Menschen, die über einen längeren Zeitraum einer höheren Feinstaubkonzentration ausgesetzt sind, haben ein größeres Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken. Diesen Zusammenhang hat eine internationale Forschergruppe mit wesentlichem Beitrag der Ulmer Wissenschaftlerinnen Dr. Gudrun Weinmayr und Professorin Gabriele Nagel vom Ulmer Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie in einer der größten Studien zum Thema nachgewiesen. Dazu wurden Daten aus 17 europäischen Kohortenstudien mit insgesamt über 300 000 Probanden ausgewertet. Dank Krebsregistern konnten die Wissenschaftler entsprechende Erkrankungen in den Kohorten über viele Jahre nachvollziehen. Ergebnisse der von der Universität Utrecht (Niederlande) koordinierten Studie „European Study of Cohorts for Air Pollution Effects“ (ESCAPE) sind jetzt in der Fachzeitschrift “The Lancet Oncology” erschienen.
Zuverlässige Daten zusammengeführt
Luftverschmutzung durch Feinstaub entsteht durch Autoabgase, Verbrennungsprozesse in der Industrie und Hausbrand. Je kleiner die Feinstaubpartikel sind, desto eher werden sie über die Atemwege aufgenommen und können bis in die Lunge und Blutbahn gelangen. In Europa dürfen Feinstaubteilchen mit einem Durchmesser von bis zu zehn Mikrometern (PM10) einen Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft nicht überschreiten.
Ziel der Forscher war es, die durchschnittliche Konzentration von Feinstaub und Stickoxiden möglichst genau zu bestimmen. Deshalb sind an den Studienzentren (Schweden, Dänemark, Norwegen, in den Niederlanden, Österreich, im Vereinigten Königreich, Italien, Spanien und Griechenland) spezielle Messstationen aufgebaut worden. Die Ulmer Wissenschaftlerinnen waren für die Auswertung der Daten aus Vorarlberg, dem westlichsten Bundesland Österreichs, zuständig: „Wir haben ausgehend von den Messdaten ein so genanntes Landnutzungsmodell berechnet und konnten so die durchschnittliche Luftverschmutzung über mehrere Jahre für die Adressen im untersuchten Gebiet quantifizieren“, erklärt Gudrun Weinmayr.
Für die Vorarlberger VHM&PP Kohorte (Vorarlberg Health Monitoring and Promotion Program)konnten zuverlässige Angaben aus verschiedenen Quellen zusammenführt werden: Diese Daten wurden zum Beispiel mit dem örtlichen Krebs- und Mortalitätsregister abgeglichen. Eventuelle Störfaktoren wie das Rauchen, die Ernährung und der soziale Status waren für ESCAPE Kohorten bekannt und wurden bei der statistischen Auswertung berücksichtigt.
Adenokarzinom besonders oft diagnostiziert
Das Ergebnis der Studie, die 2006 mit der konkreten Planung begann und seit 2011 an der Universität Ulm ausgewertet wird, ist eindeutig: Bereits eine Feinstaubkonzentration unterhalb des europäischen Grenzwerts erhöht die Wahrscheinlichkeit, an Lungenkrebs zu erkranken. Ein Zusammenhang zwischen der Stickoxidkonzentration und Krankheitsfällen ließ sich nicht nachweisen. Von den Studienteilnehmern entwickelten in 13 Jahren 2095 Personen einen Lungenkrebs. Besonders oft wurde ein so genanntes Adenokarzinom diagnostiziert – ein Krebs, der auch bei Nichtrauchern auftritt.
Gemäß der Studiengruppe führt bereits eine um zehn Mikrogramm erhöhte Konzentration von PM10-Teilchen zu einem um 22 Prozent erhöhten Lungenkrebsrisiko. „Wir können allerdings keinen Schwellenwert für eine Gesundheitsgefährdung durch Feinstaub festlegen. Generell gilt, auch unter 40 Mikrogramm pro Kubikmeter: Je weniger, desto besser“, sagen Gudrun Weinmayr und Gabriele Nagel.
Bei der ESCAPE-Studie haben hochrangige Experten aus ganz Europa zusammengearbeitet. „Aus den Kohorten und Umweltmessungen ist eine einzigartige Datensammlung entstanden. Ungenauigkeiten vorheriger Studien konnten entscheidend verbessert werden“, so Gabriele Nagel. Die Studie ist von der Europäischen Union (FP7/2007-2001) gefördert worden.
In Folgeprojekten soll zum Beispiel der Zusammenhang zwischen Feinstaubkonzentration und kardiovaskulären Erkrankungen – und von der Ulmer Gruppe Magenkrebs – untersucht werden.
Air pollution and lung cancer incidence in 17 European cohorts: prospective analyses from the European Study of Cohorts for Air Pollution Effects (ESCAPE) Dr Ole Raaschou-Nielsen PhD,Zorana J Andersen PhD,Rob Beelen PhD,Evangelia Samoli PhD,Massimo Stafoggia MSc,Gudrun Weinmayr PhD,Prof Barbara Hoffmann MD,Paul Fischer MSc,Mark J Nieuwenhuijsen PhD,Prof Bert Brunekreef PhD,Wei W Xun MPH,Prof Klea Katsouyanni PhD,Konstantina Dimakopoulou MSc,Johan Sommar MSc,Prof Bertil Forsberg PhD,Lars Modig PhD,Anna Oudin PhD,Bente Oftedal PhD,Per E Schwarze PhD,Prof Per Nafstad MD,Prof Ulf De Faire PhD,Prof Nancy L Pedersen PhD,Prof Claes-Göran Östenson PhD,Laura Fratiglioni PhD,Johanna Penell PhD,Michal Korek MSc,Prof Göran Pershagen PhD,Kirsten T Eriksen PhD,Mette Sørensen PhD,Anne Tjønneland DMSc,Thomas Ellermann PhD,Marloes Eeftens MSc,Prof Petra H Peeters PhD,Kees Meliefste BSc,Meng Wang MSc,Bas Bueno-de-Mesquita PhD,Prof Timothy J Key DPhil,Kees de Hoogh PhD,Hans Concin MD,Gabriele Nagel PhD,Alice Vilier MSc,Sara Grioni BSc,Vittorio Krogh MD,Ming-Yi Tsai PhD,Fulvio Ricceri PhD,Carlotta Sacerdote PhD,Claudia Galassi MD,Enrica Migliore MSc,Andrea Ranzi PhD,Giulia Cesaroni MSc,Chiara Badaloni MSc,Francesco Forastiere PhD,Ibon Tamayo MSc,Pilar Amiano MSc,Miren Dorronsoro MD,Prof Antonia Trichopoulou MD,Christina Bamia PhD,Prof Paolo Vineis MPH,Gerard Hoek PhD. The Lancet Oncology - 1 August 2013 ( Vol. 14, Issue 9, Pages 813-822 ) DOI: 10.1016/S1470-2045(13)70279-1
Verantwortlich: Annika Bingmann