"Bewegung ist die beste Medizin"
Der Ulmer Sportmediziner Prof. Jürgen Steinacker im Gespräch
Sport und Bewegung sind gesund. Sie helfen bei der Vorbeugung von Volkskrankheiten und fördern die Heilung und Genesung - selbst bei so schweren Krankheiten wie Krebs- oder Herzerkrankungen. Professor Jürgen Steinacker, Leiter der Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin am Uniklinikum Ulm, spricht über die heilsame und wohltuende Wirkung von sportlicher Betätigung und regelmäßiger Bewegung: vom Betrieblichen Gesundheitsmanagement bis hin zur klinischen Initiative "Exercise is Medicine".
Bewegungsmangel und fehlende körperliche Fitness sind ein massives gesundheitliches Problem. Worin bestehen die Risiken? Was kann man dagegen tun?
Prof. Steinacker: "Bewegungsmangel geht häufig mit Übergewicht einher. Die Kombination aus bei- den Faktoren kann zu gravierenden gesundheitlichen Problemen führen. Bei einer Adipositas kommt es im Körper zu chronischen Entzündungsreaktionen, die vorzeitige Alterungsprozesse und damit verbundene Krankheiten auslösen können. Dadurch steigt das Risiko beispielsweise für bestimmte Herzerkrankungen, für Diabetes Typ II oder für Morbus Alzheimer messbar an. Gegensteuern lässt sich mit einer merklichen Erhöhung des Energieverbrauchs: also mit Bewegung, Bewegung, Bewegung."
Das Betriebliche Gesundheitsmanagement „Der Eselsberg bewegt sich!“, das von Ihnen und Ihrem Team auf den Weg gebracht wurde, hat sich mittlerweile erfolgreich etabliert. Was sind die Ziele?
„Die Gesundheitsförderung gehört zu den Missionen unserer Universität. Mit dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement wollen wir ein ,gesundes‘ Arbeitsumfeld schaffen. Im Fokus steht dabei die Bewältigung von Stress und von arbeitstypischen Belastungen. Das bedeutet natürlich für Verwaltungsmitarbeiter mit überwiegend sitzenden Tätigkeiten etwas anderes als für körperlich härter geforderte Arbeitskräfte – wie in den Werkstätten oder im Tierforschungszentrum – oder für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die einem besonderen Arbeits- und Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind. Stress sieht für jeden anders aus, und er lässt sich oft nicht vermeiden. Wichtig ist, dass man lernt, proaktiv damit umzugehen. Dafür braucht es eine gewisse Achtsamkeit – und am besten einen passenden Ausgleichssport oder entsprechende Gesundheitsangebote.“
Wie entscheidend ist das Betriebsklima für ein gesundheitsförderndes Arbeitsumfeld, und welche Rolle spielen dabei Vorgesetzte?
„Mit der Einrichtung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements signalisiert die Universität, dass ihr die Gesundheit der Beschäftigten und Studierenden etwas bedeutet. Besonders wichtig ist es, die Arbeitnehmervertretungen mit ins Boot zu holen. Aber natürlich spielen auch direkte Vorbilder und Vorgesetzte eine Rolle. Wir haben deshalb spezielle Schulungen eingeführt, um ein gesundheitsförderndes Führungsverhalten zu fördern. Insbesondere Abteilungsleiter sind wichtige Vorbilder. Was tun diese selbst für ihre Gesundheit? Wie reagieren sie auf Mitarbeiter, die in ihrer Pause oder auf dem Weg zur Arbeit sportlich aktiv sind? Werden diese Personen schief angesehen oder bestärkt?“
Wie kann man Sport und Bewegung ganz praktisch besser in den Alltag integrieren?
„Auf dem Weg zur Arbeit kann man Beispiel zum Rad greifen. Je nach Fitness und Anspruch ist das bei dem einen ein Rennrad, bei dem anderen ein E-Bike. Man kann einfach mal etwas abseits parken und dann die zehn Minuten vom Parkplatz laufen. Auch die Mittagspause lässt sich für eine Extraportion Bewegung gut nutzen. Die Arbeitszeitenregelungen sind an der Uni ja in der Regel ausreichend flexibel. Zahlreiche Angebote und Kurse – auch nach Dienstschluss – bieten das Betriebliche Gesundheitsmanagement und der Hochschulsport.“
Wie viel Bewegung im Alltag sollte es denn sein?
„Schon 15 Minuten Bewegung am Tag haben einen messbar positiven Effekt auf die Gesundheit. Studien zeigen, dass dadurch bei Älteren die Sterblichkeit jährlich immerhin um 14 Prozent sinkt! Wichtig sind außerdem möglichst viele Sitzunterbrechungen. Den Drucker auf dem Gang ansteuern, die Treppe benutzen oder zwischendurch mal in die Kaffeeküche gehen. Lange ununterbrochene Sitzphasen sind schädlich. Schrittzähler und Fitnessuhren bieten da eine gute Orientierung. So 10 000 Schritte täglich sollten es schon sein.“
Professor Jürgen Steinacker (Jahrgang 1955) leitet am Universitätsklinikum Ulm die Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin. In der dort angesiedelten sportmedizinischen Ambulanz für den Spitzen- und Breitensport werden sowohl Olympioniken und Topathleten, wie die Deutsche Rudernationalmannschaft oder die Ulmer Läuferin Alina Reh, sportmedizinisch betreut, als auch Freizeitsportler.
