"Wie soll man Natur online vermitteln?"
Auch Botanischer Garten von der Uni-Schließung betroffen
Frühling 2020 im Botanischen Garten der Uni Ulm: Allerorten blüht und grünt es. Bestäuber wie Bienen und Hummeln fliegen von Blüte zu Blüte. Der Verkehrslärm von der B10 ist gedämpft, denn es sind nur wenige Autos unterwegs, und auch Gäste oder Studierende sind auf dem 28 Hektar großen Gelände nicht zu finden. Nur ein einzelner Gärtner verrichtet absolut notwendige Arbeiten im Freiland und sammelt Material für die studentische Ausbildung – so sah er aus, der Corona-Notbetrieb im Botanischen Garten.
Für das gesamte Team des Botanischen Gartens war der Notbetrieb an der Universität zur Eindämmung der Corona-Pandemie eine komplett neue Erfahrung. Praktisch über Nacht wurden ab Mitte März die Eingänge zum Freigelände geschlossen und das gärtnerische Personal in zwei Gruppen aufgeteilt. Unterschiedliche Arbeitsschichten sollten sicherstellen, dass weitergearbeitet werden kann, auch wenn eine Gruppe in Quarantäne kommen sollte. „Wir haben sofort auf ‚Notbetrieb‘ umgeschaltet und nur noch die für den Erhalt der Sammlungen und der damit verbundenen ‚genetischen Vielfalt‘ notwendigen Arbeiten geplant und durchgeführt“, sagt der Technische Leiter, Peter Zindl, dem durch den wochenweisen Schichtbetrieb auf einmal die Hälfte seiner Mitarbeitenden fehlte.
Abwechselnd im Homeoffice konnten sich die Beschäftigten unter anderem mit Online-Angeboten oder anhand von Fachliteratur zu gärtnerischen Themen weiterbilden. Für das Verwaltungs- und Betriebsgebäude sowie die Anzucht musste ein Hygienekonzept erarbeitet werden: mit vorgezeichneten Laufwegen, geschlossenen Duschen und berührungsloser Nachrichten- und Aufgabenübermittlung über ein Schwarzes Brett und einen E-Mail-Verteiler.
Auch an Lehre war im Botanischen Garten zu dieser Zeit nicht zu denken. So mussten sich die wissenschaftlichen Mitarbeitenden Stefan Brändel und Annika Schrumpf etwas anderes überlegen: Sie drehten zum Beispiel Videos für die Pflanzenbestimmungsübungen im zweiten Semester des Biologie-Studiums. „Wir haben uns gefragt, wie wir Natur online vermitteln können und wollten die Biologie-Studierenden anregen, selbst aktiv zu werden“, erzählt Stefan Brändel.
Zuhause im Garten oder in der näheren Umgebung sollten die Studentinnen und Studenten also nach heimischen Pflanzenarten suchen und diese bestimmen. „Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass die Studierenden äußerst motiviert waren. Allerdings glauben wir, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Pflanzenbestimmung anhand wissenschaftlicher, dichotomer Schlüssel nicht so umfassend gelernt haben wie bei den gemeinsamen Übungen im Botanischen Garten“, räumt Brändel ein. In kleinen Gruppen, mit Mundschutz und Abstandsregeln, konnten die Studierenden ab Betriebsstufe 3 Mitte Juni wieder ihren Bestimmungskursen im Garten nachgehen, und auch die Unterrichtseinheiten zur Zoologie und Ökologie wurden ab diesem Zeitpunkt wieder vor Ort durchgeführt.
Prof. Marian Kazda im Video-Interview
„Bis Mitte Juni musste der Botanischen Garten für die Öffentlichkeit geschlossen bleiben“, erklärt Professor Marian Kazda, der den Garten leitet und ihn inzwischen als eine „Herzensangelegenheit“ bezeichnet. Gerade mit den ersten warmen Tagen häuften sich Anfragen, Anrufe und Leserbriefe von Bürgerinnen und Bürgern, die sich über die Schließung des Gartens beschwerten. „Doch in der universitären Einrichtung galt die Corona-Verordnung des Landes“, so Kazda. Außerdem musste der Gesundheitsschutz für Mitarbeitende und Studierende gewährleistet werden.
„Die Reaktionen zur Schließung haben gezeigt, dass der Botanische Garten Vielen wichtig ist." Prof. Marian Kazda
Inzwischen ist das Freigelände wieder zu bestimmten Zeiten für alle zugänglich. Die Gewächshäuser müssen aufgrund des dort herrschenden feuchtwarmen Klimas und des beschränkten Platzes wohl noch länger geschlossen bleiben. „Wir freuen uns, dass seit Juli wieder Führungen im Gelände für Kleingruppen möglich sind und auch das ‚Grüne Klassenzimmer‘ wieder von Lehrerinnen und Lehrern gebucht werden kann“, beteuert Stefan Brändel. Alles laufe mit Registrierung, Abstand, Hygieneregeln und Mund-Nasen-Schutz ab.
Verpasst haben die Gäste während der dreimonatigen Schließzeit des Gartens unter anderem die Blüte im Tagliliengarten sowie die Margaritenpracht. „Wir haben hier auf unseren Wiesen eine enorme Vielfalt an Kräutern und Blumen, wie man sie auf landwirtschaftlich genutzten Flächen so kaum noch findet. Mit den Studierenden bestimmen wir hier regelmäßig bis zu vierzig verschiedene Arten“, schildert Professor Marian Kazda, der auch das Institut für Systematische Botanik und Ökologie leitet.
Für das zweite Halbjahr 2020 planen die Verantwortlichen im Botanischen Garten neben Präsenz-Lehrveranstaltungen auch weitere Führungen und Veranstaltungen, sofern es das Infektionsgeschehen weiter zulässt. Die neu entstandenen Online-Angebote soll es weiter geben und die erarbeiteten Informationsmaterialien in den Präsenz-Unterricht im „Grünen Klassenzimmer“ einfließen. „Die Reaktionen aus der Bevölkerung zur Schließung haben uns gezeigt, dass der Botanische Garten Vielen wichtig ist. Wir hoffen in Zukunft durch unsere Angebote wieder allen Wünschen gerecht zu werden. Jedoch ist der Garten primär ein Ort für Forschung und Lehre und soll dies auch bleiben“, so Marian Kazda.
Text: Daniela Stang
Fotos: Elvira Eberhardt, Monika Gschneidner
Video: Daniela Stang