Neue Wege mit Prompt Battle, Performance und Party
Ulmer Denkanstöße 2024 zum Thema »Mensch – Maschine«
Jünger, frecher, bunter: In ihrer 17. Auflage ging es bei den Ulmer Denkanstößen auch in neuen Formaten um das Verhältnis von Mensch und Maschine, das derzeit vor allem durch die rasanten Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz geprägt wird. Die Vorträge und Diskussionen waren bestens besucht, ebenso wie die interaktive Spieleshow und die AI-Disco.
Kräftig wummernde Beats, erzeugt durch die Kraft menschlicher Gedanken, dazu eine durch Künstliche Intelligenz gesteuerte Lichtshow und viele tanzende Menschen: Im Ulmer Stadthaus erlebt man das nicht alle Tage. Die Verantwortlichen der 17. Ulmer Denkanstöße wollten in diesem Jahr auch Neues ausprobieren und haben mit großem Erfolg ungewöhnliche Formate wie die AI-Disco in die Stadt geholt. Drei Tage lang ging es im März unter dem Motto »Mensch – Maschine« darum, was es bedeutet, wenn Fake und Wahrheit sich immer weniger auseinanderhalten lassen, weshalb KI nicht neutral ist und wie wir sie regulieren können.
Das Thema zündete offenbar beim Ulmer Publikum, das die Reihen im Stadthaus ausfüllte und sich interessiert und engagiert in die Diskussionen einbrachte. Organisiert wurden die Denkanstöße wieder vom Humboldt Zentrum für Philosophie und Geisteswissenschaften der Universität Ulm, der Kulturabteilung der Stadt Ulm und der Stiftung Bildung und Soziales der Sparda-Bank Baden-Württemberg. Professorin Rebekka Hufendiek, Leiterin des Humboldt Zentrums, ist begeistert von der positiven Resonanz: »Ich freue mich sehr darüber, wie viele Menschen wir sowohl mit dem intellektuell spannenden Programm als auch mit den neuen Event-Formaten erreicht haben. Außerdem ist es uns gelungen, auch Studierende für die Denkanstöße zu begeistern.«
Im Eröffnungsvortrag sprach die Schweizer Forscherin Dr. Anna Jobin über »Künstliche Intelligenz und die Illusion der Neutralität«. Diese Illusion, so Jobin, müsse aufgegeben werden, damit die Diskussion darüber, welche KI wünschenswert ist, überhaupt stattfinden könne. An zahlreichen Beispielen illustrierte sie die Bedeutung der Interaktion zwischen Technologie und Gesellschaft – und wies darauf hin, dass die Daten, mit denen KI trainiert wird, stets bestehende Stereotypen widerspiegeln (siehe Interview).
Am zweiten Tag stand das Thema »Fake oder Wahrheit« im Mittelpunkt der Impulsvorträge und der anschließenden Diskussion. Die Journalistin Eva Wolfangel zeigte, wie Chatbots sich mit einfachen Tricks mit ihren eigenen Waffen schlagen lassen, etwa, indem man behauptet, man habe einen Text selbst geschrieben, um Copyright-Probleme zu umgehen.
Sie ermunterte das Publikum, sich auszuprobieren: »Erstens macht’s Spaß, zweitens ist es lehrreich und drittens hilft es, zu verstehen, wie Prompts funktionieren.« Jürgen Geuter, der als Research Director an der Erforschung neuer Technologien arbeitet, ist im Internet unter dem Pseudonym »tante« bekannt. Er betonte, dass bei Bildern der Blickwinkel der fotografierenden Person eine entscheidende Rolle spiele, und fragte: »Welche Perspektive hat ein KI-Bild?« Wenn alles nur noch Content sei und nichts mehr bedeute, sei das ein Problem für die Gesellschaft. »Schüler brauchen Orientierungswissen, um die KI zu hinterfragen«, betonte der Lehrer Florian Nuxoll. Er ist überzeugt: »Die KI wird unser Schulsystem stärker verändern als jede andere Innovation seit Einführung der Schulpflicht.«
Als Publikumsknaller stellte sich der erste Ulmer Prompt Battle heraus: Je zwei Personen traten in der Spielshow gegeneinander an und versuchten, durch möglichst genaue Prompts, also Text-Beschreibungen, die besten und lustigsten KI-Bilder zu generieren. Wer das bessere Bild schuf, entschied der Applaus. Wobei die unterhaltsamsten Prompts von batteriebetriebener Aubergine bis Glitzer-Einhorn nicht automatisch die besten Bilder kreierten. Im Anschluss lief bis spät abends die AI-Disco mit Künstler Daniel Theiler und Bertolt Meyer, der über seine Armprothese Klänge, Rhythmen und Effekte steuerte.
Am letzten Tag der Denkanstöße ging es um »KI und Verantwortung« – und Bertolt Meyer wechselte die Rolle vom DJ zum Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsycho- logie. Er forscht unter anderem zur Mensch-Maschine-Kollaboration. Meyer, selbst ohne Unterarm geboren, wies auf den »enormen Nutzen für die Inklusion und die Teilhabe am Leben« durch die Verschmelzung von Mensch und Maschine hin.
Diese werde durch KI wesentlich erleichtert. Die Branche der Journalistin Jana Ballweber ist stark vom Wandel durch künstlich erzeugte Texte betroffen. Sie stellte die Angst vieler Beschäftigter vor dem Jobverlust der Hoffnung der Arbeitgeber auf größere Gewinne entgegen und forderte, dass Gewerkschaften das Thema auf die Agenda setzen müssen: »Gemeinwohl muss erstritten werden.« Darüber, ob Maschinen bessere Urteile fällen können, sprach Professor Heribert Anzinger von der Uni Ulm. Er ist überzeugt: »Es muss so sein, dass ein Mensch entscheidet, weil eine Wertung einfließen muss.«
Die KI wird unser Schulsystem stärker verändern als jede andere Innovation seit Einführung der Schulpflicht
Es gibt Fälle, da lässt sich der Mensch nicht ersetzen. Dazu gehört die Telefonseelsorge Ulm/Neu-Ulm, der die im Rahmen der Denkanstöße in diesem Jahr gesammelten Spenden zugutekommen. Dank der großzügigen Aufrundung durch die Stiftung Bildung und Soziales der Sparda-Bank Baden-Württemberg erhielt die Telefonseelsorge 5000 Euro. Die Ulmer Denkanstöße 2024 wurden musikalisch begleitet von Saxophonistin Maren Eisele, ausgezeichnet mit dem Förderpreis Junge Ulmer Kunst 2023, und von Dana Hoffmann moderiert.
Text: Christine Liebhardt
Fotos: Johannes Glöckler