„Als Experten tragen wir eine besondere Verantwortung“
Prof. Florian Steger über Ethik in der Wissenschaftskommunikation
Wissenschaft verändert die Gesellschaft, und deshalb muss sie sich ihr gegenüber erklären. Eine besondere Stellung haben hier die zentralen Akteure der institutionalisierten Wissenschaftskommunikation und natürlich die Forschenden selbst. Wie man Forschungsergebnisse verantwortungsvoll kommuniziert, erklärt der medienerfahrene Medizinhistoriker und Medizinethiker Professor Florian Steger.
„Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genießen in unserer Gesellschaft einen besonderen Expertenstatus, der ihnen in der Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit verschafft. Sie tragen deshalb eine besondere Verantwortung, wie man dies gerade jetzt während der Pandemie gut sieht“, sagt Professor Florian Steger, Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Ulm. Mit seiner medizingeschichtlichen Forschung zum Nationalsozialismus sowie zur DDR und mit seiner medizinethischen Expertise steht der Wissenschaftler immer wieder im Rampenlicht medialer Berichterstattung.
Es geht um nichts weniger als darum, den Menschen in die Lage zu versetzen vernünftig zu handeln, um seiner Rolle in der Gesellschaft auf verantwortungsvolle Weise gerecht zu werden.“
Im 50. Jubiläumsjahr der Universität Ulm löste Steger mit seiner Forschung zu den nationalsozialistischen Verstrickungen des Hämatologen und Uni-Gründungsrektors Professor Ludwig Heilmeyer ein gewaltiges Medienecho aus. Mit seiner Forschung zur Zwangseinweisung von Mädchen und jungen Frauen in geschlossene Venerologische Stationen in der DDR erregte der Medizinhistoriker auch international großes öffentliches Aufsehen.
„Es ist unser Auftrag als Wissenschaftler, auch mit kritischen Forschungsergebnissen an die Öffentlichkeit zu treten. Das führt dann zu bisweilen kontroversen Diskussionen“, meint Steger. Doch auch bei scheinbar einfachen Fragestellungen ist Vorsicht geboten, wenn man sich als Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin an die Öffentlichkeit wendet. Die Medien neigen gelegentlich dazu, Sachverhalte zuzuspitzen, um ihrer ‚Story‘ einen gewissen Spin zu geben, und nicht selten kommt es zu Vereinfachungen, die den wissenschaftlichen Aussagen nicht immer ganz gerecht werden.
„Die Darstellung fachlicher Kompetenz muss dabei nicht auf Kosten einer verständlichen Sprache gehen“, erklärt Florian Steger, der selbst unter anderem zu ethischen Aspekten der Stammzellforschung und der Pränatalmedizin forscht. Hier gilt es, ein gutes Gleichgewicht zu finden zwischen wissenschaftlichen und journalistischen Arbeitsweisen sowie Erfordernissen. Ansonsten empfehle sich insbesondere bei Medienanfragen zu Forschungsthemen, zu denen man nicht selbst wissenschaftlich arbeitet, eine gewisse Zurückhaltung: „Bin ich überhaupt Experte auf dem angefragten Gebiet?“ Grundsätzlich hilft es immer zu hinterfragen, wie aussagekräftig die eigene Forschung im Hinblick auf Journalistenanfragen ist. Wo sind die Grenzen meiner Expertise? Was kann ich belegen und was nicht?
„In erster Linie geht es in der Wissenschaftskommunikation natürlich um Argumente, die auf Evidenz basieren, und nicht um Bauchgefühl“, so Steger. Doch wer auch immer empirische Fakten und reproduzierbare Ergebnisse zu liefern vermag, müsse sich bewusst sein, dass den darauf aufbauenden Aussagen ein theoretisches Fundament zugrunde liegt, das wiederum kritisch zu hinterfragen ist. „Wissenschaft ist ein fortschreitender Erkenntnisprozess“, erklärt Steger, der Medizin und Geisteswissenschaften studiert hat. Darauf müsse man bei guter Wissenschaftskommunikation immer hinweisen. Es gibt keine Gewissheit und keine universelle Wahrheit – nur Evidenz, die bestimmte Aussagen stützt und andere eben nicht.
