Homeoffice und digitales Semester fordern IT und Bibliothek
Das kiz in der Coronakrise: Von jetzt auf gleich in den Notbetrieb
Wie bringt man eine ganze Universität binnen weniger Tage ins Homeoffice? Und welche digitale Infrastruktur ist für ein komplettes Online-Semester nötig? Was sich wie der Albtraum eines jeden Rechenzentrumleiters anhört, wurde für das Kommunikations- und Informationszentrum (kiz) der Universität Ulm während der Corona-Krise Realität.
Für viele Arbeitnehmerinnen und -nehmer deutschlandweit bedeuteten die coronabedingten Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen Entschleunigung und oftmals leider auch Kurzarbeit. Hinter etlichen Mitarbeitenden des Kommunikations- und Informationszentrums der Uni Ulm liegen hingegen die wohl arbeitsreichsten Wochen ihres Lebens. Während des Uni-Notbetriebs mussten die Beschäftigten aus den Bereichen IT, Bibliothekswesen und Medien Kreativität und Schnelligkeit beweisen – denn einen erprobten Pandemieplan für das kiz gab es nicht. „Als die Schließung der Universität immer wahrscheinlicher wurde, haben wir in wöchentlichen und später fast täglichen Meetings überlegt, welche Dienste insbesondere für die digitale Lehre wie ertüchtigt werden müssen. Außerdem galt es abzuschätzen, wo wir das Uni-Netz ausbauen müssen“, erinnert sich kiz-Leiter Professor Stefan Wesner.
Noch vor Beginn des Sommersemesters lag allerdings eine ganz andere Herkulesaufgabe vorm kiz: Am Dienstag, 16. März, beschloss der Pandemiestab, die Universität binnen drei Tage zu schließen und in den Notbetrieb zu versetzen. Das bedeutete Homeoffice für rund 3800 Mitarbeitende und 10 000 Studierende von jetzt auf gleich. Zwar gab es eine Reihe von Uni-Mitgliedern in Verwaltung und Wissenschaft, die bereits vor der Corona-Pandemie mobiles Arbeiten genutzt haben, für den Rest mussten jedoch schnell umsetzbare Lösungen gefunden werden. Dabei konnten selbst die IT-Spezialisten des kiz nur schwer vorhersehen, was passiert, wenn sich die Zugriffe auf die Uni-Netze von extern auf einmal vervielfachen. Zunächst galt es also, die VPN-Infrastruktur zu ertüchtigen, über die Beschäftigte aus dem Homeoffice auf ihre UniDaten zugreifen. „Insgesamt haben wir eine gut umsetzbare Homeoffice-Lösung gefunden, die auch vom Datenschutz und von der Informationssicherheit her akzeptabel ist. Die Daten werden weiterhin auf dem Dienstrechner verarbeitet, auf den per Remote Desktop-Verbindung über eine sichere VPN-Verbindung vom heimischen PC aus zugegriffen wird“, erklärt Guido Hölting, Leiter der kiz-Abteilung Servicemanagement und Organisation. Wesentlich mehr Probleme bereiteten die Rufumleitungen an die Heimarbeitsplätze: Da es nicht genug Amtsleitungen gibt, musste eine Priorisierung vorgenommen werden.
Ohnehin mussten für Heimarbeit und digitale Lehre neue Kommunikationsmöglichkeiten her: Nicht zuletzt um das Ausfallrisiko zu minimieren, wurden deshalb gleich zwei Videokonferenzdienste angeschafft. Zum einen Cisco WebEx für Arbeits- und Projektbesprechungen und zum anderen die Open-Source-Lösung Big Blue Button. Dieser Dienst ist sehr gut in die Lernplattform Moodle integrierbar und ermöglicht bis zu 80 parallele, interaktive Veranstaltungen mit einer zweistelligen Teilnehmerzahl. Den schnellen informellen Austausch unter Kollegen oder mit Studierenden sollte hingegen die Plattform „Rocket Chat“ erleichtern.
