KI: Nützliche Helfer oder künftige Herrscher

Algorithmen statt Gehirnzellen

Zur „Künstlichen Intelligenz“ (KI) hat eigentlich jeder eine Meinung: Die einen schätzen KI-Systeme als nützliche Helfer, die anderen fürchten eine Herrschaft der Maschinen. Die Informatik-Professorin Susanne Biundo-Stephan forscht seit mehreren Jahrzehnten zu kognitiven technischen Systemen und wurde sogar zu einem der prägenden Köpfe der deutschen KI-Geschichte gewählt. Im Interview spricht die Leiterin des Instituts für Künstliche Intelligenz über Grenzen der KI, chinesische Forschungsschwerpunkte und einen digitalen Heimwerker-Assistenten.

Frau Prof. Biundo-Stephan, der Begriff Künstliche Intelligenz ist allgegenwärtig – vom Haushaltsroboter bis zum Übersetzungsprogramm. Doch was macht eigentlich eine KI aus?

Prof. Biundo-Stephan: „Eine allgemein gültige Definition von Intelligenz gibt es weder für Mensch noch ,Maschine‘. Künstliche Intelligenzen, wobei ich lieber von ,KI-Systemen‘ spreche, können immer nur für eng begrenzte Aufgabenfelder entwickelt und eingesetzt werden. Dank Deep Learning erkennen einige technische Systeme zum Beispiel hochzuverlässig Bilder einer bestimmten Kategorie, andere besiegen Schachmeister. Automatisiert Bedienungsanleitungen erstellen oder mathematische Sätze beweisen, können sie jedoch nicht – diese Aufgaben meistern wiederum andere KIs.
Im Gegensatz zum Menschen, der Schach spielen, sein Studium planen, englische Texte übersetzen und Auto fahren kann, sind KI-Systeme hochspezialisierte Experten auf jeweils einem kleinen Gebiet. Eine allumfassende KI, die womöglich einen eigenen Willen entwickelt und den Menschen beherrscht, kann es deshalb nur in Science Fiction-Filmen geben.Ich forsche seit dem Ende meines Studiums auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz. Auf der einen Seite finde ich es toll, dass das Thema jetzt so im Vordergrund steht. Andererseits ist es aber auch alarmierend zu sehen, wie inflationär dieser Begriff gebraucht wird.“

KI steht im Ruf Arbeitsplätze zu vernichten. Welche Branchen müssen sich Sorgen machen?

„KI-Systeme werden insbesondere standardisierte Arbeiten übernehmen: Schon jetzt diagnostizieren spezielle Mustererkennungssysteme Hautkrebs genauso zuverlässig wie ein Arzt. In Redaktionen könnten technische Systeme zum Beispiel den Wetterbericht oder Börsennachrichten verfassen und den Mitarbeitern so mehr Raum für Kreativität lassen. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass kognitive technische Systeme Routineaufgaben übernehmen, als dass ganze Berufsfelder verschwinden. In den Medien stellen ,Experten‘ die KI gerne als Bedrohung für Arbeitnehmer dar – Informatikerinnen und Informatiker sehen das differenzierter.
Ich glaube allerdings, dass in Folge der Digitalisierung – und das geht weit über den Einsatz von KI hinaus – viele Berufe anspruchsvoller werden. Arbeitnehmer müssen gut ausgebildet sein, damit sie technische Systeme nicht nur einsetzen können, sondern auch in der Lage sind, deren Kompetenz und Grenzen einzuschätzen. In der Forschung ist in diesem Zusammenhang die (Selbst-)Erklärbarkeit von KI-Systemen ein großes Thema.“

 

China und die USA gelten bei der Forschung und beim Einsatz Künstlicher Intelligenz als führend. Wie steht deutsche KI-Forschung im internationalen Vergleich da?

„Man kann nicht sagen, dass unsere KI-Forschung hinter China und den USA zurücksteht. Allerdings werden bestimmte Techniken dort stärker eingesetzt als hierzulande. In China beispielsweise werden von Staatswegen massiv Daten erhoben, unter anderem zur Gesichtserkennung. Ähnliches gilt fürs Silicon Valley: Hier wird immens ins autonome Fahren investiert. Man trainiert lernende Systeme mit riesigen Datenmengen. Gleichzeitig sieht man, dass Lernen ein System nicht auf alle möglichen Konstellationen vorbereitet. Denken Sie nur an den tödlichen Unfall, als ein autonom fahrender Tesla eine helle LKW-Plane vorm wolkenverhangenen Himmel ,übersehen‘ hat. Für solche Fälle ist es notwendig, Systeme mit Hintergrundwissen und Schlussfolgerungsfähigkeiten auszustatten, so dass sie ihre Entscheidungen fundierter treffen können. Grundlage hierfür sind wissens- und logikbasierte Methoden – und in diesem Teilgebiet der KI-Forschung sind wir in Deutschland und Europa führend. Für die Zukunft wird es entscheidend sein, die zwei Schulen der KI, also lernbasierte und wissensbasierte Ansätze, zusammenzuführen.“