Wissenschaftskommunikation ist ein öffentlicher Akt und hat Konsequenzen für die Gesellschaft, die ins Politische hineinreichen. Was würde passieren, wenn ich als Wissenschaftler plötzlich behaupten würde, Alltagsmasken sind zur Eindämmung der Corona-Pandemie nutzlos? „Man kann mit solchen Aussagen natürlich Politik machen; aber das ist ein sehr dünnes Eis. Es sei denn, man hat hinreichend Evidenz für solch eine Behauptung“, meint Steger, der an der Universität Ulm der Ethikkommission und der Kommission „Verantwortung in der Wissenschaft“ vorsitzt.
Wissenschaftskommunikation darf auch kritisch sein
Aber natürlich können und sollen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch bei Themen zu Wort melden, die noch nicht „fix und fertig“ beforscht sind. Insbesondere wenn es darum geht, Risiken für die Gesellschaft aufzuzeigen oder mögliche Gefahren anzusprechen, steht die Wissenschaft in der Verantwortung. „Meldungen aus der Wissenschaft dürfen auch Kritisches enthalten. Das ist legitim und keine Nestbeschmutzung“, sagt Steger. Besonders brennt Steger das Thema Technikfolgenabschätzung auf den Nägeln. Dabei geht es nicht nur um das Aufzeigen „technischer“ Grenzen neuer Verfahren und Methoden, sondern auch um die Diskussion ethischer Fragen rund um das Potenzial neuer Erkenntnisse und Entwicklungen.
Wichtig ist auch die Bewertung sicherheitsrelevanter Forschung. „Das erwarte ich von der Medizin und den Lebenswissenschaften, beispielsweise bei Fragen zur Stammzellforschung oder zur genetischen Veränderung des Erbguts“, so der Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. Und das erwarte er gleichermaßen von den technischen Fächern: ob es dabei um den Einsatz Künstlicher Intelligenz geht, um das autonome Fahren oder um Fragen der künftigen Energieversorgung. Die Herausforderung bestehe letztendlich darin, fortwährend die Risiken zu minimieren.
Gute Wissenschaftskommunikation soll aber auch keine unbegründeten Befürchtungen wecken, und noch weniger soll sie falsche Hoffnungen machen. „Heilserwartungen gibt es immer. Hier steht besonders die medizinische Forschung unter Druck“, sagt Steger. Doch dürfe man diesem Druck nicht einfach achgeben. Gute Wissenschaftskommunikation ist nicht nur achtsam in der Aussage, sondern ebenso sensibel in der Sprache. Übertreibungen, unzulässige Zuspitzungen und simplifizierende Vereinfachungen sind fehl am Platz.
Dies besagen auch die Leitlinien für eine gute Wissenschafts-PR, wie sie vom Bundesverband für Hochschulkommunikation und der Wissenschaftskommunikationsplattform „Wissenschaft im Dialog“ formuliert wurden. Auch die verwendete Terminologie gilt es in Stegers Augen kritisch zu hinterfragen, insbesondere im Hinblick auf den damit transportierten Subtext. „Zu viel oder falsch verwendete Fachtermini erschweren das Verständnis und schaffen eine unangemessene Distanz gegenüber dem Empfänger, der dann auch nur schwerlich partizipieren kann“, so Steger.
Als „Vierte Gewalt“ spielen die Medien eine Schlüsselrolle in unserem politischen System – und zwar als Kontrollinstanz sowie als Katalysator der öffentlichen Meinungsbildung. Und auch die Wissenschaft ist Medienvertretern gegenüber rechenschaftspflichtig. „Das heißt aber nicht, dass man über jedes Stöckchen springen muss, das einem hingehalten wird“, sagt Steger.
„Als Wissenschaftler kann ich mit allen Journalistinnen und Journalisten sprechen, aber ich muss es nicht“, erklärt der Medizinethiker, der selbst schon eine Vielzahl an Fernseh-, Radio- und Zeitungsinterviews gegeben hat. Doch man sollte sich auch nicht wegducken, wenn das Medieninteresse groß und das Thema wichtig ist. Denn gute Wissenschaftskommunikation steht – wie auch der Berliner Virologe Christian Drosten in seiner Schiller-Rede betont – ganz und gar in der Tradition der Aufklärung: Es geht um nichts weniger als darum, den Menschen in die Lage zu versetzen, vernünftig zu handeln, um seiner Rolle in der Gesellschaft auf verantwortungsvolle Weise gerecht zu werden.
Text: Andrea Weber-Tuckermann
Fotos: Shutterstock, Elvira Eberhardt