»Klimaschonend und lautlos fliegen«
Brennstoffzellen-Flieger made in Ulm
Der Traum vom Fliegen ist beinahe so alt wie die Menschheit, doch in Zeiten des Klimawandels geht das schlechte Gewissen mit an Bord. In der Versuchshalle der Universität Ulm und an Partnereinrichtungen tüfteln Ingenieure seit einigen Jahren an einer umweltfreundlichen Alternative: dem Brennstoffzellen-Flieger Hy4. Dank eines Hybridantriebs aus Batterie und Brennstoffzelle rückt klimaschonendes Fliegen in greifbare Nähe. In absehbarer Zeit soll das Hy4-Antriebskonzept bis zu 40 Passagiere emissionsfrei und lautlos in Europas Metropolen fliegen.
Der Jungfernflug des Brennstoffzellenfliegers Hy4 war im Herbst 2016 eine kleine Sensation. Vollkommen lautlos und emissionsfrei schwebte das klimafreundliche Passagierflugzeug über den Stuttgarter Fildern. Seither wurde Hy4 massiv weiterentwickelt: Ende 2020 stellte Professor Josef Kallo, der an der Universität Ulm und am DLR forscht, die neueste Antriebsgeneration am Stuttgarter Airport vor. Mit einer Testflugerlaubnis kann der optimierte Flieger ab sofort durchstarten – ein Meilenstein auf dem Weg zum umweltschonenden Flugverkehr. »Das Wasserstoff-Flugzeug Hy4 ist innovativ, leise und klimafreundlich. Es zeigt, dass CO2-freie Luftfahrt schon heute möglich und machbar ist. Diese neue Art des Fliegens hat das Zeug dazu, die Mobilität nachhaltig zu verändern«, kommentierte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer.
Die Geschichte des einmaligen Brennstoffzellen-Fliegers beginnt weit abseits des schwäbischen Heimatflughafens, unter kalifornischer Sonne. Der Hobbypilot Professor Josef Kallo war 2014 auf Dienstreise und nutzte einen freien Nachmittag, um elektrisch angetriebene Flieger aufzuspüren, die an einem Flugwettbewerb teilgenommen hatten. »Im kalifornischen Hollister wurde ich fündig: In einem Hangar stand ein Tandem-Flugzeug, das genau meinen Vorstellungen entsprach. Ich gab die Maße meinen deutschen Kollegen durch und wir berechneten, dass problemlos ein Wasserstofftank eingebaut werden kann«, erinnert sich Kallo. Kurze Zeit später war der Kaufvertrag unterschrieben und der Flieger – zerlegt und in Containern verpackt – auf dem Weg nach Europa.
Partnerarbeit bis zum Pionierflug
Die Geburtsstunde des weltweit einzigen, viersitzigen Brennstoffzellenflugzeugs Hy4 hatte geschlagen. Bis zum ersten Testflug mussten Josef Kallo und seine Mitstreiter allerdings noch viele Hürden nehmen. Zunächst galt es, den neuen Hybridantrieb aus Brennstoffzelle und Batterie so in das Flugzeug zu integrieren, dass weiterhin vier Personen mitfliegen können. Bei dieser Herkulesaufgabe kam dem Ingenieur sein Werdegang zugute. Vor fast 20 Jahren hatte er an der Universität Ulm über die Brennstoffzellentechnologie promoviert und somit die Grundlagen für den einmaligen Flieger gelegt. Nach Stationen bei General Motors und beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) kehrte Josef Kallo 2015 als Institutsleiter an seine Ulmer Alma Mater zurück.
Dem DLR ist er allerdings bis heute als Forscher am Institut für Technische Thermodynamik verbunden. »Umbau und Inbetriebnahme des Flugzeugs Hy4 konnte ohnehin keine Einrichtung alleine stemmen. Deshalb erfolgten die grundlegende Brennstozellen-Forschung und die Zusammenschaltung der Komponenten am DLR«, erklärt Kallo. Gleich zu Beginn des Projekts Hy4 wurde zudem die H2Fly GmbH gegründet: Die Gesellschaft verantwortet bis heute die Gesamtarchitektur des Fliegers aus Wasserstofftank, Brennstoffzelle und Elektroantrieb – inklusive der oft mehrere hundert Seiten umfassenden Sicherheitsdokumentation. Zu seinem alten, neuen Arbeitsplatz am Ulmer Institut für Energiewandlung und -speicherung sagt Professor Kallo: »Ich lebe meinen Traum. Meine Arbeit hier besteht nicht nur aus Laborexperimenten. Vielmehr kann ich das Geleistete oft umgehend im Flugzeug Hy4 umsetzen.«
Hy4 hebt ab
Hybridantrieb hat sich bewährt
Die bisherige Bilanz der Hy4 kann sich sehen lassen: Heute sind etwa 750 Flugkilometer möglich und die Maximalgeschwindigkeit liegt bei 200 Kilometern pro Stunde. Angetrieben wird der Flieger vom eigens entwickelten Hybridsystem, das Batterie- und Brennstoffzellentechnologie verbindet. In der Brennstoffzelle werden Wasserstoff und Sauerstoff in elektrische Energie für den Propellerantrieb umgewandelt. Sollte die so gewonnene Energie beim Start oder etwa bei Steigflügen nicht ausreichen, springt eine Lithium-Ionen-Batterie ein. Dieses System hat sich bereits bei mehr als 30 Starts und Flügen bewährt. Trotzdem ist die Zusammenarbeit mit dem slowenischen Flugzeugbauer Pipistrel noch immer eng. Denn nur der Hersteller des Fliegers kann entscheiden, wie stark dessen Aufbau verändert werden darf. Deshalb fanden viele Testflüge unter Beteiligung von Pipistrel im slowenischen Maribor statt.