Prof. Susanne Biundo-Stephan
Prof. Susanne Biundo-Stephan

Prof. Susanne Biundo-Stephan forscht seit ihrem Informatik-Studium in Kaiserslautern und Karlsruhe im Bereich Künstliche Intelligenz. Nach ihrer Promotion zum automatischen Beweisen an der Universität Karlsruhe leitete sie fast zehn Jahre lang eine Arbeitsgruppe am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken.
1998 erhielt Susanne Biundo-Stephan als erste Frau einen Ruf auf eine Informatik-Professur an der Universität Ulm. Seither leitet sie das Institut für Künstliche Intelligenz und forscht vor allem zu Mechanismen intelligenter Handlungsplanung und zur Modellierung von Wissen. Die Informatikerin ist Gründungsmitglied der hochrangigsten Konferenz zur intelligenten Handlungsplanung und Fellow der „European Association for Artificial Intelligence“.
Darüber hinaus leitete Biundo-Stephan von 1998 bis 2003 das europäische Exzellenznetzwerk PLANET und war von 2009 bis 2017 Sprecherin des Sonderforschungsbereichs/Transregio 62 „Eine Companion-Technologie für kognitive technische Systeme“. Im BMBF-Wissenschaftsjahr 2019 zur Künstlichen Intelligenz wurde sie zu einem der „zehn prägenden Köpfe“ der deutschen KI-Geschichte gewählt. Neben Forschung und Lehre engagiert sich Biundo-Stephan seit 2017 als Gleichstellungsbeauftragte an der Universität Ulm.

Der digitale Heimwerkerassistent Robert
Der digitale Heimwerkerassistent Robert

Eben diese wissensbasierten Systeme werden intensiv am Ulmer Institut für Künstliche Intelligenz beforscht. Welche Schwerpunkte setzen Sie noch?

„In den letzten Jahren haben wir uns die menschliche Planungsfähigkeit zum Vorbild genommen. Wir führen verschiedene Technologien zu hierarchischen und hybriden Planungsverfahren zusammen und konnten damit einen neuen Forschungsschwerpunkt in der internationalen Community etablieren. Zuletzt haben wir diese Verfahren im digitalen Heimwerkerassistenten ROBERT eingesetzt, den wir gemeinsam mit der Robert Bosch GmbH entwickelt haben: Dieser künstliche Assistent leitet Hobbyhandwerker bei ihren Projekten an und berücksichtigt dabei deren individuelle Fähigkeiten, ihre Vorlieben sowie die gerade vorhandenen Werkzeuge. Dieses Projekt steht in direkter Tradition unseres Sonderforschungsbereichs zur Companion-Technologie. Im SFB haben wir für den Menschen typische kognitive Fähigkeiten auf technische Systemen übertragen, so dass sich zum Beispiel Navigationssysteme, Haushaltsgeräte, Smartphones oder andere Geräte jederzeit individuell auf die aktuellen Bedürfnisse, Wünsche und Fähigkeiten ihrer Nutzer einstellen können.“

Der Companion-SFB war stark interdisziplinär ausgerichtet. Wie fächerübergreifend sollte Forschung zu Künstlicher Intelligenz sein?

„In unserem Transregio-Sonderforschungsbereich waren verschiedene Sichtweisen auf das Thema tatsächlich sehr fruchtbar. Wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass die Informatik das Fach ist, das diese Entwicklungen treibt. Sie hat in der jüngeren Vergangenheit in vielen Wissenschaftsgebieten bahnbrechende Entwicklungen ermöglicht, beispielsweise in der Gentechnik oder in der Weltraumforschung, wo KI-Systeme Marsroboter und Raumsonden steuern und deren Beobachtungen auswerten. Ein aktuelles Beispiel ist die Rechtswissenschaft. Sie kann insbesondere vom Einsatz wissens- und regelbasierter KI-Techniken profitieren: Hier wird es spannend zu sehen, wie weit Juristinnen und Juristen von intelligenten technischen Systemen unterstützt werden können.“

Der Einsatz von KI wirft aber auch viele juristische und ethische Fragen auf. Man denke an Unfälle selbstfahrender Autos oder autonome Kriegswaffen. Werden diese Probleme im Informatikstudium berücksichtigt?