Digitales Semester als Herausforderung
Doch kaum waren alle Uni-Mitglieder im Homeoffice, stand das erste digitale Semester in der Geschichte der Universität Ulm vor der Tür. Um eine weitere Ausbreitung des neuen Coronavirus zu verhindern, wurden zunächst alle Präsenzveranstaltungen an der Universität abgesagt und Lehrende erhielten die Aufforderung, für ihre Vorlesungen, Seminare oder Übungen Online-Alternativen vorzubereiten.
Für das kiz bedeutete dies: Die vorhandenen Speicher- und Netzkapazitäten mussten ausgebaut werden, damit möglichst viele Studierende gleichzeitig einer Online-Vorlesung folgen und zu jeder Zeit Materialien herunterladen können. Da alle Dozentinnen und Dozenten zum Einsatz der Lernplattform Moodle verpflichtet wurden, war hier mit einer verzehnfachten Nutzung zu rechnen. Bei der Software zur Planung, Aufzeichnung und Veröffentlichung audiovisueller Lerninhalte „Opencast“ musste das kiz sogar von einer noch stärkeren Zunahme ausgehen.
Wertvolle Unterstützung, insbesondere beim Aufbau und bei der Skalierung von Videokonferenzlösungen für Lehrveranstaltungen, erfuhr das kiz vom Institut für Organisation und Management von Informationssystemen (OMI) und von Seiten der School of Advanced Professional Studies (SAPS). Schon lange vor der Corona-Krise hatte die SAPS in der berufsbegleitenden Weiterbildung auf digitales Studieren gesetzt und verfügt daher über einmaliges Wissen. Außerdem war die Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Lehrentwicklung (ZLE) eng. Vorm Start des Onlinesemesters haben die Didaktikexpertinnen und -experten Lehrende beraten, wie sie ihre Veranstaltungen sinnvoll digitalisieren können – das kiz übernahm den technischen Part.
„Um sicher zu stellen, dass alle Studierenden auch bei schlechtem Zugangsnetz an den Online-Veranstaltungen teilnehmen können, haben wir gemeinsam mit dem ZLE asynchrone Lehrformate empfohlen“, erinnert sich Professor Wesner. In diesem Zusammenhang sei die sinnvolle Komprimierung von Videos, die bereits beim Hochladen angewandt wird, ein großes Thema gewesen.
Bücher per Post oder Kurier
Auch jenseits der IT war das kiz während des Notbetriebs gefordert: Trotz Bibliotheksschließung musste die Versorgung der Universität mit Informationsmedien gewährleistet bleiben. Neben dem Erwerb neuer E-Medien und dem Service, digitale Semesterapparate zu erstellen, erweiterten auch viele Verlage ihr kostenfreies Angebot. Im Raum Ulm begeisterte eine besondere Dienstleistung Studierende wie Lehrende: Das kiz lieferte bestellte Bücher per Post oder Fahrradkurier an die Wunschadresse. In der Betriebsstufe 2 konnten Print-Medien dann in umfunktionierten Schließfächern der Bibliothek selbst abgeholt werden. „Die für den Semesterbeginn benötigten E-Books sehr rasch zur Verfügung zu stellen, war uns ein wichtiges Anliegen. Dafür haben wir auch Sonderschichten an den Wochenenden in Kauf genommen“, betont Dr. Pia Daniela Schmücker, Leiterin der Abteilung Informationsmedien. Seitdem die Lernflächen der Bibliothek wieder geöffnet sind und vorab online reserviert werden können, liegt die Auslastung bei 100 Prozent. In der Bibliothekszentrale steht Uni-Mitgliedern jetzt sogar ein neu ausgestatteter Loungebereich zur Verfügung – selbstverständlich unter Wahrung der Corona-Abstandsregeln.
