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Nobelpreisträger Prof. zur Hausen eröffnet ULM Lectures
Machen Erreger aus Milch und Fleisch den Menschen krank?

Ulm University

Mit den ULM Lectures ist am Donnerstag eine weitere neue Vortragsreihe im Jubiläumsjahr der Universität Ulm angelaufen. Das Konzept: Internationale Spitzenforscher stellen ihre wissenschaftliche Arbeit interessierten Bürgern im Ulmer Stadthaus vor. Den Anfang machte der führende Krebsforscher und Nobelpreisträger von 2008, Professor Harald zur Hausen, ehemaliger wissenschaftlicher Vorstand und Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg und einer der meistausgezeichneten Wissenschaftler Deutschlands.

„Im Jubiläumsjahr wollen wir unsere Themen in die Stadt tragen und zeigen, wie viel Feuer und Herzblut wir für die Wissenschaft aufbringen“, sagte Universitätspräsident Professor Michael Weber bei der Eröffnung im vollbesetzten Stadthaus. Dafür seien hochkarätige Forscher gewonnen worden, mit denen Universitätsmitglieder zusammenarbeiteten.
Professor Klaus-Michael Debatin, Vizepräsident der Universität und Ärztlicher Direktor der Uniklinik für Kinder- und Jugendmedizin, stellte Professor zur Hausen vor, mit dem er seit seiner Zeit am DKFZ und an der Universität Heidelberg in engem Kontakt steht. Die feste Überzeugung, dass Viren Krebs auslösen können, ziehe sich, so Debatin, durch dessen Forscherleben. In den 1970-er und 80-er Jahren wurde zur Hausens Annahme, dass sexuell übertragbare Humane Papillomviren (HPV) zur Entstehung von Gebärmutterhalskrebs beitragen, von vielen Fachkollegen nicht ernst genommen. Mittlerweile gilt der Zusammenhang als gesichert und Mädchen wird standardmäßig eine HPV-Impfung empfohlen. Für seine Forschungsleistung erhielt der hartnäckige Mediziner 2008 den Nobelpreis.

Bovine Milch- und Meatfaktoren als Risiko

Im Stadthaus sprach zur Hausen jedoch über seinen aktuellen Forschungsschwerpunkt, Erkrankungen, die durch den Verzehr von Milch und Fleisch entstehen. Auslöser seien, so der hochrenommierte Mediziner, tierische Viren, die den Rindern selbst nicht schaden. In menschlichen Zellen könnten sie jedoch ihre Gene ablagern, was im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren womöglich krebsauslösend wirke. Ein wichtiger Ausgangspunkt dieser These waren epidemiologische Daten zur weltweiten Häufigkeit von Dickdarmkrebs: Demnach ist das Erkrankungsrisiko in Ländern mit hohem Konsum von rotem Fleisch erhöht. Eine Ausnahme stellt die Mongolei dar, wo allerdings Fleisch von anderen Rinderrassen als in Europa oder in den USA verzehrt wird. „Ende der 70-er Jahre ging man noch davon aus, dass die Zubereitung des Rindfleischs – zum Beispiel durch Grillen – gesundheitsgefährdend ist. Allerdings besteht bei Fisch- und Geflügelfleisch, das auf ähnliche Art und Weise zubereitet wird, kein Zusammenhang mit Krebserkrankungen“, erläuterte zur Hausen.
Diese Beobachtungen hätten ihn und seine Ehefrau, Professorin Ethel-Michele de Villiers, dazu veranlasst, Seren und Milchprodukte europäischer Rinder zu analysieren. Und siehe da: Bisher haben sie 20 unterschiedliche zirkuläre einzelsträngige Moleküle isoliert, die vier Untergruppen zugeordnet werden. Eben diese als „bovine Milch- und Meatfaktoren“ (BMMF) bezeichneten Moleküle könnten gemäß zur Hausen womöglich Jahrzehnte nach der Infektion und gemeinsam mit weiteren Faktoren Krebs beim Menschen auslösen.

Laktoseintolerante haben womöglich weniger Brust- und Lungenkrebs

Für Brust- und Lungenkrebs ist der Zusammenhang mit Fleisch- und Milchverzehr weniger eindeutig. Allerdings verwies Professor zur Hausen auf eine schwedische Studie, wonach laktoseintolerante Probanden, die also keine oder wenige Milchprodukte konsumieren, deutlich seltener an Brustkrebs erkranken als ihre laktosetoleranten Geschwister. Lungenkrebs kam bei den Studienteilnehmern, die keinen Milchzucker vertragen, sogar nur etwa halb so oft vor. Doch nicht nur für Krebserkrankungen scheint die gemeinhin als gesund geltende Milch ein Risikofaktor zu sein. Professor zur Hausen hat vor allem auch die neurodegenerative Erkrankung Multiple Sklerose (MS) im Visier: Im Stadthaus stellte der Mediziner ein Modell vor, wonach Milchkonsum in Kombination mit Vitamin D3-Mangel und einer Reaktivierung von Herpes-Viren, mit denen fast alle Menschen infiziert sind, MS auslösen kann.
Zudem wurde der Einfluss der Erreger aus Milch und Fleisch auf weitere chronische Erkrankungen des Menschen, die oft im höheren Lebensalter auftreten, diskutiert. Beispiele waren Diabetes und etwa Morbus Crohn.

"Fast alle über 2-Jährigen sind infiziert"

Sollten wir jetzt also aufhören, Fleisch zu essen und Milch zu trinken? „Die meisten über 2-Jährigen sind bereits mit den BMMF infiziert. Für die Krankheitsentstehung müssen ohnehin weitere, erbgutverändernde Faktoren hinzukommen“, beschwichtigte zur Hausen. Man könne also ruhig weiterhin Milch und Fleisch konsumieren. Trotzdem sei die Erforschung der bovinen Milch- und Meatfaktoren wichtig, um die Entwicklung von Krebs oder etwa MS zu verstehen und eines Tages – etwa mit einer Impfung oder anderen Präventionsmaßnahmen – einzugreifen. Mit zahlreichen Fragen und lang anhaltendem Applaus bescheinigte das Publikum den ULM Lectures einen erfolgreichen Start.

Die nächste ULM Lecture hält die Mitentdeckerin der Genschere Crispr-Cas9, Professorin Emmanuelle Charpentier, am 30. März im Stadthaus  (Beginn: 16:00 Uhr) in englischer Sprache. Der Eintritt ist wieder frei.

Text und Medienkontakt: Annika Bingmann

Prof. Harald zur Hausen (Mitte), Prof. Klaus-Michael Debatin (links) und Universitätspräsident Prof. Michael Weber (rechts)
Prof. Harald zur Hausen (Mitte) mit seinen Gastgebern Prof. Klaus-Michael Debatin (links) und dem Ulmer Universitätspräsidenten Prof. Michael Weber (rechts) (Foto: Eberhardt/Uni Ulm)
Prof. Harald zur Hausen
Prof. Harald zur Hausen (DKFZ) eröffnete die ULM Lectures (Foto: Eberhardt/Uni Ulm)
Volles Stadthaus
Das Stadthaus war bis auf den letzten Platz gefüllt (Foto: Eberhardt/Uni Ulm)