Die Zeit läuft schnell für Professor Martin Müller. Im Oktober vergangenen Jahres hat der gebürtige Eppsteiner, Jahrgang 1969, den Stiftungslehrstuhl für nachhaltiges Wissen, nachhaltige Bildung und nachhaltiges Wirtschaften an der Universität Ulm übernommen. Eingerichtet und gesichert zunächst für gerade mal fünf Jahre. Und danach? „Das ist noch völlig offen, wird wohl von meinen Ergebnissen abhängen“, sagt der studierte Betriebswirtschaftler mit den Schwerpunkten Material- und Energiewirtschaft. Er sagt es nüchtern, gelassen und mit einem Selbstvertrauen, das sich auf Kompetenz und Erfahrung gleichermaßen stützt, in diesem Fall fraglos zudem auf die Bilanz seiner ersten Ulmer Monate. „Ich bin hier gut aufgenommen worden“, freut sich der Wissenschaftler, in der Fakultät, bei den Stiftern seines Lehrstuhls und bei den Studenten.
Nicht zuletzt auch von den Partnern bei ersten inzwischen angelaufenen Forschungsprojekten, neben Lehre und Überzeugungsarbeit ein zentrales Element seiner Aufgabe. Die so komplex zu sein scheint wie die Bezeichnung seines Lehrstuhls sperrig. Wie auch immer: In gewisser Weise reflektiert Müllers Terminkalender schon den Erfolgsdruck einer Berufung auf Zeit. Kaum ein Tag ohne Treffen mit Projektpartnern, Vorträge oder sonstige Kontakte, in den Semesterferien wohlgemerkt. Und nicht selten verbunden mit dem Ausloten neuer Ansätze für Kooperationen, Forschungsaufträge vor allem, aber auch für die Lehre. Professor Müllers bevorzugte Mittel dabei: Salopp formuliert Unternehmer rein in die Uni, zu Vorträgen vor den Studenten, „um das jeweilige Thema authentisch zu vermitteln“, Studenten wiederum raus in die Betriebe, um sich vor Ort mit der Thematik auseinanderzusetzen.
Und stets verknüpft mit seiner eigentlichen, in der Lehrstuhlbezeichnung verankerten Mission: Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit zu erklären, zu praktizieren und dafür zu werben. Nicht missionarisch im ideologischen Sinne allerdings, sondern mit nüchterner Überzeugungsarbeit. Natürlich argumentiert Müller in Gesprächen mit Unternehmern auch mit gesellschaftspolitischen Aspekten, appelliert immer wieder an deren Verantwortung für Klima, Natur und Beschäftigte. Aber: „Die klassische Konkurrenz zwischen Ökologie und Ökonomie ist mir wohl bewusst“, macht der Wissenschaftler deutlich. „Deshalb zeige ich zunächst, dass dies kein Gegensatz sein muss.“ Im Gegenteil. „Langfristig ist es meist eine Win-Win-Situation“, weiß der Betriebswirtschaftler, der im Rahmen von Forschungsprojekten schon einigen Auftraggebern den Effizienzgewinn aus nachhaltigem Wirtschaften vorgerechnet hat, unter anderem einem Wolfsburger Autohersteller und einem renommierten Unternehmen aus der Textilbranche. „Nachhaltigkeit in der Wertschöpfungskette“ nennt sich dieser Bereich, Martin Müllers ursprüngliches Spezialgebiet.
Problem dabei: „Viele Unternehmen denken hier kurzfristig, nicht nur in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.“ Nachhaltigkeit indes sei in all ihren drei Dimensionen vielfach langfristig angelegt, in der Ökologie mithin ebenso wie in der Ökonomie und im Sozialen, überdies mit der Zielsetzung Gerechtigkeit verbunden. Letztere zum einen geopolitisch definiert, Stichwort Nord-Süd-Konflikt („ein Viertel der Weltbevölkerung verbraucht drei Viertel der Ressourcen“), zum anderen auf eine Zeitschiene fixiert. „Darauf hinarbeiten, dass auch zukünftige Generationen noch eine Chance haben“, so Martin Müller.
Keine Frage, dass sich insofern auch das Thema Klimawandel wie ein roter Faden durch seine Arbeit zieht, die direkten wie indirekten Folgen und Maßnahmen zu ihrer Bewältigung. Zielkonflikte beim Trinkwasserverbrauch unter anderem, nicht zuletzt durch die Landwirtschaft, aber auch steigende Rohstoffpreise.
„Den Regenwald können wir von Ulm aus kaum retten“, ist sich der Wissenschaftler im Klaren, „aber ich kann in der Region Akzente setzen“. Wie bei einem Dietenheimer Textilhersteller mit einem Forschungsvorhaben zum Recycling von Baumwollfasern. „Hier wollen hier mit einem neuen Verfahren mehr rausholen“, sagt der ausgewiesene Experte in Sachen Kreislaufwirtschaft, im wahrsten Sinne des Wortes also. Gespannt ist Müller auch auf die Ergebnisse seiner Begleitforschung zum derzeit in Ulm erprobten Car2go-Konzept von Daimler. „Wir untersuchen das im Hinblick auf ökologische Aspekte“, so der Wissenschaftler, auf Änderungen des Mobilitätsverhaltens und des Schadstoffaufkommens etwa. „Die Ergebnisse sind absolut offen“, versichert er und erklärt: „Wir haben hierfür von Daimler kein Geld erhalten.“ Engagiert ist der Stiftungsprofessor überdies beim Projektantrag Elektromobilität für die Modellregion Ulm.
Weitere eigene Forschungsprojekte sind Müller zufolge im Reifen. Darunter eine große Studie mit Unternehmen im Lande über deren aktuell schwerwiegendsten Probleme und ihre Instrumente, um sie zu bewältigen. Ferner will er ab Herbst mit einer Untersuchung seinen bislang nur gefühlten Eindruck untermauern, dass Familienunternehmen eher im Sinne der Nachhaltigkeit denken als Kapitalgesellschaften. Für ihn unstrittig ist dagegen eine Vorreiterrolle Ulms auf diesem Gebiet. Verständlich sein Wunsch deshalb: „Es wäre schön, wenn an vielen Universitäten Lehrstühle wie meiner eingerichtet würden.“ Schließlich sei gerade die Wissenschaft aufgerufen, die Zukunft zu gestalten. „Und die Studenten sind die Entscheider von morgen.“ Ihnen gesellschaftliche und ökologische Verantwortung zu vermitteln, versteht er denn auch als eine seiner wichtigsten Aufgaben. „Ich will mich zudem regelmäßig an die Öffentlichkeit wenden“, so Professor Müller, nur so lasse sich Verhalten in Richtung Nachhaltigkeit verändern. Denn: „Eine Voraussetzung ist entsprechendes Wissen.“
Weitere Informationen: Prof. Dr. Martin Müller, Tel. 0731/50-32350