Josef Kallo erinnert sich noch lebhaft an den ersten Flug der Hy4. Obwohl auch er ausgebildeter Pilot ist, konnte er seinen Prototypen nicht selbst fliegen. Aus einem Begleitflieger hat er dieses besondere Ereignis allerdings ausführlich mit der Kamera dokumentiert. »Ein Flugzeug wie die Hy4 hat es noch nie gegeben. Daher dürfen nur professionelle Testpiloten ans Steuer. Ich kann es aber kaum erwarten, die Hy4 eines Tages selbst zu fliegen«, sagt Kallo. Noch in diesem Jahr könnte dieser Wunsch in Erfüllung gehen.
Die Projektpartner Hy4
Im Projekt Hy4 bündeln die Universität Ulm, das DLR, H2FLY und Diehl Aerospace (Datenkommunikation und Controlhardware) ihre Expertise. Auf internationaler Ebene werden sie von Pipistrel (Flugzeug-Hardware) und den Forschungseinrichtungen Politecnica di Milano, TU Delft, Universität Maribor sowie Cummins Canada unterstützt. Zu den Förderern zählen die Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW GmbH), das Bundeswirtschaftsministerium sowie das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Dazu kommen Mittel aus der Industrie, vom DLR, vom Flughafen Stuttgart und von der Europäischen Kommission.
Bis dahin tüftelt das Team um Professor Kallo an der nächsten Hy4-Generation: Ein zweiter Wasserstofftank soll die Reichweite erhöhen und die Antriebsklasse auf Megawattniveau vorbereiten. Mittelfristig strebt der Ingenieur die Testflugerlaubnis für ein Brennstoffzellen-Flugzeug mit 40 Passagieren an. Bereits 2032 sollen Tickets für emissionsfreie, innereuropäische Flüge von bis zu 2000 Kilometern verkauft werden. Auf dem Weg zur Marktreife attestiert Kallo der Hy4 einen Vorsprung von drei Jahren gegenüber Mitbewerbern.
Für die Mobilitätsforschung an der Universität Ulm hat der Professor eine besondere Vision. »Mir schwebt ein integriertes Konzept vor, bei dem Passagiere im automatisierten Elektrofahrzeug just in time zum Flughafen gebracht werden. Mit der Hy4 fliegen sie emissionsfrei in eine europäische Metropole und werden dort pünktlich abgeholt.« So viel Pioniergeist in der Luftfahrt hat die Stadt Ulm wohl nicht mehr seit dem fliegenden Schneider gesehen.
Die Ulmer Wissenschaftsstadt hat sich zu einem Epizentrum der Batterie- und Brennstoffzellenforschung entwickelt. Keimzelle ist die traditionsreiche Elektrochemie der Universität Ulm. Gemeinsam mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und weiteren starken Partnern hat die Universität Ulm 2011 das Helmholtz-Institut Ulm (HIU) mit dem Schwerpunkt Batterieforschung gegründet. Darüber hinaus konnten KIT, Universität Ulm und weitere Partner das deutschlandweit einzige Exzellenzcluster im Bereich Batterieforschung, POLiS, einwerben. Hauptziel sind leistungsfähige Batterien ohne die endlichen Materialien Lithium und Kobalt. Das Cluster ist wiederum eingebettet in eine der weltweit größten Plattformen zur elektrochemischen Energiespeicherung (CELEST).
Den Brückenschlag in die Industrie schafft insbesondere das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW). In dieser industrienahen Ausgründung der Universität Ulm werden neue Batteriematerialien erforscht und getestet. Es gibt sogar eine Pilotfertigungsanlage für Lithium-Ionen-Batterien. Nächstes Jahr soll die Brennstoffzellen-Forschungsfabrik »HyFab« des ZSW fertig sein. Mit einer Mischung aus grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung trägt die Ulmer Wissenschaftsstadt so zum Gelingen der Energiewende und zur Etablierung der Elektromobilität bei.
Text: Annika Bingmann
Fotos: DLR, Elvira Eberhardt, Tom König