Der traditionelle Rückblick des Präsidenten beim „Dies academicus“ der Universität Ulm am Freitag enthielt eine klare Botschaft, der Blick nach vorne auch. „Das letzte Quartal des vergangenen Jahres war eines der erfreulichsten und erfolgreichsten in unserer gut vierzigjährigen Universitätsgeschichte, gekennzeichnet durch die Verleihung höchstrangiger Wissenschaftspreise und die Bewilligung umfangreicher Großprojekte der Verbundforschung“, sagte Professor Karl Joachim Ebeling zum Auftakt des akademischen Feiertages. Was jetzt folgen müsse, schob er nicht minder deutlich nach: „Wir brauchen dringend ein weiteres Forschungsgebäude.“ Über Ebelings Bericht zur Lage hinaus prägten den Festakt zwei ebenso informative wie kurzweilige Antrittsvorlesungen und die Verleihung mehrerer Preise.
Ob es den kommunikativ überzeugenden Protagonisten zuzuschreiben war oder der breitgefächerten, vom Auditorium mit spürbarem Interesse aufgenommenen Themenmischung, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls entwickelte sich das gegenüber den Vorjahren modifizierte Format, der Verzicht auf einen Festvortrag zu Gunsten mit den Präsentationen der Preisträger gebündelter Antrittsvorlesungen, zu einer kompakten Wissenschaftsschau im besten Sinne des Wortes. Mit ungeteilter Aufmerksamkeit sozusagen für die kleine Auswahl eigener Leistungsträger, ausnahmslos wahrgenommen allerdings weit über die Campus-Grenzen hinaus.
Wie Professor Boris Mizaikoff etwa, vor einem Jahr vom Georgia Institute of Technology in Atlanta nach Ulm berufener Direktor des Instituts für Analytische und Bioanalytische Chemie, „ein großer Aktivposten unserer Fakultät und mit seinen Arbeiten ein wichtiges Brückenglied zur Forschung in der Medizin und Biologie“, so Dekan Professor Peter Bäuerle, „und ein erfolgreiches Beispiel für die Forderung der Politik, die besten Köpfe aus den USA nach Deutschland zu holen“. Nur dank enormer Anstrengungen indes seitens der Universität, wie auch Mizaikoff selbst bestätigte. Hervorragende Rahmenbedingungen sehe er hier für seine Ziele, nämlich die Entwicklung und Anwendung neuer qualitativer und quantitativer Messverfahren zur Analyse komplexer Vorgänge und molekularer Interaktionen an biologisch und biomedizinisch relevanten Systemen. Technologien also mit unmittelbarem Bezug zur biologischen, biomedizinischen und klinischen Forschung. „Good Vibrations – Optische Sensorik mit schwingenden Molekülen“, hatte der aus der TU Wien hervorgegangene Wissenschaftler seine Antrittsvorlesung überschrieben.
„Nicht leicht für Ulm zu gewinnen“ sei auch Professor Christian Rainer Wirtz gewesen, ließ Professor Thomas Wirth als Prodekan der Medizinischen Fakultät bei der Vorstellung des neuen Lehrstuhlinhabers für die Neurochirurgie durchblicken. Einer Aufgabe, die bekanntlich nach wie vor mit einem Spagat verbunden ist: Zum einen Ordinarius an der Universität, zum anderen Ärztlicher Direktor am Bezirkskrankenhaus Günzburg. Verantwortlich hier für eine medizinische Kunst, die als eine der ältesten überhaupt gelten darf, wie Wirth zufolge rund 12 000 Jahre alte Schädelfunde mit Spuren von Eröffnungen belegen; die gleichwohl erst um 1950 ein eigenständiges Fach wurde. So schlug denn der Wissenschaftler mit akademischen Wurzeln an der RWTH Aachen und an der Universität Heidelberg einen weiten historischen Bogen von den neurochirurgischen Versuchen der Inkas über finstere Therapieformen im mittelalterlichen Europa („eher Scharlatanerie“) bis zur intraoperativen Magnetresonanztomographie, der modernsten und auch in Günzburg genutzten Technologie. In der Weiterentwicklung und Erforschung computerassistierter und bildunterstützter Operationsverfahren, seit 1995 bereits maßgeblich daran beteiligt, sieht Professor Wirtz auch einen Schwerpunkt künftiger Forschungsaktivitäten.
