44. Jahrestag: Informativer und kurzweiliger Festakt
Soviel vorab: Der Festakt zum 44. Jahrestag der Universitätsgründung am Freitag hielt, was das Bläserquintett des Uni-Orchesters mit seinem wunderschönen und exzellent interpretierten Haydn-Divertimento in B-Dur versprach: Harmonisches, Nachdenkliches, Besinnliches und Heiteres prägten das ebenso stilvolle wie kurzweilige Programm von der Halbjahresbilanz des Präsidenten über die Verleihung der Promotionspreise und einer Ehrendoktorwürde bis zum spannenden Festvortrag. Dazu eine zeitliche Punktlandung: Zwei Minuten früher als vorgesehen konnte Universitätspräsident Professor Karl Joachim Ebeling zum traditionellen Empfang bitten.
Mit einer sehr positiven Bilanz der zurückliegenden Monate hatte er eingangs das Auditorium im rappelvollen Hörsaal des Forschungsgebäudes bereits entsprechend eingestellt, dabei drei Aspekte in den Blickpunkt gerückt: Zum einen die erfolgreiche Nationale Bildungskonferenz Elektromobilität Ende Juni in Ulm, mit mehr als 450 Teilnehmern aus Handwerk, Industrie, Hochschulen und Forschungsinstituten. Und Ebeling zufolge mit engagierten Diskussionen über die künftigen Anforderungen zur Ausbildung und Qualifizierung für die neue interdisziplinäre, branchenübergreifende Technologie. „Ausgehend von den Ergebnissen der Konferenz werden nun Konzepte für die akademische und berufliche Aus- und Weiterbildung von Ulm aus verbreitet und weiterentwickelt“, sagte der Präsident.
Zum anderen die aktuelle Entwicklung im Zusammenhang mit der Batterieforschung in Ulm. Das zu Jahresbeginn neu eingerichtete Helmholtz-Institut für Elektrochemische Energiespeicherung (HIU) habe inzwischen die ersten Mitarbeiter eingestellt, die Ausschreibung weiterer Stellen stehe bevor. Wichtig auch: „Gesichert scheint die Finanzierung eines neuen Gebäudes für das HIU.“ Die Kosten in Höhe von zwölf Millionen Euro sollen zu 40 Prozent von der Universität und zu 60 Prozent vom Land getragen werden. Mit der Fertigstellung rechne er 2013, erklärte Professor Ebeling.
Erfreulich sei überdies der rasche Baufortschritt beim Batterietestzentrum eLab, das vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung errichtet und im kommenden Jahr eingeweiht werden soll. „Ebenso bedeutend ist die geplante Einrichtung einer Pilotfertigung für Lithium-Ionen-Batterien in der Wissenschaftsstadt, die im Rahmen des von einem großen Industriekonsortium getragenen Kompetenznetzwerks Lithium-Batterien erfolgen soll“, so der Präsident.
Dank an das BMBF
Alle Ulmer Aktivitäten zur Batterieforschung würden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) äußerst großzügig unterstützt. „Das sollten alle Ulmer wissen und dafür auch sehr dankbar sein“, sagte Professor Ebeling unter lebhaftem Beifall ganz speziell für einen Ehrengast in der ersten Reihe, Professorin Annette Schavan, die zuständige Bundesministerin.
Weiter berichtete Ebeling, und das war der dritte Schwerpunkt seiner Bilanz, von mehreren in den vergangenen Monaten eingeworbenen millionenschweren Drittmittelförderungen. Beispiele seien ein Projekt zur Verbesserung der Studienbedingungen und der Qualität in der Lehre, das Projekt SyStaR zur Erforschung von Stammzellalterung und Regeneration von Gewebe und die Zeiss-Stiftungsprofessur zur Stärkung unseres Zentrums für Quantentechnologien, auch in Kooperation mit der Universität Stuttgart.
Schließlich sei dieser Tage ein Virtuelles Helmholtz-Zentrum zum Thema Apoptose und Therapie bei Leukämie bewilligt worden. „Dies bringt uns sicher einen kleinen Schritt weiter, unsere Wettbewerbsposition gegenüber den anderen äußerst starken baden-württembergischen Standorten der Universitätsmedizin ein wenig zu verbessern“, stellte der Unipräsident fest, „aber wir müssen noch deutlich mehr tun, um im Wettbewerb um die besten Professoren und Studenten im Lande gut bestehen zu können“.
