Was Corona die Gesellschaft kostet
Psychische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen
verursachen Ausgaben in Milliardenhöhe
Geschlossene Schulen und Sportvereine, Isolation und Einsamkeit: Die psychosozialen Belastungen, denen Kinder und Jugendliche in Deutschland während der COVID-19-Pandemie ausgesetzt waren, haben bei manchen zu emotionalen Störungen oder Verhaltensproblemen bis hin zu psychischen Erkrankungen geführt. Für die Gesellschaft bedeutet dies hohe Folgekosten, deren potenzieller Umfang selbst bei konservativer Schätzung im Bereich mehrerer Milliarden Euro pro Jahr liegt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Expertise, die die Universität Ulm in Kooperation mit dem Hamburg Center for Health Economics (HCHE) der Universität Hamburg im Auftrag des Bundesministeriums für Familie und Jugend erstellt hat.
Bei der Vorstellung des Papiers im Juli sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus: »Die Expertise zeigt: Jeder Euro, den wir jetzt in die mentale Gesundheit von jungen Menschen investieren, ist gut investiert. Damit tragen wir dazu bei, erhebliche Folgekosten in der Zukunft zu vermeiden und nachfolgende Generationen auch finanziell zu entlasten.« Die Autorinnen und Autoren haben die Folgekosten für die Krankheitsbilder Depression, Angststörung und Essstörung berechnet. Die Herausforderung: Entsprechende Daten liegen nicht oder noch nicht in ausreichender Menge und Qualität vor.
Gleichzeitig sehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dringenden Handlungsbedarf: »Im Sinne einer ausgleichenden Generationengerechtigkeit sollten langanhaltende Belastungen, die durch diese Krankheitsbilder entstehen, möglichst frühzeitig vermieden werden«, sagt Professor Andreas Jud von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Ulm. Zwar gebe es bei Prognosen stets Unwägbarkeiten, doch man könne nicht auf präzise Zahlen warten, die erst in 10 oder 20 Jahren vorliegen werden: »Dann ist es zu spät, zu handeln.«
Die Gesundheitskosten berechnet hat Professorin Eva-Maria Wild vom HCHE. Je nach Szenario betragen diese rund 2,8 bis 5,6 Milliarden Euro pro Jahr. Allein von rund 32 Millionen Gesundheitskosten 2020 und 2021 durch 25 Prozent pandemiebedingte Neuerkrankungen müsse man ausgehen, schreiben die Autorinnen und Autoren. Durch spätere potenzielle Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit im Erwachsenenalter sind zudem langfristige Kosten bis in den einstelligen Milliardenbereich zu erwarten.
Ihr Fazit: Die psychosozialen Belastungen in der Pandemie trafen vor allem jene Kinder und Jugendlichen, die bereits zuvor belastet waren. »Bestehende Ungleichheiten wurden noch verstärkt«, sagt Professor Jörg Fegert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Ulm. Fegert macht sich für die Einführung einer Kindergrundsicherung stark. »Sie kann benachteiligte Familien so weit unterstützen, dass sie überhaupt erst die Ressourcen besitzen, für ihre Kinder bei psychischen Störungen Hilfe in Anspruch zu nehmen.«
Text: Christine Liebhardt
Illustration: Beniamino Raiola