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Entzündungshemmer auf Umwegen
Kortison wirkt über pro-entzündliche Signalwege

Ulm University

 Schocklunge! Wenn der Notarzt am Unfallort diese Diagnose stellt, gilt es keine Zeit zu verlieren. Sonst droht der Erstickungstod. Mediziner sprechen hier auch von akutem progressivem Lungenversagen. Wassereinlagerungen führen zu Ödemen in der Lunge und damit zu Kurzatmigkeit und rasselnden Atemgeräuschen. Auslöser sind massive Entzündungsreaktionen, durch die Lungengewebe zerstört und der Gasaustausch behindert wird. Therapiert wird diese Lungenverletzung mit künstlicher Beatmung und der Gabe von entzündungshemmendem Kortison.

 Biologen der Universität Ulm haben nun herausgefunden, über welche molekulargenetischen Mechanismen Kortison seine entzündungshemmende Wirkung entfaltet. "Bei der Akuten Lungenverletzung kommt es zur massiven Infiltration der Lungenbläschen mit Leukozyten. Der Entzündungshemmer Kortison sorgt dafür, dass die Barrierefunktion der Gefäßinnenwand wiederhergestellt wird und keine Immunzellen mehr in den so genannten Alveolarraum eindringen können. Die Entzündungsreaktionen klingen ab", erklärt Professor Jan Tuckermann. Der Leiter des Instituts für Molekulare Endokrinologie der Tiere und seine Mitarbeiterin Dr. Sabine Vettorazzi (geb. Hübner) machten dabei zwei erstaunliche Entdeckungen. "Zum einen zeigte sich, dass die Wirkung des Kortisons über Makrophagen vermittelt wird. Die eigentlich als Fresszellen bekannten Immunzellen spielen damit eine Schlüsselrolle bei der Entzündungshemmung", so Vettorazzi. "Für uns völlig überraschend stellte sich zudem heraus, dass hierbei Signalwege aktiviert werden, die bisher eigentlich für ihre pro-inflammatorische, also entzündungsfördernde, Wirkung bekannt waren", berichten die Forscher in der jüngst erschienenen Ausgabe von Opens external link in new windowNature Communication.

 Gemeinsam mit weiteren Wissenschaftlern aus Jena, Göttingen, Hamburg, Lyon und Gent untersuchten die Wissenschaftler mit Hilfe von Knock-Out-Mäusen die zelltypspezifische Wirkung des so genannten Glucocorticoid-Rezeptors (GR), an den körpereigene oder künstliche Glucocorticoide wie das Kortisonpräparat Dexamethason binden. Dieser Rezeptor entfaltet - je nach Molekülform - unterschiedliche molekulargenetische Wirkungen. Als Einzelmolekül (Monomer) deaktiviert der Glucocorticoid-Rezeptor proentzündliche Genschalter wie die Transkriptionsfaktoren AP1 und NF-κB und als Doppelmolekül (Dimer) bindet der GR direkt an die DNA, um dort selbst Gene zu aktivieren.

Das Rezeptormolekül funktioniert je nach Molekülform unterschiedlich

Vettorazzi und Forscherkollegen fanden nun heraus, dass die therapeutische Wirkung des Rezeptors, die für die Entzündungshemmung verantwortlich ist, nicht ausschließlich auf der eigentlich entzündungshemmenden Monomerfunktion des GR basiert, wie bisher angenommen, sondern dass auch die genaktivierende Wirkung des Rezeptordoppelmoleküls für die Unterdrückung entzündlicher Prozesse entscheidend ist.

 Die Ulmer Hormonforscher konnten im Mausmodell nachweisen, dass durch die Gabe von Dexamethason - vermittelt über die Doppelmolekülfunktion des Rezeptors - in den Makrophagen ein Gewebshormon ausgeschüttet wird, das Wachstums-, Wanderungs- und Teilungsprozesse von Zellen fördert. Genauer gesagt geht es dabei um das sogenannte Sphingosin-1-Phosphat, das sich unter anderem stabilisierend auf die Gefäßinnenwände auswirkt. Bei einer Akuten Lungenverletzung, englisch als ALI geläufig (Acute Lung Injury), kommt es kortisonbedingt zu einem Anstieg von Sphingosin-1-Phosphat, der die Barrierefunktion der Gefäßinnenwand stärkt. Damit wird das Eindringen von Immunzellen (Leukozyten) in die Lungenbläschen verhindert, und die Entzündungsreaktionen klingen ab.

