News

Nachweis durch Fossilien-Funde in Süd-China: Ulmer Forscher identifizieren bislang ältesten Krebs

Ulm University

Fossilien-Funde in der südchinesischen Provinz Yunnan ermöglichten Wissenschaftlern der Universität Ulm die Identifikation der bislang ältesten Krebsart der Welt. In Zusammenarbeit mit Paläontologen der Yunnan Universität  in Kunming (China) und der Universität Leicester (England) gelang Professor Dieter Waloßek und Dr. Andreas Maas von der Arbeitsgruppe Biosystematische Dokumentation der Nachweis des ersten modernen Krebses, eines vor rund 520 Millionen Jahren an den Rändern eines Ur-Meeres lebenden Gliederfüßlers. Die renommierte Wissenschaftszeitschrift Nature hat die Studie in ihrer Oktober-Ausgabe veröffentlicht, Waloßek zufolge „ein wichtiger Beitrag auch in der Debatte um die Evolution der geflügelten Gliederfüßler, die heute die Mehrzahl aller tierlichen Lebewesen darstellen“. Womöglich auch zur aktuellen Evolutionsdiskussion generell.
„20 Jahre lang hatten wir gehofft, in dieses Metier vorzudringen“, berichtet der Ulmer Biologe, der als einer der führenden Krebsspezialisten weltweit gilt. Den bemerkenswerten Erfolg ermöglicht habe nun eine in der Forschung nicht unübliche internationale Arbeitsteilung: Verkürzt dargestellt hatten die englischen Kollegen, mit denen die Ulmer Arbeitsgruppe seit rund zwei Jahrzehnten zusammenarbeitet, den Kontakt zu den chinesischen Paläontologen vermittelt. „China verfügt über unglaubliche Fossil-Ressourcen, so auch in rund 520 Millionen Jahre alten Gesteinen des Unterkambriums“, weiß Professor Waloßek. Denn die Region an den Kanten der Yangtze-Platte gehöre zu einem erdgeschichtlich sehr alten Kontinent.
Direkten Zugriff auf die fossilen Überreste der neuen Tierart erhielten die Ulmer Wissenschaftler freilich nicht. Nur Fotos, für Waloßek und Maas gleichwohl eine ausreichende Basis. Dank eines Rasterelektronenmikroskops der Uni nämlich, mit dem sie selbst vergleichbare Details an fossilen und lebenden Tieren untersuchen.
Zu den Besonderheiten des neuen Fossils aus China gehören kleine blattartige Auswüchse außen an den Körperbeinen. „Nach Ansicht einiger Autoren sollen die Flügel der Fluginsekten aus derartigen Strukturen hervorgegangen sein“, berichtet der Experte. Deswegen sei der kambrische Nachweis solcher extrem weicher und bisher nicht an Fossilien gefundener Anhänge für die Evolutionsdebatte so wichtig.
Stützen konnten sich die Ulmer Wissenschaftler bei ihrer Analyse auf eine Vielzahl seit langem hier in Ulm gewonnener Daten und Informationen über die fast 100 000 Arten zählende Gliedertiergruppe der modernen Krebse, zu der unter anderen die großwüchsigen Garnelen, Hummer und Krabben, aber auch die kleineren Seepocken, Salzkrebschen und Wasserflöhe zählen.
„Wir haben insbesondere davon profitiert, dass derartige Fossilien außergewöhnlich gut erhalten sind“, betont Professor Dieter Waloßek. So könne man außer dem dreidimensional überlieferten Körper auch Augen, Beinanhänge und sogar die Borsten an den Beinen bis hin zu winzigen Poren erkennen. Die neue Art, durch mehrere Wachstumsstadien vertreten, sei sehr kleinwüchsig gewesen. Dieter Waloßek: „Die Überreste deuten auf eine Endgröße von nur wenigen Millimetern.“
Der Name der neuen Krebsart: „Yicaris dianensis“, benannt nach der ethnischen Minderheit der „Yi“, die im südlichen China einst im Königreich Dian lebte, in dessen Region die Fundstellen der Fossilien liegen. „Das hohe Alter von Yicaris und seine verwandtschaftliche Nähe zu den heutigen Vertretern der Krebse ist ein neuerlicher Hinweis darauf, dass die Wurzeln der Gliederfüßler insgesamt weit vor dem Kambrium liegen“, erläutert Waloßek. „In einer Zeit also, aus der immer noch keine körperlichen Tierfossilien vorliegen.“ Und damit auch keine Nachweise dessen, was vorher gewesen sei.
Aber: „Dieser außergewöhnliche paläontologische Fund aus einer neuen Fundstelle, vor allem die dreidimensional erhaltenen Fossilien, verlängert den Nachweis von Krebsen um mehr als zehn Millionen Jahre an die Grenze zum Kambrium“, sagt Professor Waloßek. Alle Verzweiger zu den entfernteren Verwandten nicht nur innerhalb der Gliederfüßler, sondern bis an die Basis aller Tiere müssten insofern zeitlich nach vorne verlagert werden. Schließlich benötige die evolutionäre Entwicklung Zeit, viel Zeit sogar. Gerade für die Ausprägung von Details wie Augen, Beinen oder komplizierten Kiemenanhängen etwa, aber auch von Organen wie Nerven- und Kreislaufsystemen oder Veränderungen von Stoffwechselvorgängen.
„Eben diese Fragen sind für uns der wissenschaftliche ‚Kick’ “, so der Ulmer Wissenschaftler. Gemeinsam mit Dr. Andreas Maas und einem übrigen Team will er sie natürlich weiter verfolgen, künftig möglichst ergänzt durch Feldarbeit vor Ort und bei erleichterten Bedingungen: „Auch unsere Wissenschaft boomt durch die politische Öffnung Chinas.“

Anlage: Foto (Foto Uni Ulm, zur honorarfreien Veröffentlichung in diesem Zusammenhang ohne Einschränkungen freigegeben) BU: Fossil des „Yicaris dianensis“, von Ulmer Forschern als ältester Krebs der Welt identifiziert.

Weitere Informationen: Dr. Andreas Maas, Tel. 0731-5031002, Email: andreas.maas@uni-ulm.de

Verantwortlich: Willi Baur