Quantenbiologie: Ulmer Forscher erklären Ergebnisse aus Berkeley

Ulm University

Eine Autorengruppe des Instituts für Theoretische Physik um Prof. Martin Plenio erklärt jetzt im Fachjournal Nature Physics bislang nur experimentell festgestellte Ergebnisse im Zusammenhang mit quantenmechanischen Vorgängen bei der Photosynthese.

Ulmer Forscher erklären Ergebnisse aus Berkeley

 

Entwickelt sich die Universität Ulm zum globalen Kompetenzzentrum für die Quantenbiologie? Denkbar wäre es. Und dazu könnten nicht nur die rund zehn Millionen Euro aus Brüssel beitragen, die der Europäische Forschungsrat kürzlich für Forschungsprojekte in diesem Bereich bewilligt hat. Dass höchste Expertise auf dem jungen Sektor indes in Ulm bereits versammelt ist, unterstreicht eine jetzt im angesehenen Fachjournal Nature Physics veröffentlichte Arbeit. Die Autoren, das Forscherehepaar Professor Martin Plenio und Professorin Susana Huelga mit vier wissenschaftlichen Mitarbeitern des Instituts für Theoretische Physik, erklären hier experimentelle Ergebnisse der renommierten Universität von Berkeley aus dem Jahr 2007.

Dabei geht es um quantenmechanische Vorgänge bei der Photosynthese, einem von drei Phänomenen aus der Biologie, bei denen Plenios Überzeugung zufolge die Quantenmechanik eine Rolle spielt. Mit dem Unterschied: „Dass sich Vögel am Magnetfeld der Erde orientieren, gilt als gesichert“, sagt der Humboldt-Professor, „aber wie das funktioniert, weiß niemand“. Gleiches gelte für Vorgänge im Zusammenhang mit dem Geruchssinn von Mensch und Tier.

„Für Abläufe bei der Photosynthese dagegen gibt es experimentell gesicherte Erkenntnisse, die aber einige Überraschungen aufzeigen“, erklärt der Physiker. Eben jene aus den Labors in Kalifornien, die jetzt in der Ulmer Publikation erklärt werden. Wobei sich die Untersuchungen auf zwei zentrale Fragestellungen bei der Umwandlung von Licht in chemische Energie konzentriert hatten: Warum behält der Energietransport seine Quantenkohärenz so viel länger als man nach den Standardtheorien erwartet hatte und warum erfolgt der Transport durch Proteine von den „Antennen“ der Pflanze zum „Kraftwerk“ in der Zelle so effizient, ohne jeden Verlust nämlich?

„Dazu haben wir ein Modell mit simplen Prinzipien entwickelt und dieses mit einer sehr aufwendigen numerischen Berechnung überprüft“, erläutert Martin Plenio. Das Besondere daran, so der auf dem Gebiet der Quantenphysik weltweit führende Wissenschaftler: „Die Natur erzielt ihre Quantenkohärenz, also deren Bewegungen nach festen Regeln, indem sie durch thermische Bewegung erzeugte Vibrationen des Proteins nutzt.“ Was in diesem Fall nicht nur in der angestammten Umgebung („viele tausend Atome bewegen sich in einem warmen, feuchten und verrauschten Umfeld“) problemlos funktioniere, sondern auch gängige Prinzipien der Quantenphysik quasi auf den Kopf stelle. Hier nämlich arbeite man gemeinhin mit isolierten Atomen unter extrem niedrigen Temperaturen im Höchstvakuum.

„Das Protein aber vibriert in einem bestimmten Modus und diese Vibrationen halten die fließende Energie in der Phase, fast wie ein Dirigent sein Orchester im Takt hält“, beschreibt Plenio die völlig neue Erkenntnis. Das habe in der „Community“ vorher niemand erwartet.

„Dass thermische Bewegung Quanteneigenschaften erhalten oder sogar verstärken kann, hatten wir schon vor zehn Jahren im Rahmen der Quanteninformationstheorie vorgeschlagen, aber in der Biologie scheinen diese Ideen besonders fruchtbar zu werden“, so der Ulmer Physiker. Ein zusätzlicher Beleg für das wissenschaftliche Gewicht der Arbeit: „Die Veröffentlichung reiner Theorie-Papiere durch Nature Physics ist eher ungewöhnlich.“ Zumeist beschäftige sich das Journal eher mit experimentell belegten Ergebnissen.

Aber: „Nur wenn wir Prinzipien und Prozesse besser verstehen, können wir diese Erkenntnisse für konkrete Entwicklungen nutzen“, sagt Professor Martin Plenio, für den Bau effizienterer Solarzellen oder von Quantencomputern etwa, womöglich auch für optimierte, auf den Klimawandel abgestimmte Pflanzen. „Jedenfalls sehe ich hier eine völlig neue Perspektive für die Biologie und die Uni Ulm ist ganz vorne dabei.“ Nicht ohne Stolz stellt der Ulmer Forscher abschließend fest: „In der Quantenphysik müssen wir uns auf der Welt vor niemandem verstecken.“

 

 

Verantwortlich: Willi Baur