Der Entzündungshemmer wirkt über pro-entzündliche Signalwege

 Der zweite erstaunliche Befund zeigte sich darin, dass das Gewebsreparaturhormon Sphingosin-1-Phosphat durch die Makrophagen nur dann ausgeschüttet wird, wenn - gleichzeitig zur Bindung des GR-Doppelmoleküls an die DNA - ein bestimmter proentzündlicher Signalweg stimuliert wird, an dem die Proteinkinasen p38 und MSK1 beteiligt sind. "Dass für die Hemmung von Entzündungen solche Signalkaskaden ausschlaggebend sind, die eigentlich inflammatorische Prozesse fördern, klingt ja eigentlich ein bisschen paradox. Doch für die Entwicklung wirksamer Kortisonpräparate ist diese neue Erkenntnis von großer Bedeutung. Denn bisher wurde dieser Aspekt in der pharmakologischen Forschung in keiner Weise berücksichtigt", sagt Jan Tuckermann.

 Vorarbeiten zu dieser Studie stammen aus dem Leibniz-Institut für Altersforschung - Fritz-Lipmann-Institut (FLI), wo der Endokrinologe bis zu seiner Berufung nach Ulm als Juniorgruppenleiter tätig war. Maßgeblich beteiligt an der Arbeit waren mit Professor Markus Gräler und Dr. Anna Kleiman auch Wissenschaftler vom Center for Sepsis Control and Care (CSCC) des Universitätsklinikums Jena. Das Projekt wurde im Rahmen des Ulmer Sonderforschungsbereichs zur Traumaforschung (SFB 1149: "Gefahrenantwort, Störfaktoren und regeneratives Potential nach akutem Trauma") realisiert. Weitere Fördermittel kamen aus dem Immunobone-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem BrainAge-Programm der Europäischen Union.

 

Hintergrund

Kortison ist eigentlich ein körpereigenes Hormon, das in der Nebennierenrinde produziert wird. Doch allgemeinsprachlich wird die Bezeichnung auch als Sammelbegriff für eine ganze Gruppe an Wirkstoffen und Medikamenten verwendet, die an den Glucocorticoid-Rezeptor (GR) binden und zur therapeutischen Behandlung von massiven Entzündungen eingesetzt werden. Der durch Glucocorticoide aktivierte Rezeptor entfaltet - je nach Molekülform - unterschiedliche molekulargenetische Wirkungen. Bekannt war bisher, dass der GR als Einzelmolekül (Monomer) proentzündliche Genschalter wie die Transkriptionsfaktoren AP1 und NF-κB deaktiviert, und dass er als Doppelmolekül (Dimer) direkt an die DNA bindet, um dort selbst genetisch aktiv zu werden. Die Tuckermann-Gruppe konnte nun kürzlich - in Zusammenarbeit mit der Universität von Pennsylvania und dem Helmholtz-Zentrum München - im renommierten Fachjournal Opens external link in new windowGenome Research nachweisen, dass der monomere Rezeptor normalerweise weitaus öfter direkt an die DNA bindet als angenommen, nach der Gabe von Glucocorticoiden diese Art der Bindung aber zurückgeht und dafür die dimere DNA-Bindung zunimmt. Vor allem für die Entwicklung neuer Kortisonpräparate sind die gewonnenen Erkenntnisse von großer Bedeutung. Denn nicht nur zur Optimierung der therapeutischen Wirkung, sondern auch zur Vermeidung von Kortison-Nebenwirkungen wie Osteoporose und Diabetes braucht es detailliertes Wissen über die molekularen Zusammenhänge.

Text und Opens external link in new windowMedienkontakt: Andrea Weber-Tuckermann