Das Unsichtbare sichtbar gemacht
Kavli-Preis für Wegbereiter der Elektronenmikroskopie
Die Norwegische Akademie der Wissenschaften hat Ende Mai bekannt gegeben, dass der Ulmer Physiker Professor Harald Rose unter den Preisträgern des Kavli-Preises für Nanoscience ist. Er teilt sich die hochrenommierte, mit 1 Million Dollar dotierte Auszeichnung mit seinen langjährigen Kollegen Maximilian Haider, Knut Urban und Ondrej Krivanek. Die vier Physikprofessoren gehören zu den Wegbereitern der modernen Elektronenmikroskopie. Harald Rose kam vor zehn Jahren als Seniorgastprofessor an die Uni Ulm und war hier maßgeblich an der Entwicklung des SALVE-Mikroskops beteiligt.
Bis weit in die 1980-er Jahre war die Welt der Atome für den Menschen unsichtbar. Erst dem Physiker Harald Rose, der damals an der TU Darmstadt forschte, gelang mit seiner Erfindung der Durchbruch. Er entwickelte eine „Brille“ für „fehlsichtige“ Elektronenmikroskope. Damit konnten abgelenkte und fehlgeleitete Elektronenstrahlen wieder eingefangen und auf die richtige Bahn gebracht werden. Der Effekt: scharfe Bilder in einer bisher nie gekannten Auflösung, die es möglich machten, Strukturen und Interaktionen auf atomarer Ebene sichtbar zu machen. Zusammen mit Professor Maximilian Haider, der bei Rose promovierte und die Firma CEOS gründete, und Professor Knut Urban vom Forschungszentrum Jülich setzte Rose seine theoretische Erfindung in die Praxis um: das erste konventionelle aberrationskorrigierte Transmissionselektronenmikroskop entstand. Auf der Grundlage der immer verfeinerten Erkenntnisse zur elektromagnetischen Fehlerkorrektur realisierte Professor Ondrej Krivanek schließlich das erste ultrapräzise Rastertransmissionselektronenmikroskop.
„Mit ihrer außerordentlichen wissenschaftlichen Leistung haben die vier Ausgezeichneten einen grundlegenden Beitrag dazu geleistet, die Welt im Kleinen besser zu verstehen. Ihre Arbeit ist ein schönes Beispiel für wissenschaftlichen Einfallsreichtum, Hingabe und Beharrlichkeit. Sie haben es der Menschheit ermöglicht, dort etwas zu sehen, wo wir vorher nicht sehen konnten", sagte Bodil Holst, Vorsitzender des Kavli-Preis-Komitees für Nanowissenschaften. „Mit ihrer bahnbrechenden Forschung haben es Rose, Haider, Urban und Krivanek möglich gemacht, die chemische Struktur und Zusammensetzung von Materialien in bisher unerreichten Maßstäben abzubilden und aufzuklären“, so Holst weiter.
Bekanntgegeben wurden die Preisträger des Kavli-Preises in einer Online-Show. In Zusammenarbeit mit dem World Science Festival war dafür ein besonderes Format aus Preisreden, Diskussionen und Erklärfilmen entwickelt worden, das nach der Premiere am 27. Mai noch immer im Netz zu sehen ist. Die traditionelle Übergabe der goldenen Kavli-Medaillen durch den norwegischen König Harald V. musste coronabedingt allerdings auf den September 2022 verschoben werden.
Der nach dem norwegisch-amerikanischen Wissenschaftler Professor Fred Kavli benannte Wissenschaftspreis wird gemeinsam vergeben von der Norwegischen Akademie der Wissenschaften, dem norwegischen Ministerium für Bildung und Forschung sowie der US-amerikanischen Kavli-Stiftung. Verliehen wird die Auszeichnung alle zwei Jahre an herausragende Forschende, die mit ihrer Arbeit einen wissenschaftlichen Durchbruch erreicht haben. Vergeben wird der Kavli-Preis in den drei Bereichen Nanowissenschaften, Neurowissenschaften und Astrophysik, jeweils dotiert mit 1 Million US-Dollar. Der Kavli-Preis gehört zu den renommiertesten Forschungspreisen weltweit, unter den Ausgezeichneten sind viele spätere Nobelpreisträger.
Harald Rose wurde 1935 in Bremen geboren. Er studierte und promovierte an der TU Darmstadt. Nach mehrjährigen Forschungsaufenthalten in den USA kehrte Rose 1980 nach Darmstadt zurück und übernahm dort an der TU eine Professur am Institut für Angewandte Physik. Dort forschte er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000. Zehn Jahre später kam Rose als Carl Zeiss-Gastprofessor an die Universität Ulm. Seit 2016 ist der Physiker in Ulm Inhaber einer Seniorprofessur. Prof. Harald Rose war an der hiesigen Universität maßgeblich an der Entwicklung des zweifach fehlerkorrigierten Niederspannungstransmissionselektronenmikroskops (SALVE) beteiligt. Das SALVE-Gerät ist das erste Mikroskop seiner Art weltweit: selbst elektronenstrahlempfindliche Materialen können damit in subatomarer Auflösung untersucht werden. Der vielfach ausgezeichnete Physiker Rose gehört heute zu den renommiertesten Wissenschaftlern auf dem Gebiet der Elektronenmikroskopie.
Text: Andrea Weber-Tuckermann
Fotos: Heiko Grandel, Elvira Eberhardt, Kavli-Foundation