Wettbewerb wird härter
Zusammenfassend sprach Ebeling von einer „sehr positiven Entwicklung der Universität“, verbunden allerdings mit der Erkenntnis, „dass der Wettbewerb um Forschungsgelder für uns deutlich härter wird“. Seine Schlussfolgerung deshalb: „Wir müssen unsere Anstrengungen in Zukunft sicher weiter fokussieren und vorhandene Stärken strategisch weiter ausbauen.“
Acht Promotionspreise
„Wir freuen uns, dass wir heuer drei Promotionspreise an weibliche Preisträgerinnen verleihen können, obwohl die Jury rein männlich besetzt war“, schmunzelte der Vorsitzende der Ulmer Universitätsgesellschaft, Hans Hengartner, beeindruckt freilich von der Qualität aller ausgezeichneter Dissertationen. Seine Arbeit vorstellen durfte stellvertretend für alle Preisträger Dr. Michael Schmeißer. Entstanden war sie bei Professor Tobias Böckers im Institut für Anatomie und Zellbiologie mit dem Thema: „Der LAPSER1/beta-Catenin Komplex, ein direkter Weg von der Synapse zum Zellkern“. So berichtete der Mediziner denn in kompakter Form über die Regulierung der Eiweißzusammensetzung in Synapsen, den neuronalen Kontaktstellen also, und deren Bedeutung für die Gedächtnisbildung. Wobei eine gestörte Zusammensetzung zu Krankheiten des Nervensystems führe, Autismus etwa oder Demenz. „Ich hoffe auf neue Ansatzpunkte für effektive Therapien“, wünschte Schmeißer seiner Arbeit und dankte für die Förderung durch das von Dekan Professor Thomas Wirth initiierte Promotionsprogramm wie der UUG für das Preisgeld.
Darüber freuen konnten sich mit ihm folgende weitere Preisträger: Dr. Holger Hoffmann (Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie), Dr. Yvonne Seidel (Institut für Oberflächenchemie und Katalyse), Dr. Christian Jonietz (Institut für Molekulare Biologie), Dr. Robin Nittka (Institut für Angewandte Analysis), Dr. Nicole Ratzinger (Institut für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung), Dr. Andrea Kroner (Institut für Optoelektronik) und Dr. Zhendong Ma (Institut für Medieninformatik).
Ehrendoktorin Prof. Sigrid Peyerimhoff
„Ich freue mich sehr und ich weiß die Ehrung zu schätzen“, bedankte sich die emeritierte Professorin Sigrid Peyerimhoff für die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Fakultät für Naturwissenschaften der Universität, von deren Dekan Professor Axel Groß begründet mit den außerordentlichen Verdiensten der Wissenschaftlerin um die Theoretische Chemie („sie hat das Fach in Deutschland und weltweit entscheidend geprägt“), aber auch um die erfolgreiche strategische Weiterentwicklung der Universität Ulm durch ihre engagierte Mitarbeit im Universitätsrat von 2000 bis 2006. „Eine überaus wertvolle Mitarbeit, vor allem der akademischen Komponente von außerhalb wegen“, wie Unipräsident Professor Ebeling („Wir vermissen Sie“) ergänzte.
Zuvor hatte Professor Wolfgang Witschel, von 1975 bis zu seiner Emeritierung 2003 Lehrstuhlinhaber für die Theoretische Chemie in Ulm und in dieser Zeit mehrere Jahre auch Prorektor, in seiner Laudatio das bemerkenswerte Lebenswerk der Ehrendoktorin gewürdigt, auch auf ihren Wechsel von der Physik zur Theoretischen Chemie hingewiesen. Die habe seinerzeit in Deutschland ein Schattendasein geführt, in den USA dagegen geblüht. Drei Jahre dort, an den renommierten Universitäten von Princeton, Seattle und vor allem Chicago, haben Witschel zufolge die in Rottweil geborene Wissenschaftlerin entscheidend beeinflusst. „Ihre eigentliche überragende Tätigkeit begann dann ab 1972 als Lehrstuhlinhaberin in Bonn“, so der Laudator, erinnerte in diesem Zusammenhang auch an die außerordentliche Produktivität Peyerimhoffs mit rund 500 Publikationen. Über das Ozon insbesondere, „die wichtigste Verbindung in der oberen Atmosphäre“.
