„Alle, die auf dem Campus sind, sollen sich hier wohlfühlen“
Wie managt man Vielfalt an einer Uni, die um die besten Studierenden und Nachwuchswissenschaftler*innen werben muss? Als Vizepräsident für Karriere beschäftigt sich Professor Dieter Rautenbach auch mit den Themen Gleichstellung und Diversität. Insbesondere der sozioökonomische Status könne große Auswirkungen auf den Erfolg im Studium haben, ist der Mathematiker überzeugt. Allen die gleichen guten Möglichkeiten zu bieten, sei ein Gebot der Fairness.
Herr Prof. Rautenbach, was verstehen Sie unter Diversität?
Prof. Dieter Rautenbach: Unsere Aufgabe ist es, Forschung und Lehre so zu gestalten, dass alle unsere Studierenden, unser wissenschaftlicher Nachwuchs, unsere Wissenschaftler*innen und auch das wissenschaftsunterstützende Personal einen fairen und gerechten Zugang zu den Angeboten der Universität haben. Alle, die hier oben auf dem Campus sind, müssen sich wohlfühlen. Jede und jeder Einzelne soll gerne zur Uni kommen. Das bedeutet, dass man respektvoll und freundschaftlich behandelt wird und sich an- und aufgenommen fühlt. Uns dürfen nicht nur das Prüfungsergebnis, der Publikationserfolg oder die Drittmittel interessieren – wir müssen auch Diversitäts-Aspekte in den Blick nehmen.
Welche Aspekte sind das?
Zum Beispiel Religion und Weltanschauliches sowie Fragen der sexuellen Orientierung. An diesen Stellen können wir keine Zielgrößen definieren, aber wir sollten darauf reagieren
Wir sind überzeugt, dass sich der Alterungsprozess an solchen Schnittstellen regulieren lässt
Wie kann man die Zugangsmöglichkeiten zur Universität für alle fair gestalten?
Ich glaube, der sozioökonomische Hintergrund ist einer der sehr wichtigen Diversitätsfaktoren mit dem größten Impact für unsere Universität. Allein, wie man überhaupt ins Studium hineinfindet und durchkommt. Manche können sich sehr gute technische Geräte leisten und jeden Monat 100 Euro für KI-Abos ausgeben. Andere haben ein gebrauchtes Laptop und müssen jobben. Das ist ein wahnsinniger Unterschied. Wie können wir es also so gestalten, dass es einen fairen Zugang zu Bildung gibt? Das geht weiter bei der Entscheidung, ob man noch promoviert: Wer nach dem Studium sein eigenes Geld verdienen muss, hat vielleicht gar keine Wahl, wenn sie oder er nicht schnell eine gute Promotionsstelle findet.
Viele Studien zeigen: Divers zusammengesetzte Teams haben verschiedene Perspektiven auf Themen und sind deshalb auch besser in der Lage, Probleme zu lösen.
Dieser Diskurs klingt, als könnte man sich die gewünschte Struktur der Teams so zusammenstellen, dass man das beschriebene Ziel erreicht. An der Uni sind wir allerdings sowohl bei den Studierenden als auch bei den Nachwuchswissenschaftler*innen nicht in der Lage dazu.
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Warum nicht?
Die Anzahl der Studierenden insgesamt sinkt aufgrund demografischer Entwicklungen. Die MINT-Fächer sind nicht mehr so populär, wie sie vor Jahren gewesen sind. Das spüren wir hier in ganz vielen Fächern erheblich. Die Uni ist sehr erfolgreich darin, Drittmittel einzuwerben, Graduiertenkollegs, Exzellenzcluster. Da gibt es wahnsinnig viele Stellen und Möglichkeiten für Nachwuchsforschende – und wir haben Schwierigkeiten, diese zu besetzen. Wir haben also gar nicht den Luxus, aus einer Schar von Bewerber*innen geschickt auszuwählen, um direkt an dieser Stelle Diversity-Management zu betreiben.
Als MINT- und Medizin-fokussierte Universität trifft uns das Problem einer gewissen Gleichförmigkeit noch stärker. Wie kann man diese Herausforderung angehen?
Indem wir unsere Studienangebote so gestalten und verändern, dass wir nicht nur die typische Klientel ansprechen. Sehr gut funktioniert zum Beispiel der neue Studiengang Biomedizinische Technik in den Ingenieurwissenschaften, der eine viel größere Breite an potenziell Studierenden anspricht. Also eben nicht nur den klassischen jungen Mann, der Ingenieur bei einem großen Maschinenbauer werden will. Es gibt viele Krisen, die die jungen Leute verängstigen. Sie wollen Sinn, berufliche Perspektiven, Sicherheit. Und darauf versuchen wir, mit unseren Studiengängen zu reagieren.