Ein weiterer zentraler Bereich der Sektion ist die ambulante Rehabilitation, die sich vor allem um die Nachsorge von Patienten mit Krebs- und Herzerkrankungen kümmert. Zu den wissenschaftlichen Schwerpunkten von Steinackers Arbeitsgruppe gehören neben der Erforschung der therapeutischen Wirkung von Sport und Bewegung grundlegende molekularbiologische Fragen rund um die Leistungsfähigkeit der Skelettmuskulatur. Dabei geht es um optimale Trainingseffekte genauso wie um die schädlichen Folgen eines Übertrainings.
Professor Steinacker ist Mitbegründer des Betrieblichen Gesundheitsmanagements der Universität Ulm, das er gemeinsam mit Dr. Nanette Erkelenz aufgebaut hat. Gemeinsam mit seinem Team und dem Ulmer Ruderclub holte er 2014 die Benefizregatta „Rudern gegen Krebs“ nach Ulm. Das erfolgreiche Aktionsprogramm, das die sportliche Betätigung von Krebskranken und allen Interessierten fördert, wurde bis 2017 auf der Donau ausgetragen. Aufgrund des hohen Organisationsaufwandes pausiert die Ulmer Regatta seitdem.
Der Ulmer Sportmediziner verantwortet außerdem das Projekt „Komm mit in das gesunde Boot“ zur landesweiten Gesundheitsförderung von Kindergarten- und Grundschulkindern und er ist Koordinator der europäischen Forschungsinitiative „Exercise is Medicine“. Als Mitglied im Wissenschaftskomitee der Welt-Anti-Doping-Agentur engagiert sich der Humanmediziner gegen den Einsatz illegaler leistungsfördernder Mittel im Wettkampfsport.
Auch viele jüngere Menschen leiden heutzutage unter Bewegungsmangel. Wie steht es um die Fitness der heutigen Studierenden?
„Wir merken seit einigen Jahren, dass die Fitness der Studierenden deutlich nachlässt. Insbesondere die Studentinnen und Studenten der Medizin, die ja als besonders lernorientiert gelten, haben viel weniger Bewegungserfahrung als früher. Es gibt zwar immer noch die 10 Prozent Superfitten, aber die breite Masse ist deutlich weniger fit und bringt ein höheres Gewicht auf die Waage.“
Wie kann die Universität hier gegensteuern?
„Beispielsweise mit einem Gesundheitsmanagement für Studierende. Wir haben da nicht unbedingt die Supersportler im Blick, sondern vor allem diejenigen, die sich nicht ausreichend bewegen und fit halten. Zeit- und Motivationsprobleme halten diese Gruppe vom Sporttreiben ab.
Ein entscheidendes Hindernis sind Frustrationserfahrungen und eine problematische Selbstwahrnehmung: Viele junge Männer und Frauen, die nicht den körperlichen Idealvorstellungen entsprechen, zeigen sich nicht gerne in Sportkleidung, die ja oft sehr körperbetont ausfällt. Um diesem Frust wirkungsvoll zu begegnen, braucht es spezielle gesundheitspsychologische Ansätze, die solche inneren Blockaden aufheben. Genau dieses Problem wollen wir mit einem neuen interdisziplinären Forschungsprojekt bearbeiten, an dem Sportmediziner und Gesundheitspsychologen der Universität beteiligt sind. Außerdem sollte das Thema Gesundheit ein wichtiges Anliegen der Studierendenschaft und ihrer Vertretungen werden.“
Welche Rolle spielen Sport und Bewegung für Menschen, die bereits unter Krankheiten leiden?
"Sportliche Betätigung fördert das Selbstwertgefühl und Körperbewusstsein. Regelmäßige Bewegung - vor allem im Freien - wirkt sich positiv auf das psychische Wohlbefinden aus und wird daher auch bei der Therapie von Depressionen empfohlen. Vorteilhafte klinische Effekte zeigen sich aber auch körperlich. Nachweislich steigern Sport und Bewegung den Erfolg von Therapien bei Herz- oder Krebserkrankungen. Patienten, die sich bereits in der Klinik an einem sportmedizinischen Rehabilitationsprogramm beteiligen, können statistisch betrachtet das Krankenhaus früher verlassen, haben weniger Komplikationen und eine geringere Sterblichkeitsrate. Von Ulm aus koordinieren wir die Europäische Initiative 'Exercise is Medicine', die den vorbeugenden und heilungsfördernden Nutzen sportlicher Betätigung fördert und wissenschaftlich untersucht. Ein großer öffentlichkeitswirksamer Erfolg war in diesem Zusammenhang die Aktion 'Rudern gegen Krebs', an der sich nicht nur viele Patientenboote beteiligt haben, sondern auch zahlreiche Organisationen und Firmen aus der Region; nicht zu vergessen die vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Uni und dem Klinikum. Bei dieser Veranstaltung konnte man auch einen anderen Effekt gut beobachten: Gemeinsam Sport treiben macht glücklich!"
Text: Andrea Weber-Tuckermann
Fotos: 123rf/Petrunia, shutterstock/Corepics VOF, Heiko Grandel, Uniklinik Ulm