„All diese Aktionen waren nicht nur technisch und organisatorisch anspruchsvoll, sondern auch kommunikative Herausforderungen“, untermauert der Leiter der Abteilung Medien, Bernd Aumann. kiz-intern und darüber hinaus mussten neue Kommunikationswege geebnet werden – etwa zur Vizepräsidentin für Lehre, zu den Studiendekanaten sowie zum ZLE und seinem Pendant in der Medizin, dem Kompetenzzentrum eLearning. Insgesamt habe die gemeinsame Arbeit an einem Ziel ein ganz neues Vertrauensverhältnis zwischen den Uni-Einrichtungen geschaffen.
Dabei steht fest: Besonders bei der Vorbereitung des Online-Semesters sind viele kiz-Mitarbeitende an ihre Grenzen und darüber hinausgegangen. Dementsprechend war die Anspannung groß, als die Vorlesungszeit am 20. April offiziell begann. „Zum Start der Online-Lehre war da schon ein gewisses Kribbeln zu spüren. Wir wussten ja nicht, ob alles wie geplant funktionieren würde“, so Professor Wesner. In den ersten Semesterwochen habe man die Systeme genau beobachtet und bei Nutzungsänderungen Anpassungen vorgenommen. Für viele Szenarien lagen Notfallpläne bereit, die jedoch nur bei einer einzigen Störung zum Einsatz kommen mussten.
Für das nahende Wintersemester sieht die kiz-Leitung die Universität gut gewappnet. Allerdings rechnen die IT-Experten mit vermehrten Anfragen von Erstsemestern, die etliche Online-Dienste noch nicht kennen, und neuen Nutzungsmustern. Bei einem Mix aus Präsenz- und Onlineveranstaltungen könnten Studierende Vorlesungen beispielsweise vermehrt auf dem Campus streamen. Doch auch für solche Szenarien werden die Spezialisten aus dem kiz eine Lösung finden.
Helfen aus dem Homeoffice
kiz-Helpdesk im Krisenmodus
Der Helpdesk des Kommunikations- und Informationszentrum (kiz) unterstützt Uni-Beschäftigte und Studierende nicht nur bei IT-Problemen aller Art. Auch mit den Services der Uni-Bibliothek und sonstigen Dienstleistungen wie Drucksachen kennt sich das Team um Rita Lindenmayer bestens aus. Kein Wunder also, dass ihr Rat gerade während des coronabedingten Notbetriebs der Uni gefragt war.
Ab Mitte März musste auch der kiz-Helpdesk ins Homeoffice verlegt werden. Wie verlief der Übergang in den Notbetrieb für Sie?
Lindenmayer: „Wir waren ganz kurz in einer Art Schockstarre. Dann haben wir uns aber sofort daran gemacht, die eigenen Geräte zuhause zum Laufen zu bringen – unsere kiz-Kollegen hatten den Übergang ins Homeoffice glücklicherweise gut vorbereitet. Da die Mitarbeitenden des Helpdesks in einem rotierenden System eine Telefon-Sammelleitung nutzen, war eine Rufumleitung in die verschiedenen Homeoffices nicht möglich. Während des Notbetriebs und in der Stufe 2 haben wir die Ratsuchenden also gebeten, E-Mails mit ihrem Anliegen an unsere zentrale Adresse zu schreiben. So konnten wir etwas vorarbeiten und die Anfragenden zurückrufen.“
Ist der Beratungsbedarf während des Notbetriebs gestiegen? Was waren häufige Probleme?
