Photosynthese als Vorbild
Chemiker entwickeln künstliches Blatt

Ulm University

Ohne Photosynthese kein Leben: Ständig stellen Pflanzen Zucker für die eigene Versorgung her. Der für Mensch und Tier notwendige Sauerstoff ist eigentlich nur ein Nebenprodukt. Doch noch immer sind die komplexen Vorgänge in den Blättern nicht vollständig verstanden. Dabei könnten sie wertvolle Hinweise für saubere Energiequellen und nachhaltige Energiespeicher liefern. In der renommierten Fachzeitschrift „Angewandte Chemie“ stellen die Ulmer Professoren Carsten Streb und Timo Jacob nun ein „künstliches Blatt“ vor, mit dem sich die Umwandlung von Wasser zu Sauerstoff nachvollziehen und eventuell optimieren lässt.

Angeregt durch Lichtenergie produzieren Pflanzen in ihren Chloroplasten aus Wasser und Kohlenstoffdioxid nicht nur Zucker, sondern auch Sauerstoff, den sie über Schließzellen an die Umwelt abgeben. Seit Millionen von Jahren ermöglicht dieser Prozess Leben auf der Erde. Nun haben Ulmer Forscher ein Modell entwickelt, mit dem sich ein wichtiger Teil der Photosynthese, nämlich die Umwandlung von Wasser zu molekularem Sauerstoff, an Modellsystemen nachvollziehen lässt. In der Natur findet diese Oxidation in einem komplexen Enzymsystem (Photosystem II) statt, Reaktionszentrum ist dabei eine kleine Mangan-Sauerstoffeinheit. Was dort genau passiert, ist noch nicht bis ins Detail bekannt.
Der technische Nachbau der Forscher, basierend auf einem Gerüst aus molekularem Mangan-Vanadiumoxid, soll neue Einblicke ermöglichen. Herzstück ist ein Kubus, der die Wandlung von Wasser zu Sauerstoff katalysiert. Beim Bau dieses künstlichen Blattes konnten die Forscher die Natur sogar übertrumpfen: „Durch die Oxidation zerstört sich das Reaktionszentrum unter natürlichen Bedingungen selbst und es muss ständig repariert werden. Deshalb setzen wir Polyoxometallate zur Stabilisation des Katalysators ein, die weniger sauerstoffempfindlich sind“, erklärt Streb, dessen Vorarbeiten bis ins Jahr 2011 zurückreichen.

Die Natur beinahe übertroffen

Dass das Modell aus dem Labor in Sachen Sauerstoffproduktion durchaus mit dem grünen Vorbild mithalten kann, bestätigten verschiedene Messungen sowie die elektrochemische Charakterisierung, durchgeführt am Institut für Elektrochemie (Professor Timo Jacob). Einen „Schönheitsfehler“ mussten die Wissenschaftler allerdings noch beheben: Das System wurde zunächst mit elektrischem Strom – und eben nicht mit Sonnenlicht – angetrieben. In diesem Fall schaffte ein Licht-absorbierendes Antennenmolekül die erwünschte Abhilfe.

Zusammenfassend haben die Forscher um den Erstautor Benjamin Schwarz, Doktorand am Institut für Anorganische Chemie I, den ersten lichtgetriebenen Wasseroxidationskatalysator entwickelt, der auf Mangan-Vanadiumoxid basiert. Bisherige Nachbauten beruhen oft auf Edelmetallen, die deutlich teurer sind.

Das „künstliche Blatt“ kann als Photosynthese-Modell eingesetzt werden und gibt Hinweise auf die nachhaltige Spaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff – dies ist auch für künftige Energiespeicher interessant. In Zukunft soll mithilfe des Nachbaus der Elektronentransfer und die Sauerstoffentwicklung im Zuge der Reaktion untersucht werden.

Die Zeitschrift Angewandte Chemie hat der Entdeckung auch das Titelbild der aktuellen Ausgabe gewidmet. Die Forscher wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Fonds der Chemischen Industrie unterstützt.

Text und Medienkontakt: Annika Bingmann


Literaturhinweis:
Benjamin Schwarz, Johannes Forster, McKenna K. Goetz, Duygu Yücel, Claudia Berger, Timo Jacob und Carsten Streb. Lichtinduzierte Wasseroxidation durch ein molekulares Mangan-Vanadiumoxid. Angewandte Chemie, DOI: 10.1002/anie.201601799

Gingko-Blätter
Vorbild Photosynthese: Die Wissenschaftler haben ein künstliches Blatt im Labor entwickelt (Foto: Martina Fischer)
Prof. Carsten Streb, Universität Ulm
Prof. Carsten Streb (Foto: Eberhardt/kiz)
Prof. Timo Jacob, Universität Ulm
Prof. Timo Jacob (Foto: Eberhardt/kiz)