Globetrotter in der Welt der Düfte

Ulm University

Parfumkritiker und Geruchsinnforscher Luca Turin zu Gast in Ulm – Ein Interview

Luca Turin in Ulm? Seit Januar dieses Jahres ist der promovierte Biophysiker und international renommierte Parfum-Experte Visiting Professor am Institut für Theoretische Physik bei Professor Martin Plenio. In der Welt der Düfte hat er sich bereits 1992 einen Namen gemacht. „Das kleine Buch der großen Parfums“ wurde ein internationaler Erfolg, später folgte „Perfums: The A – Z guide“. Mit diesem universalen Parfumführer wurde der Geruchsforscher weltweit zu einem gefragten Parfumkritiker. Doch Luca Turins eigentliche Profession ist die Wissenschaft.

Zur Person

Geboren wurde er als Sohn argentinisch-italienischer Eltern 1953 in Beirut im Libanon. Der Vater war UN-Diplomat, die Mutter Designerin. Aufgewachsen ist Turin in Frankreich, Italien und der Schweiz. Er spricht vier Sprachen hat in Frankreich Abitur gemacht, am University College London (UCL) Physiologie und Biophysik studiert und dort auch promoviert. Zehn Jahre forschte er danach am renommierten Centre national de la recherche scientifique (CNRS), und kehrte 1992 für acht Jahre als Dozent an das UCL zurück. Bis 2009 arbeitete er zudem in den USA in einem Start-Up an der Entwicklung neuer Duftstoffmoleküle. 2009 bis 2011 forschte er am Massachusetts Institute of Technology (MIT), von 2011 bis 2013 am Alexander Fleming Institut in Athen, und seit Anfang des Jahres verstärkt der Biophysiker für ein Jahr lang die Quantenbiologie in Ulm. Luca Turin ist nicht nur „a real character“, sondern hat auch in der Wissenschaft mit seiner „Schwingungstheorie“ zum Geruchsinn eigene Duftmarken gesetzt. Er schreibt monatlich eine Kolumne für das Online-Magazin NZZ Folio der Neuen Zürcher Zeitung und hat in einem seiner letzten Beiträge erstaunliche Unterschiede bei der Müllentsorgung zwischen Athen und Ulm gefunden. Luca Turin wurde vor kurzem mit dem „Art and Olfaction Award“ ausgezeichnet. Dieser Preis, der im April übergeben wird, steht für die Verbindung von Kreativität, Innovation und Exzellenz und wird an unabhängige Parfumentwickler verliehen. Eine Auszeichnung, die auch sonst ganz gut zu diesem außergewöhnlichen Wissenschaftler passt.

 

Seit Januar sind Sie nun in Ulm. Wie gefällt Ihnen ihr neues Leben in Ulm? Den gelben Sack in Ihrer Küche kennen wir ja schon aus Ihrer Kolumne in der Neuen Zürcher Zeitung.

Luca Turin: „Abgesehen von dieser eigenartigen Mülltrennung gefällt es mir hier sehr gut. Ulm ist ein guter Ort – zum Leben und zum Arbeiten. Aus wissenschaftlicher Sicht sogar ein ganz hervorragender. Auf dem Gebiet der Quantenbiologie gehört die Universität weltweit zu den Top-Standorten. Mir gefällt auch das intellektuelle Klima am Institut, das Team von Martin Plenio ist sehr international. Und Ulm hat wundervolle Geschäfte für Küchenbedarf, den Abt zum Beispiel.“

Sie sind Biophysiker, Geruchsforscher und Parfümexperte – ihre Arbeit dreht sich um die Nase. Warum ist der Geruchssinn so wichtig? Was sagt uns die Nase, was unsere Augen nicht sehen?

„Wenn wir etwas berühren, können wir etwas über die Physik der Gegenstände erfahren, Härte, Gewicht, Oberfläche. Wenn wir etwas betrachten, wissen wir viel über das Aussehen. Aber nur die Nase gibt uns Hinweise auf die chemische Zusammensetzung. Früher war die Nase überlebenswichtig, heute ist für viele wohl eher der Seh- und Tastsinn von Bedeutung . Wenn der moderne Mensch auf einen Sinn verzichten müsste, würde er wohl auf den Geruchssinn aufgeben. Doch er gibt natürlich sehr viel damit auf, den Geschmack zum Beispiel. Ohne Geruch gibt es auch keinen Geschmack – das Leben wird fade. Außerdem warnt er uns noch immer gut vor Feuer.“

 

In einem Start-Up haben Sie am rationalen Design von Duftstoffen gearbeitet, auf der Grundlage wissenschaftlicher Theorien. Wie habe ich mir das vorzustellen?

