Wissenschaftler des Instituts für Molekulare Endokrinologie der Tiere haben ein Mausmodell entwickelt, das zufällig die gleichen Symptome zeigt wie ein seltener Kiefertumor beim Menschen. Mit über 283 000 Euro fördert die Deutsche Krebshilfe nun ein Projekt, das klären soll, ob sich die Entstehungsmechanismen bei Maus und Mensch gleichen. Eine Schlüsselrolle spielt dabei möglicherweise das Tumorsuppressorgen Men1, das im Ulmer Mausmodell abgeschaltet worden war.
Unkontrolliert wachsende Knochenzellen deformieren den Kieferknochen mit der Zeit immer mehr, bis dieser nur noch unter Schmerzen zu gebrauchen ist oder völlig nutzlos wird. Nicht selten kommt es zu Entstellungen im Gesicht. Das Ossifizierende Fibrom (OF), von dem hier die Rede ist, gehört zwar zu den seltenen und gutartigen Tumorerkrankungen, doch die Betroffenen leiden darunter sehr. Wissenschaftler der Universität Ulm stießen im letzten Jahr auf einen bedeutsamen Zufallsfund. Die Knochenforscher haben bei Experimenten zum Knochenumbau ein Mausmodell entwickelt, das ebenfalls starkes Zellwachstum im Kieferbereich zeigt. Mit Unterstützung der Deutschen Krebshilfe soll in den nächsten Jahren untersucht werden, ob die molekularen Entstehungsprozesse bei Maus und Mensch identisch sind. Für ihr Mausmodell hatten die Molekularbiologen des Instituts für Molekulare Endokrinologie der Tiere das Tumorsuppressorgen Men1 deaktiviert, das für das Protein Menin kodiert.
Größe Ähnlichkeit der Tumoren in Maus und Mensch
"Histologische Untersuchungen der Tumoren von Mensch und Maus haben schließlich große Ähnlichkeiten in den krankhaften Gewebeveränderungen gezeigt", erklärt Professor Jan Tuckermann, Leiter des Instituts für Molekulare Endokrinologie der Tiere an der Universität Ulm. Das Ossifizierende Fibrom (OF), wie die Tumorerkrankung beim Menschen heißt, entsteht aus Zellen, die aus dem sogenannten dentalen Ligament kommen, und die in einem frühen Stadium der Knochenzellreifung verblieben sind. Mit Hilfe der 283 600 Euro von der Deutschen Krebshilfe wollen die Ulmer Forscher nun im Detail aufklären, welche Zellen an der Tumorbildung beteiligt sind. Außerdem gilt es herauszufinden, welche herunter- und hochregulierten Signalwege hier eine Rolle spielen. Die Wissenschaftler aus Ulm kooperieren dafür mit Kollegen des Deutsch-Österreichisch-Schweizerischen Arbeitskreises für Tumoren aus dem Kiefer und Gesichtsbereich (DÖSAK), die bereits humane Proben für das Projekt bereitgestellt haben.
Diagnostische Marker sollen bei der Früherkennung helfen
Durch die genetische Charakterisierung und Validierung des Mausmodells im Hinblick auf das OF erhoffen sich die Wissenschaftler nicht nur Rückschlüsse auf die molekularen Prozesse bei der Krankheitsentstehung im Menschen. "Wir möchten außerdem diagnostische Marker identifizieren, die helfen, diese Erkrankung frühzeitig zu erkennen", sagt Dr. Sabine Vettorazzi, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut. Das OF wird in frühen Phasen meist zufällig von Zahnärzten sowie von Kieferchirurgen oder -orthopäden auf Röntgenaufnahmen entdeckt. Ist diese Tumorerkrankung bereits fortgeschritten, machen sich mit der Zeit massive Beschwerden und auch äußerlich sichtbare Veränderungen bemerkbar.
Bislang bleibt kein anderer Behandlungsweg als der operative Eingriff. Nicht selten sind Bereiche des betroffenen Knochengewebes zementiert, was die chirurgische Entfernung erschwert. Umso wichtiger ist es für das Forscherteam nach Ansatzpunkten für eine therapeutische Intervention zu suchen. "Falls die molekulargenetischen Mechanismen im Detail bekannt sind, lassen sich möglicherweise Medikamente entwickeln, die das Tumorwachstum nicht nur aufhalten, sondern in Zukunft vielleicht sogar verhindern, dass dieser Tumor überhaupt erst entsteht", so Tuckermann. Einige heiße Spuren verfolgen die Wissenschaftler bereits.
Text und Medienkontakt: Andrea Weber-Tuckermann