Konsequent vernachlässigt und häufig total ignoriert werden sie, und das mit spürbar schmerzhaften Folgen: Bindegewebe wie Sehnen, Knorpel und Muskelhüllen. Was der Metzger gerne wegschneidet, spielt im menschlichen Bewegungsapparat eine Schlüsselrolle. Doch bisher fand das Bindegewebe in der Sportmedizin weitaus weniger Beachtung als die üblichen Verdächtigen wie Muskeln, Knochen und Herzkreislaufsystem. Völlig zu Unrecht, wie Professor Jürgen Steinacker findet. Der Leiter der Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin der Uniklinik Ulm: „Dieses – alles andere als tote – Gewebe ist für Sportverletzungen und Überlastungsschäden sehr empfänglich, doch aufgrund eingeschränkter Diagnose-Methoden wurde das in der Sportmedizin gerne übersehen.“
„Connect 2013“ könnte dies möglicherweise ändern. Die von Steinacker und dem Ulmer Neurophysiologen Dr. Robert Schleip organisierte Tagung, die vom 12. bis zum 14. April an der Universität Ulm stattfindet, wird dem Stiefkind der Sportmedizin einen internationalen Auftritt verschaffen. „Viele Wiedereinsteiger unter den Läufern kennen das Problem. Sie überanstrengen sich gerade am Anfang, weil Muskeln, Herz und Lunge so gut mitmachen. Die Rechnung dafür zahlen dann Sehnen und Bänder“, erklärt Schleip. Der Neurophysiologe gehört zu den führenden Faszienforschern in Deutschland. „Faszie“ wird in der Medizin als Überbegriff für kollagenes Bindegewebe gebraucht, meint speziell aber auch die festen und flachen Bindegewebsschichten, die die Muskulatur umschließen aber auch einzelne Muskelfasern umhüllen.
Ohne Bindegewebes läuft gar nichts
Grundidee der Tagung ist es, Bindegewebsforscher, Sportmediziner, Physiotherapeuten und Trainer zusammen zu bringen, um den Transfer von Forschungsergebnissen auf diesem Gebiet in die sportliche und therapeutische Praxis zu erleichtern. „Das macht unsere Tagung so besonders“, ist Gastgeber Steinacker überzeugt. Im Mittelpunkt steht dabei die Rolle des Bindegewebes für den Bewegungsapparat und daraus abgeleitete Aspekte der Diagnostik und Therapie. Wie sieht das Zusammenspiel von Muskulatur und Bindegewebe bei der Kraftübertragung aus? Wie reagieren unterschiedliche Gewebearten auf Trainingsüberlastungen?
„Wir möchten die grundlegenden Prozesse im Gewebe verstehen, die sowohl für die Schädigung als auch für die Regeneration von Geweben verantwortlich sind“, so Steinacker. Dabei geht es zum einen um die Regulation von Entzündungsreaktionen, aber auch um den Einfluss von Stress auf Gewebeheilung und -degeneration. Im Mittelpunkt stehen allerdings auch ganz praktische Aspekte, die für Therapie und Reha von Bedeutung sind, wie das Stretching oder spezielle Massagetechniken und Diagnosemittel.
Das Fachwissen muss raus in die Praxis
Um den Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis zu optimieren, werden zahlreiche mehrstündige Workshops angeboten, in denen frisch Gelerntes, ausprobiert und trainiert werden kann. So können die Anatomiekenntnisse verbessert oder der Umgang mit neuen bindegewebsempfindlichen Ultraschallgeräten geübt werden. Ob elastisches Gehen, therapeutisches Stretching oder richtiges Laufen: der praktische Erkenntnisgewinn ist groß. Weiter gibt es Angebote zur Muskeltonus-stimulierende Massage (Myoflextherapie), zur Faszienmanipulation, oder Tipps zum richtigen „Tapen“. „Mit fachmännisch angebrachten Klebestreifen lässt sich beispielsweise die Gewebematrix aus Muskel- und Faszienzellen auf Stabilität und Flexibilität hin optimieren, was vor allem für Trainer und aktive Sportler interessant ist“, erläutert die Ulmer Sportwissenschaftlerin Dr. Martina Velders, die als Koordinatorin die Tagung betreut.
Die Referentenliste von „Connect 2013“ ist international. Auf ihr finden sich die Namen renommierter Sportmediziner und Bindegewebsforscher aus Europa, Asien und Nordamerika. „Besonders glücklich sind wir natürlich, dass wir auch Klaus Eder als Redner gewinnen konnten“, so der Ulmer Faszien-Forscher Schleip. Der Physiotherapeut Eder betreut unter anderem die Fußball-Nationalelf. „Mittlerweile ist die Faszien-Forschung ja so weit gediehen, dass wir die wissenschaftlichen Grundlagen für Eders `heilende Hände´ kennen“, meint Sportmediziner Steinacker. Und dass gerade auch die Ulmer Forschung auf diesem Gebiet dazu beitragen konnte, macht die Veranstalter besonders stolz.
Weitere Informationen:
Martina Velders (PhD), Uniklinik Ulm, Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin,
Tel.: 07 31 / 500 – 453 68
Tagungsprogramm im Netz
Tagungsfilm auf Youtube: http://www.youtube.com/watch?v=9RBtupY9_j4
Verantwortlich: Andrea Weber-Tuckermann