„Es war nie so ein Hype wie befürchtet. Insgesamt haben wir aber schon deutlich mehr Anfragen als üblich erhalten. Außerdem hat sich die Qualität der Fragen durch neue Dienste wie Videokonferenzen und Online-Vorlesungen verändert. Zu Beginn des Notbetriebs hatten viele Nutzerinnen und Nutzer ihr Passwort vergessen und konnten so weder auf ihren kiz-Account noch auf die Lernplattform Moodle zugreifen. Außerdem hat die Rufumleitung oder die Pflege von Webseiten im Homeoffice mithilfe von Typo3 nicht bei allen sofort geklappt. Darüber hinaus hegten einige Beschäftigte Bedenken, den VPN-Client auf ihrem Rechner zu installieren. Insgesamt waren Studierende im Homeoffice meist schneller arbeitsfähig als Beschäftigte. Von studentischer Seite kamen eher Nachfragen zu unseren Services. Viele wollten wissen, wo sie Skripte und Hausarbeiten ausdrucken können oder wann und unter welchen Bedingungen Bücher aus der Bibliothek ausgeliehen werden können.“
Wie haben Sie die Anfragen während der Homeoffice-Phase auf die Teammitglieder verteilt?
„Da die Mitarbeitenden des Helpdesks auch im Normalbetrieb in verschiedenen Büros sitzen, machte die Homeoffice-Situation keinen allzu großen Unterschied. Dank des Ticketsystems ließen sich die täglichen Anfragen gut aufteilen. Meine Kolleginnen und ich stammen aus dem Bibliotheksbereich und ein weiterer Mitarbeiter ist Fachinformatiker. Dazu kommen drei studentische Aushilfen. Können wir ein Problem nicht selbst lösen, kontaktieren wir die Kollegen auf der zweiten Ebene, die Experten für ein bestimmtes Programm oder einen Service sind. Ich bezeichne den Helpdesk gerne als selbstlernendes System: Wir schauen uns immer die Antworten der Fachkollegen an und können bei der nächsten ähnlichen Anfrage entsprechend darauf reagieren. Letztes Jahr konnte der Helpdesk über 40 Prozent der insgesamt knapp 20 000 Anfragen selbstständig beantworten.“
Gab es im Notbetrieb oder in der Stufe 2 auch skurrile Anfragen?
„Etwas skurril war der Anruf eines Studenten, der von Rückenschmerzen am heimischen Schreibtisch berichtete. Nun wollte er einen bequemeren Bürostuhl aus einem PC-Pool ausleihen. Leider mussten wir ihm eine Absage erteilen. Eher traurig als skurril war eine andere Geschichte: Während des Notbetriebs gab es vermehrt Phishing-Mail Attacken. Auf eine ziemlich gut gemachte Mail ist eine Studentin reingefallen, die sich anschließend bei uns gemeldet hat. Die Betrüger hatten sich als Professor der Uni Ulm ausgegeben und die Studentin aufgefordert, Geschenkgutscheine zu kaufen. Das hierfür ausgegebene Geld konnten wir leider nicht wieder beschaffen. Wir haben den Vorgang aber selbstverständlich gemeldet.
Sind Sie froh, dass der Notbetrieb vorbei ist und Sie wieder an der Uni arbeiten können?
„Ich bin schon froh, wieder vor Ort zu sein. Im Homeoffice hat mir einfach der persönliche Kontakt gefehlt, obwohl ich ja viel telefoniert und Videokonferenzen abgehalten habe. Jetzt herrscht für uns fast schon wieder Regelbetrieb: Die zuvor so verständnisvollen Anruferinnen und Anrufer werden bereits ungeduldiger und drängen auf schnelle Lösungen – was leider auch vor der Corona-Krise nicht immer möglich war."
Rita Lindenmayer (61) kam bereits 1978 an die Universität Ulm. Zunächst war sie als Sekretärin in der Medizinischen Psychologie tätig. Nach einigen Jahren beschloss sie jedoch, das Abitur nachzuholen und zu studieren. Als Diplom-Bibliothekarin kehrte sie 1992 an die Universität zurück. Seit Gründung des kiz im Jahr 2002 betreut Rita Lindenmayer mit ihrem Team den Helpdesk.
Text: Annika Bingmann
Fotos: Elvira Eberhardt