Aus Witschels Sicht neben ihrer bekanntermaßen guten Lehre besonders wichtig: „Sie hat die Theoretische Chemie in vielen Gremien und Verbänden bekannt gemacht und etabliert, auch in Zusammenarbeit mit der Industrie.“ Natürlich habe ihre Arbeit vielfache Anerkennung erfahren. Mit der Wahl zur Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft etwa, aber auch hochkarätigen nationalen wie internationalen Auszeichnungen: Dem Leibniz-Preis zum Beispiel oder der Goldmedaille der Leopoldina („der ältesten und angesehensten deutschen Akademie“) für das Lebenswerk ihrer Forschung, nicht zuletzt mit dem Großen Bundesverdienstkreuz für ihre Arbeit in der Wissenschaftspolitik.
Kein Geheimnis schließlich ihr Bezug zur Uni Ulm, schon lange vor ihrer Berufung in deren Universitätsrat. Bruder Alexander, elf Jahre älter als seine Schwester und 1996 verstorben, wirkte hier ab 1969 als Mathematik-Professor der ersten Stunde, später auch als Prorektor und Vorsitzender des Großen Senats. Er hatte ihr eigenen Worten zufolge durch seine Fürsprache bei den Eltern („sonst wird sie unglücklich“) erst das Studium ermöglicht. Wobei sich ihre präventive Überlegung („wenn Mädchen ihren Doktor nicht kriegen, müssen sie ihn selbst machen“) später als unzutreffend erwiesen hat: „Ihr Doktor“ und Ehemann begleitete sie auch nach Ulm.
„Meine Arbeit hier im Universitätsrat habe ich in sehr guter Erinnerung“, machte die frisch ernannte Ehrendoktorin deutlich. Ein Grund: „Auch kritische Bemerkungen von mir sind stets konstruktiv aufgenommen worden und das ist keinesfalls selbstverständlich.“ Und im Übrigen habe sie bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit auch Glück gehabt. „Ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort, konnte insbesondere in aktuelle Entwicklungen einsteigen.“ Vieles verdanke sie überdies einer Reihe von Weggefährten, vielen tüchtigen Mitarbeitern. „Ohne sie wären die Erfolge nicht möglich gewesen.“
Auch Schavan gratuliert
Bundesministerin Annette Schavan (rechts) würdigte in ihrem Grußwort vor allem das ehrenamtliche Engagement von Professorin Peyerimhoff unter anderem im Cusanus-Werk. „Aber auch als Vizepräsidentin der DFG hat sie wichtige Impulse zur Begabtenförderung gesetzt und ihre Verbundenheit zum akademischen Nachwuchs unterstrichen“, sagte Professorin Schavan. „Respekt und Anerkennung“ bekundete die Ministerin zudem den Promotionspreisträgern. „Sie sind herausragende Beispiele für die Ernsthaftigkeit der Wissenschaft“, sagte die Politikerin, die in diesem Zusammenhang auch an die Gründung der „Wissenschaftsstadt Ulm“ vor 25 Jahren erinnerte. Sie habe sich in herausragender Weise entwickelt und stehe für vieles, „was wir heute mit Innovationen in Verbindung bringen“. Schavan weiter: „Die Wissenschaftsstadt ist ein großer Schatz für Ulm und die Region.“
Spannender Festvortrag
Wie wird es aussehen, das Internet der Zukunft? Professor Henning Kagermann, „langjähriger höchst erfolgreicher Vorstandsvorsitzender der SAP-AG und einer der rennomiertesten wie einflussreichsten Wirtschaftsmanager und Wissenschaftsstrategen in Deutschland“ (Ebeling), lieferte Antworten, Prognosen und die Erfolgsfaktoren, nannte indes auch Risiken und Barrieren. Und natürlich schlug er einen historischen Bogen von den Anfängen bis heute. Das Web 2.0, das interaktive Netz also, sei der größte Sprung in der bisherigen Entwicklung gewesen, so der Physiker, seit 2009 auch Präsident von acatech, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. „Das Web 3.0 wird kommen“, sagte der Experte, prognostizierte die Verknüpfung von Rechnern und Netzen mit Elementen der Semantik. Damit lernten Computer zu verstehen, entwickelten sich zu „Antwortmaschinen“. Wobei die Bedeutung einzelner Wörter für Rechner nicht immer einfach zu erkennen sei: „Ist Golf nun ein Sport, ein Auto oder mit dem Meer zu verbinden?“
