Vom Bug zur Käferkunst: Das große Krabbeln im Ulmer Museum
Informatik-Doktorandin mit dem Preis "Junge Ulmer Kunst" ausgezeichnet
Dass sich Informatiker mit bugs, also Programmierfehlern, beschäftigen, ist nicht außergewöhnlich. Dass eine Informatik-Doktorandin ihre preisgekrönte „Käferkunst“ im Ulmer Museum ausstellt, hingegen schon. Sabine Wieluch ist eher zufällig zur „generative art“ gekommen, doch ihre Kunstwerke waren bereits in London und Shanghai zu sehen. Jetzt wurde sie mit dem Preis „Junge Ulmer Kunst“ ausgezeichnet.
Eines Nachts haben Käfer die Informatik-Doktorandin Sabine Wieluch um den Schlaf gebracht. Dabei sind die Krabbeltiere weder durch ihre Wohnung gelaufen, noch hatte die 27-Jährige Kafkas Klassiker „Die Verwandlung“ gelesen. „Tags zuvor hatte ich einen Vortrag über generative art gehört und wollte diese Kunstform selbst ausprobieren“, erinnert sich Wieluch. Über den Programmierfehler, in Informatikerkreisen oft „bug“ genannt, kam sie auf die Idee, unterschiedlichste Käfer zu erschaffen. Denn bei der generativen Kunst stellt der Urheber lediglich die „Schablone“, in diesem Fall den Code, zur Verfügung, die Umsetzung liegt beim Nutzer oder der Software. Den gesamten nächsten Tag verbrachte die Informatikerin vor dem Rechner und veröffentlichte schließlich das Ergebnis ihrer Arbeit, den „Ur-Käfer“, über den Kurznachrichtendienst Twitter. „Die Reaktionen waren überaus positiv, weswegen ich drei, vier Tage an dem Code weitergearbeitet habe. Es ist unheimlich spannend, was für eine Vielfalt an Käfern man erzeugen kann“, so Wieluch, die als Künstlerin und in den sozialen Medien als „bleeptrack“ bekannt ist.
Als die Käferkunst ihren Anfang nahm, hatte Wieluch gerade ihre erste Promotion abgebrochen. Neben ihrer halben Stelle an der Uni Ulm verfügte sie also über ausreichend freie Zeit, um das Projekt voranzutreiben. Seither werden alle sechs Stunden unterschiedlichste, automatisch generierte Käfer auf Twitter und dem vergleichbaren Dienst Mastodon gepostet. Zudem hat „bleeptrack“ weitere Anwendungen der generativen Kunst wie die Touritafeln entwickelt: Anhand von Datenbanken werden humorvolle Hinweisschilder generiert, die auf fiktive Sehenswürdigkeiten wie das „Oberkirner Kaffeefilter Museum“ hinweisen. Bei der Veranstaltung ulm.macht.zukunft im Roxy zeigte die Informatikerin hingegen ein Kunstwerk, bei dem der Schriftzug ULM durch Handbewegungen verändert werden kann. Die Botschaft: Jeder kann die Stadt mitgestalten.
Bis vor Kurzem hätte man Sabine Wieluch allerdings eher der Ulmer Hacker- als der Kunstszene zugerechnet: Die studierte Medieninformatikerin ist oft im Verschwörhaus anzutreffen, wo sie unter anderem am „Maker-Monday“ Jugendliche im Gebrauch von 3D-Druckern und Lasercuttern unterweist. Seit 2016 engagiert sie sich zudem als Mentorin bei „Jugend hackt“, und an der Universität Ulm ist sie neben ihrer neuen Doktorarbeit über maschinelles Lernen am Institut für Neuroinformatik als Studienlotsin in der Informatik aktiv. Trotzdem gelang Wieluch recht schnell, wovon viele junge Künstler träumen: Sie durfte ihre Käfer und andere Kunstwerke im indischen Mumbai, in Shanghai (China) und London zeigen. Der Kontakt war über das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe entstanden. Inzwischen haben es die farbenfrohen Krabbeltiere sogar ins Ulmer Museum geschafft. Anlass für die Ausstellung „Code/Kunst“ ist der Preis „Junge Ulmer Kunst“. Ein Expertengremium hatte Wieluch als Siegerin in der Sparte bildende Kunst ausgewählt. Auf halbem Weg zwischen Löwenmensch und Kunsthalle Weishaupt kann man Sabine Wieluchs Werke noch bis Ende Februar bewundern.
An einer Medienstation dürfen Besucherinnen und Besucher sogar ihren eigenen Käfer generieren: Farbe und Form lassen sich individualisieren, und wer möchte, kann das Krabbeltier gleich veröffentlichen. Ein weiterer Raum steht im Zeichen digitaler Communities, und außerdem zeigt bleeptrack, wie sich computergenerierte Blüten auf Papier oder Stoff übertragen lassen – die Künstlerin hat sich daraus sogar einen Mantel gefertigt. Alle zwei Wochen bietet sie Führungen an – und die Reaktionen sind fast ausschließlich positiv. „Die meisten Leute sind neugierig, auch wenn einige meine Arbeit nicht für Kunst halten. Erst kürzlich habe ich mich sehr über positives Feedback einer sehr alten Dame gefreut“, so Wieluch.
Ganz Informatikerin ist es für Sabine Wieluch selbstverständlich, ihren „Kunst-Code“ zu veröffentlichen: Jeder kann ihn verändern oder Objekte nachdrucken. Auf diese Weise sind die Käfer bereits in Logos von Hacker-Veranstaltungen gelangt. „Eine Person wollte sich sogar ein Käfer-Tattoo stechen lassen. Ich weiß aber nicht, ob das Vorhaben umgesetzt wurde“, berichtet Sabine Wieluch.
Ist die generative Kunst für die Doktorandin, die nahe Illertissen lebt, also noch Hobby oder bereits Berufung? „Inzwischen bekomme ich tatsächlich Aufträge, aber trotzdem bezeichne ich die Kunst noch als Hobby. Allerdings kann ich mir vorstellen, nach der Promotion in Neuroinformatik für einige Zeit künstlerisch zu arbeiten."
Text: Annika Bingmann
Fotos: Silvan Reiser
Video: Daniela Stang