„An der Universität Ulm sind ethische und juristische Fragestellungen im Zusammenhang mit KI-Forschung und -Anwendung bisher kein Studieninhalt – ebenso wenig wie in der Chemie oder Physik. An unserem Institut beforscht jedoch der neue Juniorprofessor für erklärbare Künstliche Intelligenz, Dr. Felix Lindner, Themen aus dem Bereich Maschinenethik. Dabei ist es mir ganz wichtig zu betonen: Ein KI-System ist so ethisch oder unethisch wie jedes andere technische System. Verantwortlich sind immer Menschen: die, die es entwickeln und testen, und die, die es einsetzen.
Ich finde es zum Beispiel unethisch, wenn ein Unternehmen Bewerber zum Telefoninterview einlädt, damit ein technisches System aus deren Sprachfluss und Stimmlage Rückschlüsse auf ihre Persönlichkeit zieht. Fragwürdig ist meiner Meinung nach auch der Einsatz humanoider Roboter in der Alten- und Krankenpflege. Generell wird durch solche Roboter ein falscher Eindruck von Menschlichkeit vermittelt, der lediglich PR-Zwecken dient.“

Wie wird sich der Einsatz Künstlicher Intelligenz entwickeln?

„In Zukunft wird Künstliche Intelligenz in weitere Bereiche vordringen. Dabei bleibt sie allerdings immer Werkzeug des Menschen. Technische Systeme werden explizites Wissen über ihren eigenen Anwendungsbereich nutzen und in ihrer Funktionalität komplexer werden. Sie können Menschen auch auf neue Ideen bringen. Ein Beispiel aus der Medizin wäre ein System, das sämtliche Studien und Therapieprotokolle zu bestimmten Erkrankungen kennt und Ärzte bei der Diagnostik und Therapie unterstützt. Auf dem Energiesektor können KI-Systeme zu einer intelligenten Steuerung des Stromverbrauchs in Haushalten eingesetzt werden, wenn es beispielsweise darum geht, einzelne Wohnbezirke dezentral mit Solar- und Windenergie zu versorgen.“

Sie sind Professorin für Künstliche Intelligenz. Sind digitale Assistenten, Smart Home oder andere KIs fester Bestandteil Ihres Alltags?

„Sprachassistenten wie Amazon Echo werden oft als Künstliche Intelligenzen bezeichnet – sie zählen aber nicht dazu und ich nutze sie auch nicht. Vielmehr wähle ich gezielt aus, was mir in meinem Alltag hilft: Als Expertin für diese Technologie durchschaue ich die Systeme und bin daher auch besonders kritisch. Sehr nützlich finde ich zum Beispiel Google Maps – dieses Navigationssystem benutze ich oft im Alltag.“

Mann betrachtet Bildschirm
Auch am Institut für Nachrichtentechnik wird zur Künstlichen Intelligenz geforscht

Der Begriff Künstliche Intelligenz wurde bereits in den 1950er-Jahren geprägt. Doch gerade in den letzten Jahren sorgten Big Data und große Rechenkapazitäten für einen Schub in der KI-Anwendung und -Forschung. Diese umfasst traditionell Gebiete wie die Modellierung und Repräsentation von Wissen, automatisches Schlussfolgern und Beweisen, automatische Handlungsplanung, Suchverfahren, Multiagentensysteme, und das Schließen unter Unsicherheit. Dazu kommt das maschinelle Lernen: Dank neuronaler Netzwerke und der Weiterentwicklung „Deep Learning“ ist die Analyse riesiger Datenmengen möglich. Darauf basieren beispielsweise Bild- und Spracherkennung sowie Übersetzungsdienste. Obwohl viele Laien Serviceroboter mit Künstlicher Intelligenz assoziieren, macht Robotik einen verschwindend kleinen Teil der KI-Forschung aus. Einsatzorte solcher spezialisierter Roboter finden sich in der Pflege oder beispielsweise bei Expeditionen in unwegsamen Umgebungen.

1950: Als Maßstab für KI stellt Alan Turing den nach ihm benannten Test vor
1953: Alan Turin entwickelt das erste Schachprogramm
1956: Die Dartmouth-Konferenz gilt als Geburtsort der akademischen KI
1966: Joseph Weizenbaum entwickelt das digitale Computerprogramm Eliza, das einen Psychiater imitiert
1972: Das Expertensystem MYCIN unterstützt Ärzte bei der Diagnose und Therapie von Infektionskrankheiten
1978: Herbert Simon entwickelt Logical Theorist, das erste automatische Beweissystem, und erhält den Nobelpreis
1997: Der IBM-Computer Deep Blue schlägt Schachweltmeister Garri Kasparov
1997: Die Suchmaschine Google geht online
2000: Die Raumsonde Deep Space 1 wird von einem automatischen Planungssystem gesteuert
2004: Mit Facebook beginnt der Siegeszug sozialer Medien
2005: Als eines der ersten selbstfahrenden Autos gewinnt „Stanley“ die DARPA Grand Challenge
2010: Der IBM-Computer Watson gewinnt bei Jeopardy gegen Quizmeister
2012: Googles autonomes Fahrzeug erhält Straßenzulassung
2018: Google Duplex vereinbart telefonisch einen Friseurtermin

Text: Annika Bingmann

Fotos: Heiko Grandel