„Die Welt der Gerüche ist voller Geheimnisse. Unsere Nase reagiert auf chemische Moleküle und löst in unserem Gehirn einen komplexen Dechiffrierprozess aus. Die Frage, die sich dabei stellt, ist eigentlich einfach: Wie hängen Molekül und Geruch zusammen? Dabei geht es nicht nur um die Vielfalt von Geruchsempfindungen, sondern auch um deren Stärke. In unserer Firma haben wir uns daher auch mit der Intensität von Geruchsstoffen beschäftigt. Das ist ein wichtiger Kostenfaktor bei der Parfümherstellung.“

 

Dabei haben Sie auf eine Theorie zum Geruchsinn zurückgegriffen, die Sie selbst entwickelt haben: die sogenannte Schwingungstheorie. Könnten Sie diese Theorie kurz erklären?

„Die Nase arbeitet wie ein Elektronenspektroskop und kann die Vibrationen von Molekülen erfassen. Das ist eine Art physikalische Decodierung. Verbreitet war bisher die Auffassung, dass dabei die Form des Moleküls für die Geruchsempfindung ausschlaggebend ist. Aber das ist es nicht. Sondern es sind molekulare Schwingungen, die auf atomarer Ebene erfasst werden können. Wir haben das mit einem chemischen Trick experimentell sogar für den Menschen nachgewiesen, indem wir in Moschus-Molekülen die Wasserstoff-Atome durch ein schwereres Isotop, nämlich Deuterium, ausgetauscht haben. Das riecht dann gar nicht mehr verführerisch, sondern nach verbranntem Plastik.“

 

Was ist nun ihr Job in Ulm? Warum hat Sie der Quantenforscher Martin Plenio hierher geholt?

„Gemeinsam wollen wir herausfinden, welche Rolle molekulare Schwingungen in biologischen Prozessen spielen. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem Proteine. Wie Nanomaschinen bewegen sie sich entlang bestimmter Pfade, und wir wollen herausfinden warum.“

 

Und wie kommen hier die Nanodiamanten ins Spiel?

„Auf atomarer Ebene arbeiten Nanodiamanten wie hochsensible Sensoren, die nicht nur den Eigendrehimpuls, also spin, sondern auch die Ladungsverteilung erfassen können. Daher spielen sie auch in der Quantenbiologie eine so große Rolle.“

 

Sie kennen so viele Welten: die profane Welt der Wissenschaft, aber auch die exotische Welt der Mode und Parfumes. Welche Welt ist Ihnen am liebsten?

„Ganz klar die Welt der Wissenschaft. Es ist ganz phantastisch, seine Vorstellungskraft für etwas einzusetzen, das real ist und wirklich Wirkung zeigt. Aber man hat es dort auch am schwersten. Denn Forschung ist nicht immer `fun´. Es gibt Vieles in der Wissenschaft, das keinen Spaß macht. Doch das ist es mir wert.“

 

Wie kommt es, dass in den meisten Interviews mit Ihnen von Ihrer Forschung so wenig zu lesen ist?

„Die Leute interessieren sich meist nur für die Psychologie dahinter. Kann ich aus einem Stapel gebrauchter T-Shirts das meines Freundes herausriechen? Und so Kram. Viele Journalisten wittern darin eine gute Story, die gut zu verkaufen ist. Aber ehrlich gesagt, finde ich es viel interessanter herauszufinden, wie sich Elektronen bewegen. Bald kommt unser neues Paper heraus. Die Arbeit daran fand ich wirklich viel spannender als diese Küchenpsychologie von der Nase.“

 

Diese leuchtenden Hosenträger, die Sie da anhaben, sind im Ulmer Nebel sicherlich sehr praktisch?

„Oh ja, vor allem wenn ich mit dem Roller zur Uni fahre, kann man mich damit schon von weitem sehen.“

 

Mit Luca Turin sprach Andrea Weber-Tuckermann