Die gute Nachricht vorab: Es gibt noch gute Menschen, und sogar recht zahlreich. Professor Urs Fischbacher, Festredner bei der feierlichen Eröffnung des "Ulm Laboratory for Economics and Social Sciences" (ULESS) fand sie in seinem Labor. Der Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Konstanz gehört zu den renommiertesten Experimentalökonomen und forscht über menschliches Entscheidungsverhalten.
Fischbacher, gebürtiger Schweizer, hat an der Universität Zürich Mathematik studiert und promoviert sowie nach einem Abstecher zu einem Software-Entwickler in Volkswirtschaftslehre habilitiert. Er beschäftigt sich am liebsten mit sozialen Phänomenen wie Altruismus, Fairness und Kooperation. "Mit dem Modell des Homo Oeconomicus, der sich ganz rational nur am individuellen Nutzen orientiert, ist soziales Verhalten kaum in Einklang zu bringen", so der Wirtschaftswissenschaftler. Aus Entscheidungsexperimenten mit monetären Anreizen, bei denen Probanden Geld erhalten - und je nach experimentellem Design - nach unterschiedlichen Regeln Geld an Mitspieler abgeben können, wissen die Verhaltensökonomen, dass Menschen dazu neigen, Gewinne fair zu teilen. Sie strafen sogar andere für unfaires Verhalten, wenn dies für sie selbst mit Kosten verbunden ist.
"Wichtig ist hier nicht zuletzt, wie das Verhalten anderer eingeschätzt wird", erläutert der Schweizer. Gehen die Probanden davon aus, dass auch die anderen etwas geben - beispielsweise in Situationen, in denen es sozial optimal ist, dass alle etwas geben - erhöht dies bei vielen die Bereitschaft, ebenso zu handeln. Bedingte Kooperation nennen die Forscher dieses Verhalten. "Gleichwohl es bei den Experimenten auch Trittbrettfahrer gibt und nicht wenige, die nur auf individuelle Nutzenmaximierung bedacht sind, ist der Anteil an Menschen, die `prosozial´ oder `kooperativ´ handeln, erstaunlich hoch", ergänzt Fischbacher. Und anders als Bertolt Brecht in seinem Lehrstück "Der gute Mensch von Sezuan" bezweifelte, gibt es nach Ansicht des Wissenschaftlers ziemlich viele gute Menschen - zumindest im Labor. "Gleichwohl die experimentelle Wirklichkeit sehr speziell sind, so ist sie doch real", betont er.
Das Experimentallabor gehört zu den größten und modernsten
Der Konstanzer Verhaltensökonom, der zu den führenden im Feld gehört, hat übrigens die weltweit verbreitete Software z-Tree entwickelt, die auch im Ulmer Computer-Labor eingesetzt wird. Die Software läuft nicht nur auf den 33 Personal Computern in den Probandenkabinen, sondern auch im Steuerungszentrum, wo die Experimente zentral ausgeführt werden. Das ULESS, das im Keller des Lehrgebäudes für Wirtschaftswissenschaften und Psychologie untergebracht ist, gehört übrigens zu den größten und modernsten seiner Art. Die Wissenschaftler testen und entwickeln hier verhaltensökonomische Ansätze, indem sie mit freiwilligen Probanden computergestützte Entscheidungsexperimente durchführen.
In seiner Einführung zu Beginn der Veranstaltung wies Professor Werner Smolny, neuer Dekan der Fakultät für Mathematik und Wirtschaftswissenschaften, auf die Weiterentwicklung der Wirtschaftswissenschaften durch computerbasierte Methoden hin. "Seit drei Jahren gibt es die Verhaltensökonomik nun an der Uni Ulm", freut sich Smolny. Im Zuge der Neuausrichtung des Fachbereiches habe sie sich an der Universität sehr erfolgreich etabliert. "Wir werden in Zukunft noch viel aus dem Labor und über das ULESS lesen", ist sich der Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik sicher. Professor Axel Groß, Vizepräsident für Forschung und Informationstechnologie, nutzt selbst den Computer als "Arbeitspferd" für seine Prognosen zu chemisch-physikalischen Materialeigenschaften. "Die Vorhersage von wirtschaftswissenschaftlichen Zusammenhängen ist, wie die weltweite Finanzkrise wohl gezeigt hat, noch schwerer", vermutet der Leiter des Instituts für Theoretische Chemie. Er ist sich aber sicher, dass die Ulmer Verhaltensökonomik mit ihrem neuen Experimentallabor dazu beitragen werde, "treffendere" Modelle für die Wirklichkeit zu finden.
Der Auftrag: Theorien prüfen, Fakten sammeln und den Praktikern helfen!
Die beiden Leiterinnen des ULESS, Professorin Gerlinde Fellner-Röhling und Professorin Sandra Ludwig vom Institut für Wirtschaftswissenschaften, dankten den Unterstützern des Projektes, allen voran dem Präsidium der Universität. In Anlehnung an Nobelpreisträger Professor Alvin Roth erinnerten die Forscherinnen an die Aufgaben der Verhaltensökonomik: "Theorien prüfen, Fakten sammeln und den Praktikern helfen!" Ein wichtiges Forschungsfeld auf diesem Gebiet ist beispielsweise die Wirkung von Anreizen. So wird etwa untersucht, ob durch soziale Vergleiche im Arbeitsumfeld der Leistungsanreiz steigt oder sinkt und ob psychologische Anreize ähnlich wie monetäre Anreize wirken.
Und dass das im Keller aufgestellte Sektbuffet mit den liebevoll hergerichteten Häppchen für viele Gäste durchaus Anreiz genug war, selbst mal als Proband in einer der Kabinen Platz zu nehmen, bewies das abschließende Experiment über Rationalitätsannahmen. Die zahlreich anwesenden Mathematiker waren hier nicht wirklich im Vorteil, weil trotz eigener Rationalität die Erwartungen über das rationale Verhalten der Anderen zu ganz erstaunlichen Ergebnissen führen. Die Gewinnerzahl war übrigens 22.
Das Experiment zur Rationalitätsannahme
Die am Computer gestellte Aufgabe lautete: "Jeder Teilnehmer wählt eine Zahl zwischen 0 und 100. Wir berechnen den Durchschnitt der gewählten Zahlen. Derjenige, dessen Zahl am nächsten an 2/3 dieses Durchschnitts herankommt, hat gewonnen."
Zum Labor
Studierende, Uni-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie alle Interessierten können an Experimenten im Ulmer Labor für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (ULESS) teilnehmen. Die Experimente am Computer dauern meist ein bis zwei Stunden und jeder Teilnehmer wird gemäß eigener Entscheidungen und Entscheidungen Anderer sowie Zufallseinflüssen in bar entlohnt. Interessierte müssen sich im System registrieren. Per E-Mail erhalten sie eine Einladung zu Experimenten, für die sie per Zufallsgenerator ausgewählt werden, mit genauen Angaben zum Zeitpunkt und zur Dauer.
Weitere Informationen im Netz unter <link mawi uless.html>www.uni-ulm.de/mawi/uless.html.
Fotos: Elvira Eberhardt/kiz
Verantwortlich: Andrea Weber-Tuckermann