Proteinfabriken im „Shutdown“
Science-Studie: Wie das Coronavirus die Immunabwehr sabotiert
Das neue pandemische Coronavirus SARS-CoV-2 hat die menschliche Immunantwort fest im Griff. Wissenschaftler der LMU München und des Universitätsklinikums Ulm haben nun gemeinsam aufgedeckt, wie das Virus durch gezielte Sabotage der zellulären Proteinproduktion das angeborene Immunsystem lahmlegt. Ein kleines Protein spielt dabei die Hauptrolle: das sogenannte Nichtstrukturprotein 1 (Nsp1). Veröffentlicht wurde die Studie Mitte Juli in der angesehenen Fachzeitschrift Science.
Nichtstrukturproteine sind Virusproteine, die keine Bestandteile des Virus selbst sind. Stattdessen unterstützen sie den Erreger bei der Vermehrung, indem sie beispielsweise die zellulären Abwehrreaktionen schwächen. „Wir konnten nun im Detail nachvollziehen, wie dieses Helfer-Protein die Aktivierung des angeborenen Immunsystems unterdrückt: Es bringt die ‚Proteinfabriken‘ der Zelle, die Ribosomen, zum ‚Shutdown‘“, erklären Professor Roland Beckmann vom Genzentrum der LMU München und Dr. Konstantin Sparrer, Arbeitsgruppenleiter am Institut für Molekulare Virologie des Universitätsklinikums Ulm.
Mit Hilfe hochauflösender cryo-elektronenmikroskopischer Verfahren haben die Münchener Wissenschaftler um Roland Beckmann beobachtet, wie Nsp1 an die Ribosomen andockt. Dort verhindert es die Synthese von neuen Proteinen (Translation), indem es den Kanal verstopft, über den die Proteinbaupläne, die sogenannte mRNA, abgelesen werden. Die Ulmer Forschungsgruppe um Dr. Konstantin Sparrer konnte diesen Vorgang in menschlichen Zellen experimentell bestätigen und zeigen, dass Nsp1 durch die Blockade der Ribosomen die Produktion antiviraler Proteine und Signalmoleküle komplett lahmlegt. Die angeborene Immunabwehr ist somit blockiert und das Virus hat freie Bahn bei seiner Vermehrung.
Diese neuen Erkenntnisse über die Interaktion von Wirtszelle und Virus eröffnen bisher unbekannte Möglichkeiten zur Therapie und Prävention von Covid-19. „Wenn wir verhindern können, dass das virale Helfer-Protein Nsp1 an Ribosomen bindet, bleibt die angeborene Immunantwort gegen SARS-CoV-2 funktionsfähig und das Virus wird wirksam kontrolliert“, sind sich die Forscher aus München und Ulm einig. Hier bieten sich also vielversprechende neue Ansatzpunkte für die Entwicklung von Medikamenten gegen SARS-CoV-2.
Gefördert wurde der Ulmer Teil der Science-Studie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Schwerpunktprogrammes 1923 „Innate Sensing and Restriction of Retroviruses“ sowie über den Sonderforschungsbereich 1279 „Nutzung des menschlichen Peptidoms für die Entwicklung neuer antimikrobieller und anti-Krebs Therapeutika“. Weitere Fördermittel kommen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie vom Bausteinprogramm der Universität Ulm.
Text: Andrea Weber-Tuckermann
Foto: Elvira Eberhardt
Abbildung: Caterina Prelli Bozzo