischen Stadien überführt: im ersten biochemischen Stadium lassen sich ausschließlich Beta-Amyloid-Ablagerungen nachweisen. In Stadium zwei dagegen findet sich zusätzlich die modifizierte Variante, die durch Verkürzungen gekennzeichnet ist und im dritten Stadium tritt darüber hinaus die phosphorylierte Variante des Beta-Amyloids hinzu. "Alle klinischen Alzheimer-Fälle mit erkennbaren Symptomen waren biochemisch dem Stadium 3 zuzurechnen, die durch das Auftreten von phosphoriliertem Beta-Amyloid gekennzeichnet ist", erläutert Erstautor Dr. Ajeet Rijal Upadhaya. "Es gibt also einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Ausprägung der klinischen Symptomatik und der durch die Peptid-Modifikationen verstärkten `Reifung´ der Beta-Amyloid-Strukturen von löslichen Peptidmolekülen und Oligomeren hin zu Fibrillen und Plaques", so der wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Sektion Neuropathologie.
Die Ulmer Alzheimer-Forschungsgruppe konnte also in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universität Bonn (Prof. Jochen Walter, Dr. Sathish Kumar) und der japanischen Gunma University School of Health Sciences in Maebashi (Prof. Haruyashu Yamaguchi) zeigen, dass durch die Einlagerung modifizierter Amyloid-Proteine die Verklumpungsneigung löslicher und unlöslicher Beta-Amyloid-Peptide verstärkt wird. Das Projekt wurde von der Alzheimer Forschung Initiative (AFI #10810) unterstützt. "Wir hoffen nun, dass sich mit unseren Befunden bessere Ansatzpunkte für neue Therapien finden lassen. Denn noch immer gibt es keine wirksamen Medikamente, mit denen sich Alzheimer wirklich heilen lässt", so das Ulmer Forscherteam.
Zur Studie
Untersucht wurden dafür die Gehirne von 21 Alzheimer-Patienten mit Demenzsymptomen sowie von 33 symptomfreien präklinischen Alzheimer-Fällen. Zur Kontrolle wurden die Daten verglichen mit den Ergebnissen aus einer Kontrollgruppe ohne Alzheimer. Die Gewebeproben stammen allesamt aus der Gewebesammlung des Neuropathologischen Labors der Universität Ulm, wo sie nach Einverständnis der Ethikkommission der Universität der Forschung zur Verfügung stehen. Nach der Autopsie wurden die Gehirne in Formaldehyd fixiert, danach in Paraffin oder in Polyethylenglycol für die Gewebeschnitte eingebettet und histopathologisch untersucht, um die Beta-Amyloid Verteilung quantitativ zu ermitteln. Für die biochemischen Untersuchungen zum Nachweis von modifizierten Varianten wurden Western-Blot Analysen an Hirnlysaten und Immunpräzipitationsschritte durchgeführt. Untersucht wurden unterschiedlichste Formen von Beta-Amyloid-Aggregaten: wasserlösliche, in Dispersion befindliche, Membran-gebundene und Plaque-assoziierte Aggregate.
Verantwortlich: Andrea Weber-Tuckermann