Wie auch immer: Das Internet werde Wirtschaft und Gesellschaft weiter verändern, ist der Wissenschaftler überzeugt. Wie schon bisher und nicht nur mit positiven Folgen: „Die Steuerung unserer gesamten Infrastruktur erfolgt zunehmend über das Internet und damit wird es systemkritisch.“ Als „nächste große Sache“ rechnet der frühere SAP-Manager mit dem „Internet der Dinge“. Ob Auto, Büro oder Haushalt – alles werde intelligent und vernetzt, kommuniziere ständig untereinander, „die reale Welt fängt an, sich mit der virtuellen Welt des Computers zu verschmelzen. Kagermann: „Das wird der Treiber der vierten industriellen Revolution.“
Aber: Natürlich beinhalteten diese Entwicklungen auch Gefahren, Warnungen seriöser Experten seien unbedingt ernst zu nehmen. „Es gibt im Netz kein Vergessen“, betonte der Festredner, und aus dem „Global Village“, dem globalen Dorf also, könne man nicht wegziehen. Seine Forderung deshalb: „Wir müssen den Bürger auf die Spielregeln der digitalen Gesellschaft einstimmen.“
Von Willi Baur
Antrittsvorlesungen
Vormittags hatten Professor Leo Brecht (2. v.l.), Direktor des Instituts für Technologie- und Prozessmanagement, sowie Professor Bernd Lapatki (3. v.l.), Direktor der Klinik für Kieferorthopädie und Orthodontie, in Antrittsvorlesungen Schwerpunkte ihrer Forschung vorgestellt. Über "Methoden zur Prognose und Diffusion von Technologien" sprach der studierte Wirtschaftsmathematiker Brecht. Demnach wird es immer wichtiger einzuschätzen, welche Produkte wie lange am Markt erfolgreich sein werden. In seinem Vortrag hat der Wissenschaftler verschiedene Technologieprognosemethoden vorgestellt, zum Beispiel die bekannte Methode von Fisher/Prey oder die Theorie der Verweildauermodelle. Gemeinsam mit dem Austrian Institute of Technology (AIT) wurde zudem die IT-gestützte bibliometrische Analyse entwickelt. Dank dieser neuen Vorgehensweise lassen sich Forschungstrends durch eine Analyse aktueller wissenschaftlicher Publikationen identifizieren. Abschließend erläuterte Brecht, wie Technologieprognosemethoden in Unternehmen eingesetzt werden können.
Professor Bernd Lapatki hat die Zuhörer in seinem Vortrag "Was Zähne bewegt" über die intelligente Zahnspange der Zukunft informiert. Für eine erfolgreiche kieferorthopädische Behandlung sei es nämlich wichtig, Kräfte und Drehmomente, die auf Zähne ausgeübt würden, nachzuvollziehen. Messtechnisch ist ein solches Monitoring allerdings noch nicht am Patienten realisiert worden. In einem interdisziplinären Projekt wird jetzt eine entsprechende Zahnspange mit Mikrosensoren in den Brackets entwickelt, die Kieferorthopäden Rückmeldung über therapeutisch eingesetzte Kräfte gibt. So soll eine effiziente Behandlung, möglichst ohne unerwünschte Begleiterscheinungen, umgesetzt werden.
Vorgestellt worden sind sie von den Dekanen ihrer Fakultäten, Prof. Paul Wentges (Mathematik und Wirtschaftswissenschaften/ganz rechts) und Prof. Thomas Wirth (Medizin/2.v.r.). Links Universitätspräsident Prof. Karl Joachim Ebeling