Professor Gerhard Rettinger, Ärztlicher Direktor der Ulmer Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, wird von Mittwoch bis Sonntag dieser Woche als Kongresspräsident in Wiesbaden die 81. Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie leiten. Dazu werden täglich bis zu 2000 Teilnehmer erwartet, überwiegend HNO-Ärzte aus Deutschland, aber auch aus anderen europäischen Ländern und aus den USA. Rettinger, seit Mai des Vorjahres Präsident des nationalen Fachverbandes, wird bei der Eröffnungsveranstaltung ferner mit einem ungewöhnlichen Vortrag aufwarten: „Himalaya-Medizin – Wissen teilen?“ ist er überschrieben. „Ich möchte unser Medizinsystem dem dortigen gegenüberstellen“, sagt der Ulmer Mediziner, der dabei auf vielfältige eigene Erfahrungen zurückgreifen kann.
Drei Mal hat er als Arzt und Rucksacktourist entlegene Gebiete des Himalaya bereist, speziell das innere Mustang, das innere Dolpo und die Zanskar-Region in Ladakh, hat dort Kranke mit verschiedenen Problemen behandelt. „Offenkundig setzen die Patienten dort hohes Vertrauen in die westliche Medizin“, hat er schnell festgestellt. Andererseits verzeichneten Komplementär-Therapien oder auch alternative Methoden hierzulande wachsendes Interesse, Homöopathie oder Naturheilkunde etwa oder auch die traditionelle chinesische Medizin (TCM). Therapiesysteme mit so genanntem ganzheitlichem Ansatz also.
„Gesundheitssysteme und Gesundheitsversorgung im Himalaya und in Deutschland können unterschiedlicher nicht sein“, erklärt Professor Rettinger. Dennoch lohne sich ein Vergleich, auch verbunden mit der Fragestellung: „Wohin hat sich unsere Medizin entwickelt und ist alles reiner Fortschritt?“
Verbunden überdies mit bemerkenswerten Erkenntnissen. Dass psychische Erkrankungen im Himalaya Rettinger zufolge nicht gelistet und damit wohl auch zahlenmäßig nicht von Bedeutung sind. Eine Frage, die sich nicht nur der Ulmer Wissenschaftler stellt: „Lässt das harte Leben dort keinen Raum für psychische Störungen?“ Wie auch immer: Er wird bei seinem Vortrag eine ganze Reihe von Aspekten aufgreifen, vom Krankheitsverständnis über Diagnose und Therapie, typischen Erkrankungen bis zum Arzt-Patienten-Verhältnis und den Zugang zum Arztberuf. Nicht zuletzt das „überproportionale Regulierungssystem in Deutschland“.
Nur zu gerne hätte der Klinikchef den Kongress übrigens in Ulm einberufen. „Ich hatte das schon im Auge und intensiv geprüft“, so Professor Rettinger, „aber die räumlichen Kapazitäten reichen einfach nicht aus“. Verständlich. „Vor acht Jahren, beim Kongress der Europäischen Rhinologischen Gesellschaft in Ulm, hatten wir rund 1000 Teilnehmer“, erinnert sich der HNO-Präsident, „aber schon damit waren wir absolut an der Grenze“.