Ohne Herz können wir nicht leben. Gleichzeitig haben viele angehende Ärztinnen und Ärzte Schwierigkeiten, sich das Organ in all seiner Komplexität räumlich vorzustellen. An der Universität Ulm lernen Medizinstudierende seit wenigen Monaten mit einem virtuellen, dreidimensionalen Herzmodell: Auf einem stereoskopischem Monitor können sie das Cyber-Organ heranzoomen, drehen und künftig auch betreten – eine zusätzliche VR-Brille macht es möglich.Das Herzmodell ist eine der wenigen stereoskopischen 3D-Anwendungen in der Medizinerausbildung bundesweit. Auf der Frankfurter Buchmesse (19.-23.Oktober) präsentieren das Kompetenzzentrum eLearning in der Medizin Baden-Württemberg der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm in Kooperation mit der Firma Imsimity und der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe das vielversprechende Lerninstrument.
Für Medizinstudierende stellt das menschliche Herz eine besondere Herausforderung dar: Aufgrund seiner Lage im Körper haben viele angehende Ärztinnen und Ärzten Probleme, sich die genaue Position der Herzkammern und –klappen vorzustellen. Und selbst Ultraschallbilder des gesunden Herzens sind für die Anfänger oft nur schwer zu verstehen. Seit einigen Monaten erlernen Studierende der Universität Ulm Funktionen des gesunden und des kranken Herzens sowie die Interpretation von Ultraschallbildern mithilfe eines 3D-Modells. Dazu wurde die etablierte Online-Lernplattform Moodle um eine stereoskopische Einheit erweitert: Durch die 3D-Brille ist das Herz auf dem entsprechenden Monitor nun detailgetreu und interaktiv (be)greifbar. Studierende können einen Ultraschallstrahl durch das Cyber-Organ führen und sich mit einem Mausklick beispielsweise den Blutfluss anzeigen lassen.
Gleichzeitig können sie sich die Auswirkungen einer undichten Herzklappe oder eines Herzinfarkts demonstrieren lassen. Denn das Lernprogramm beinhaltet natürlich auch Erklärungen in Form von Audiodaten und beispielsweise Infografiken zur Funktion des gesunden wie des kranken Herzens. „In der Anatomischen Lehrsammlung haben wir das Herz unter anderem anhand von Plastikmodellen kennengelernt. Doch erst durch das stereoskopische Modell habe ich einen wirklich guten Eindruck von diesem Organ erhalten“, sagt Franziska Heimerl, Medizinstudentin im siebten Semester.
Lernen im dreidimensionalen Raum
Den großen Lernerfolg seiner Studierenden kann Dr. Wolfgang Öchsner, Oberarzt in der Abteilung Kardioanästhesiologie der Ulmer Uniklinik, nur bestätigen: Der Dozent hat das Cyber-Herz im Sommersemester erstmals im Wahlfach „Lernen in 3D – Herzfunktion und Herzultraschall“ eingesetzt. „Die Raumstruktur des Herzens ist eigentlich schwer zu vermitteln. Doch im Wahlfach musste ich dank des stereoskopischen Modells nur wenige Fragen beantworten. Die guten bis sehr guten Klausurergebnisse zeigen, dass die Studierenden tatsächlich Vieles verstanden haben“, so der Hochschullehrer mit zusätzlichem Masterabschluss in Medizindidaktik. Gerade angehenden Ärztinnen und Ärzten mit wenig ausgeprägtem räumlichem Vorstellungsvermögen kommt das 3D-Modell zugute – was sich auch bei Hospitationen im Operationssaal zeigt. Deshalb sollen Studierende künftig auch außerhalb des Wahlbereichs von dem virtuellen Herzen profitieren.
Von der Idee bis zum ersten Einsatz der stereoskopischen 3D-Anwendung hat es noch nicht einmal ein Jahr gedauert. Dafür haben erfahrene Pädagogen wie Claudia Grab (Leiterin Bereich Studium und Lehre der Medizinischen Fakultät) sowie eLearning Experten des Kompetenzzentrums eLearning und der Firma Imsimity ihr Wissen gebündelt. „Besonders herausfordernd waren die korrekte anatomische Darstellung des Herzens und beispielsweise die Animation der Herzklappen. Zudem musste das stereoskopische Modell sinnvoll in die vorhandene Lernumgebung integriert werden“, erinnern sich Claudia Grab und Wolfgang Öchsner. Dank eines Sponsors können die Studierenden einen stereoskopischen Monitor und die dazugehörige 3D-Brille für die Dauer des Seminars sogar mit nach Hause nehmen.
Spaziergang durchs Herz
Im nächsten Schritt soll das neue Lerninstrument um Virtual-Reality-Brillen erweitert und ein entsprechendes „VR-Lab“ eingerichtet werden: Dann können Studierende sogar in dem Herzen spazieren gehen. Durch dieses erste virtuelle Organmodell wollen die Ideengeber auch wissenschaftliche Fragestellungen beantworten und unter anderem herausfinden, welche Transferleistungen schneller und besser im dreidimensionalen Raum gelingen. Eventuell sollen dann weitere Cyber-Organe an der Medizinischen Fakultät eingesetzt werden. „Gutes Lernen passiert nicht in einer Dimension. Wir brauchen viele Formate und Medien“, resümiert Dr. Öchsner.
Auf der Frankfurter Buchmesse können alle Interessierten das Cyber-Herz auf einem großen stereoskopischen Monitor oder mittels VR-Brille erfahren. Anschließend geht das neuartige Lernmodell auf „Innovationswalz“: Im Auftrag der Firma Imsimity stellen Abiturienten das Cyber-Herz und andere VR-Anwendungen aus dem Bildungsbereich in aller Welt vor – neben den USA ist sogar der Vatikan Reiseziel.
Auf der Frankfurter Buchmesse ist das virtuelle Herz vom 19. bis zum 23. Oktober in Halle 4.2 am Stand B83 zu sehen. Am Freitag, 21. Oktober (13:00 Uhr), berichten Vertreter des Kompetenzzentrums eLearning in der Medizin auf der „Hot Spot Education Stage“ gemeinsam mit den Partnern über Entstehung und Einsatzmöglichkeiten des Cyber-Herzens.
Text und Medienkontakt: Annika Bingmann