Wie sein Vorredner mit Schnittstellen zu anderen Disziplinen, den Ingenieurwissenschaften etwa oder zur Robotik. Und einer weiteren Parallele: „Ich bin froh, dass ich hier mit dieser Ausstattung weiterarbeiten kann.“ In Verbindung mit seinem Credo übrigens von den Rängen mit viel Applaus quittiert: „Bei aller Technik dürfen wir die Ehrfurcht vor dem Menschen nicht verlieren.“ Denn der sei „zwar einzigartig, aber doch verletzlich“.
Deutlich robuster gibt sich dagegen der Haloferax volcanii, ein Einzeller der Domäne Archaea und 1975 aus dem Bodensediment des Toten Meeres isoliert. Mit der Analyse seines Proteoms hat sich die Biologin Ruth Heyer in ihrer Diplom-Arbeit beschäftigt und dafür jetzt den mit 2500 Euro dotierten Frauenförderpreis der Universität erhalten. „Eine exzellente Arbeit“, wie Heisenberg-Professorin Anita Marchfelder in ihrer Laudatio festgestellt hat, Basis inzwischen für drei Publikationen. „Und weitere sind in Vorbereitung.“
Der Qualität der ausgezeichneten Arbeit wegen von einem „einstimmigen Votum“ bei der Vergabe des Franziska-Kolb-Preises zur Förderung der Leukämieforschung berichtete als Laudator Professor Hartmut Döhner, Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin III. Den jetzt mit 8000 Euro dotierten Preis erhielt sein Mitarbeiter, Privatdozent Dr. Thorsten Zenz, für die Identifizierung von Ursachen und Strategien zur Überwindung von Chemotherapieresistenz bei der chronischen lymphatischen Leukämie, Zenz zufolge der häufigsten Leukämie-Form bei Erwachsenen.
Die große Bandbreite des universitären Leistungsspektrums dokumentierte schließlich der ebenfalls mit 8000 Euro ausgestattete Kooperationspreis Wissenschaft-Wirtschaft, zu gleichen Teilen vergeben an zwei partnerschaftlich verbundene Einrichtungen. Für die Originalität ihrer Zusammenarbeit, deren Nutzwert und wissenschaftlichen Tiefgang ausgezeichnet worden sind das Kompetenzzentrum „Integrierte Schaltungen in der Kommunikationstechnik“, eine von Professor Hermann Schumacher geleitete Zusammenarbeit mit mehreren Industriepartnern, darunter EADS Ulm und ATMEL, Heilbronn, ferner das Ulmer Zentrum Wissenschaftliches Rechnen (UZWR) mit seinem Sprecher Professor Karsten Urban und Geschäftsführer Dr. Ulrich Simon und nicht minder erfolgreich kooperierend mit der Industrie- und Handelskammer Ulm.
Das Kompetenzzentrum beschäftigt sich Schumacher zufolge im Rahmen einer durchaus ungewöhnlichen, aber fraglos bewährten „public private partnership“ mit analoger Hochgeschwindigkeitselektronik für die Kommunikationstechnik und Sensorik. Das UZWR habe, wie Präsident Ebeling und Simon unisono betonten, erstmals auch mittelständischen Unternehmen Zugang zu wissenschaftlichen Methoden der Simulation und Modellierung ermöglicht. Beide Preisträger hätten überdies erfolgreich zur Stärkung der regionalen Wirtschaft beigetragen.
Die Plattform des „Dies“ ohne Scheck verlassen musste ausgerechnet der gemessen am Preisgeld mit Abstand erfolgreichste „Preisträger des Tages“. Professor Tobias Böckers, mit seiner Arbeitsgruppe vom Institut für Anatomie und Zellbiologie Ende vergangenen Jahres mit dem Landeslehrpreis ausgezeichnet, konnte im Rahmen des Festakts noch einmal in heimischer Umgebung das vom Land mit 40 000 Euro prämierte innovative Lehrkonzept vorstellen. Der Beifall dafür war ihm sicher, das Preisgeld freilich längst überwiesen.