Dennoch ist auch unsere Studierendenschaft vielfältig.
Ja, da gibt es viele Aspekte. Für uns bedeutet das: Wie können wir das Studium so gestalten, dass alle gut durchkommen und wir sie nicht aufgrund von Frustrationserlebnissen verlieren? Wir müssen uns viel stärker auf die Individualitäten der einzelnen Studierenden einstellen und ihnen beispielsweise verschiedene Kanäle anbieten, von klassischer bis Online-Vorlesung. Dazu kommen Hilfestellungen wie Tutorien oder Kleingruppenarbeit. Damit jeder in seiner Unterschiedlichkeit in der Lage ist, einen guten Weg durchs Studium zu finden.
Wie sieht es beim wissenschaftlichen Nachwuchs aus?
Diese rekrutieren wir vielfach von anderen Universitäten und aus dem Ausland. Auch hier verhindert die Situation ein aktives Diversity-Management, aber nichtsdestotrotz erhöht sich die Diversität und wir sind aufgefordert, darauf zu reagieren. Wir müssen den Nachwuchswissenschaftler*innen hier einen guten Start ermöglichen: Es macht einen Unterschied, in welchem akademischen System man aufgewachsen ist und welche Erwartungen und Gepflogenheiten man mitbringt. Darüber müssen wir viel stärker reden. Wir dürfen nicht warten, bis es schiefgegangen ist, weil Erwartungen oder das Rollenverständnis zu nicht mehr behebbaren Konflikten führen. Wir müssen die passenden Angebote machen, damit wir diese Personen, die wir in der Forschung ja brauchen, wirklich erfolgreich integrieren können.
Sollte die Uni sich nicht einfach darauf konzentrieren, ein Studium auf fachlich hohem Niveau anzubieten?
Wir bilden die Führungspersönlichkeiten von morgen aus – wir müssen also noch viel mehr vermitteln als nur die rein fachlichen Kompetenzen. Wie geht man Probleme gemeinschaftlich und interdisziplinär an? Wie verhandelt man Konflikte? Wie bleibt man respektvoll, sodass alle ihre eigenen Ideen einbringen können? Das gelingt nur, wenn die Menschen sich hier wohlfühlen und sich nicht in ihrer Persönlichkeit infrage gestellt oder gefährdet fühlen.
Was tut die Uni konkret, um Diversität zu fördern?
In der Nachwuchsakademie haben wir für den kommenden Sommer die Ulm Opportunity Week geplant. In dieser Woche sollen unsere Institute weltweit Studierende und Nachwuchswissenschaftler*innen einladen, um ihnen die Möglichkeiten der Uni Ulm zu zeigen. Wir haben natürlich das Gleichstellungsreferat und ganz viele Maßnahmen wie beispielsweise Überbrückungsfinanzierungen für die Übergänge von Studium zu Promotion oder von Promotion zu Post-Doc. Dazu kommen Vernetzungsmaßnahmen und Vorträge. Natürlich ist das auch bei den Berufungsverfahren ein sehr relevantes Thema. Wir haben uns das anspruchsvolle Ziel gesetzt, bis 2030 einen Professorinnenanteil von 30 Prozent in der Gesamtheit der Universität zu erreichen.
Aktuell sind wir bei 19 Prozent.
Man sieht, das ist ein sportliches Ziel, aber wir glauben, dass wir das erreichen können. Und je mehr Professorinnen wir im System haben, desto größer wird die Selbstverständlichkeit, dass das ein Karriereweg für Frauen ist. In den Studienfächern haben wir an vielen Stellen schon Parität. Aber natürlich haben wir auch in manchen Fächern Schwierigkeiten. In den Ingenieurswissenschaften ist es aufgrund der Marktlage schwieriger, Frauen zu berufen als in der Medizin oder in der Mathematik. Wir rekrutieren da aktiv und versuchen immer, natürlich nach dem Prinzip der Bestenauslese, Frauen zu berücksichtigen.
Was bringt es uns als Uni, Stellen und Professuren divers zu besetzen?
Ich glaube, es ist ganz einfach ein Gebot der Fairness. Wir haben einen klaren gesellschaftlichen Auftrag, der Offenheit, Zugänglichkeit und Niederschwelligkeit befiehlt und der zwangsläufig dazu führt, dass wir das so gestalten müssen, dass alle die Möglichkeit haben, das wahrzunehmen. Sonst gibt es eine Ungleichbehandlung.
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Interview: Christine Liebhardt
Fotos: Elvira Eberhardt, Armin Buhl