Gemeinsame Pressemitteilung des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) und der Universität Ulm
Registerbasierte Studien liefern wichtige Informationen für die Forschung und verbessern die klinische Versorgung von Patienten. In den nordischen Ländern werden die für die Studien benötigten Daten seit Jahrzehnten vorbildlich in Registern erfasst. Deutschland schöpft diese Möglichkeiten unzureichend aus. Das ergab ein Workshop an der Universität Ulm, dessen Ergebnisse Wissenschaftler des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) gemeinsam mit Ulmer, Münchner und Dänischen Kollegen im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht haben.
Registerbasierte Studien sind Untersuchungen, bei denen Wissenschaftler auf praxisbezogene Daten zu Diagnose und Therapie eines definierten Indikationsgebiets zugreifen können. In den nordischen Ländern werden in sogenannten Qualitätsregistern Daten etwa aller Herzinfarktpatienten, aller Krebspatienten oder aller Frühgeburten erfasst. Die Erfahrungen der nordischen Länder zeigen, dass qualitativ hochwertige registerbasierte Studien, insbesondere in der Kombination mit Biobanken, wichtige Erkenntnisse für die klinische Versorgung liefern und gesundheitsrelevante Aussagen für die ganze Bevölkerung ermöglichen.
Neben den krankheits-spezifischen Registern werden auch Register zur Patientenversorgung ambulant und stationär geführt. Risiken und Ursachen von Krankheiten können realitätsnah bewertet werden, ebenso wie Diagnose- und Behandlungsverfahren.
Vorbild Skandinavien: Gesundheitsinformationen mittels Kennnummer verknüpfen
Länder wie Schweden, Finnland, Norwegen, Island und Dänemark haben die Datengrundlage dieser Studien sogar gesetzlich geregelt. Für jeden Einwohner wird eine eindeutige Kennnummer erstellt, mit der demographische Angaben und Gesundheitsdaten aus landesweiten Registern verknüpft werden können. Wissenschaftler dürfen auf Anfrage Registerdaten verknüpfen und auch die Verwaltungsdaten für statistische Forschungszwecke verwenden. In Deutschland gibt es eine solche Regelung hingegen nicht. „Der Ansatz, dass Gesundheitsdaten mittels einer Kennnummer verknüpft werden können, würde eine deutliche Verbesserung, nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Qualitätssicherung darstellen. Verzerrungen von Studienergebnissen aufgrund von wenigen, ausgewählten Teilnehmern würden dann der Vergangenheit angehören“, erklärt Dr. Mahdi Fallah, Wissenschaftler am DKFZ und NCT Heidelberg, der seit vielen Jahren erfolgreich mit
nordischen Registerdaten arbeitet.
In Deutschland gehen "Datenschätze" verloren
Die Teilnehmer am Workshop „Möglichkeiten und Wertigkeit registerbasierter Studien“ an der Universität Ulm betrachteten die Arbeitsweise von zwei deutschen registerbasierten Studien genauer: das KORA-Herzinfarktregister Augsburg und das ALS (Amyotrophe Lateralsklerose)-Register Schwaben an der Universität Ulm. Die Wissenschaftler stellten dabei fest, dass in Deutschland das Todesdatum in Einwohnermeldeämtern und Angaben zu Todesursachen über die Gesundheitsämter aktiv recherchiert werden müssen. Ein solches Vorgehen ist langwierig, teuer und fehleranfällig. Bundesweit gibt es in Deutschland zudem viele kleine Register, die zum Teil zeitlich begrenzt gefördert werden. Jedes dieser Register hat lokal ähnliche Infrastrukturprobleme zu lösen. „Die Einführung einer Kennnummer, wie sie sich in den nordischen Ländern bewährt hat, würde unsere Arbeit erleichtern und die Möglichkeiten der medizinischen Forschung wesentlich verbessern“ meint Professor Gabriele Nagel von der Arbeitsgruppe „Registerbasierte Studien“ der Universität Ulm.
Häufig werden die Register nach Ende der Förderperiode geschlossen und die Infrastruktur und das Wissen gehen verloren. Die Deutschen sind zurückhaltend, wenn es darum geht, ihre Daten der Wissenschaft zu übergeben, wünschen sich aber medizinischen Fortschritt und eine gute Versorgung. „Es ist wichtig, dass die Bevölkerung versteht, dass für informierte Entscheidungen - z.B. ob eine Behandlung langfristig vorteilhaft ist - valide Daten auf Bevölkerungsebene notwendig sind“, meint Nagel.
In den nordischen Ländern wird das mit dem sogenannten „Opt-out“-Modell gelöst: Medizinische Daten von Patienten dürfen grundsätzlich für Forschung verwendet werden, es sei denn, der Patient spricht sich dagegen aus. „In Deutschland müssen die Patienten explizit zustimmen, dass ihre Behandlungsdaten für die Forschung verwendet werden können. Ein „Opt-out“-Modell wie in den nordischen Ländern wäre kostengünstiger und könnte die Teilnehmerraten in Studien deutlich steigern. Oftmals haben die Menschen nichts gegen eine Teilnahme an registerbasierten Studien, doch die Bürokratie ist ihnen zu umständlich“, berichtet Fallah. Die Teilnehmer des Ulmer Workshops sind sich einig, dass nationale Anstrengungen nötig sind, um der breiten Bevölkerung ebenso wie Politikern, Medizinern und Gesundheitswissenschaftlern das enorme Potential bundesweit systematisch erfasster Gesundheitsdaten bewusst zu machen.
Text: Dr. Friederike Fellenberg (NCT), weiterer Medienkontakt: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Uni Ulm
Originalpublikation im Deutschen Ärzteblatt zum Download