Wieder zeigen sich Fehlbildungen an Herz und Hirn
Folgestudie zur Embryo-schädigenden Wirkung von Glyphosat

Ulm University

Glyphosat schädigt Embryonen von Amphibien. Der als Unkrautvernichter verwendete Wirkstoff führt bereits in niedrigen, deutlich unter den in der Natur gemessenen Konzentrationen zu sichtbaren Defekten bei Kaulquappen des südafrikanischen Krallenfrosches (Xenopus laevis). Zu diesem Ergebnis kommen Forschende der Universität Ulm auch in ihrer zweiten Glyphosat-Studie. Während in der ersten Studie von 2022 entwicklungsbiologische Effekte eines Glyphosat-basierten Herbizids untersucht wurden, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrer neuen Arbeit die Wirkung von Glyphosat als Reinstoff analysiert und sind dabei auf vergleichbare Fehlbildungen an Herz und Gehirn gestoßen. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse jüngst in der Fachzeitschrift Ecotoxicology and Environmental Safety.

Kürzere Körper, kleinere Augen, missgebildete Hirnnerven, dazu kommen verkleinerte Herzen und ein verlangsamter Herzschlag. So unterscheiden sich Krallenfrosch-Kaulquappen, die mit Glyphosat behandelt wurden, laut einer neuen Ulmer Studie von ihrer unbehandelten Kontrollgruppe. „Ein weiterer Unterschied: Die dem Herbizid-Reinstoff ausgesetzten Kaulquappen zeigen ein verändertes Schwimmverhalten“, erklärt Professorin Susanne Kühl vom Institut für Biochemie und Molekularbiologie der Universität Ulm, die die Studie koordiniert hat. Je höher die Glyphosat-Konzentration, desto unruhiger bewegen sich die schwimmfähigen Krallenfroschembryonen und legen dabei messbar längere Strecken zurück.

Über 14 Tage hinweg wurden die Krallenfroschembryonen unterschiedlich konzentrierten Glyphosat-Lösungen ausgesetzt. Die Embryonen entwickeln sich dabei vom 2-Zell-Stadium bis zur Kaulquappe. Getestet wurden Glyphosat-Konzentrationen von 0,1 mg/l, 10 mg/l, 97 mg/l bis hin zu 243 mg/l sowie weitere Zwischenstufen „Wir haben uns insbesondere bei den Detailanalysen an Größenordnungen orientiert, wie sie weltweit auch in natürlichen Gewässern zu finden sind“, erläutert Kühl. Während in Europa Glyphosat-Konzentrationen zwischen 0,0025 mg/l (Deutschland), 0,086 mg/l (Frankreich) und 2,46 mg/l (Portugal) gemessen wurden – wie entsprechende Studien zeigen – erreichen Gewässer in Ländern wie China mit 15,21 mg/l und Argentinien mit 105 mg/l Spitzenwerte.
„Überraschend für uns war, dass einige Defekte bereits bei der niedrigsten Konzentration auftraten, die wir getestet haben, also bei 0,1 mg/l. Das sind Konzentrationen, die in natürlichen Gewässern in vielen Ländern teils mehrfach überschritten werden“, sagt Hannah Flach, Doktorandin am Institut für Biochemie und Molekularbiologie und Erstautorin der Studie.

Erste Hinweise auf molekular-genetische Ursachen der Fehlbildungen gefunden

Das fünfköpfige Forschungsteam, zu dem auch Professor Matthias Liess gehört, der am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig (UFZ) das Department für System-Ökotoxikologie leitet, konnte in der Studie nicht nur nachweisen, dass Glyphosat Entwicklungsdefekte in Form von morphologischen Veränderungen und Verhaltensmodifikationen hervorruft. Die Forschenden konnten auch erste Hinweise auf einen möglichen molekularen Mechanismus finden: Das Glyphosat hemmt die Aktivität eines wichtigen Gens, das für die Herzentwicklung eine entscheidende Rolle spielt. „Die verminderte Schlagfähigkeit der Herzen von Kaulquappen, die mit dem Herbizid-Wirkstoff behandelt wurden, könnte damit in Zusammenhang stehen“, resümiert Kühl. Der südafrikanische Krallenfrosch ist ein fest etablierter Modellorganismus der entwicklungsbiologischen Forschung, da Erkenntnisse aus Experimenten mit Xenopus laevis in großer Breite auf andere Organismen übertragbar sind.

Die Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen aufgrund ihrer Ergebnisse und der Befunde ähnlicher Untersuchungen davon aus, dass Herbizide wie Glyphosat zu den Hauptursachen des weltweiten Amphibiensterbens gehören könnten. Dass Glyphosat beziehungsweise Glyphosat-basierte Herbizide auch toxisch auf andere Tierarten wie Fische, Krustentiere und Muscheln, aber auch auf Insekten und Säugetiere wirken, zeigen zahlreiche empirische Belege aus anderen wissenschaftlichen Untersuchungen. Zu den festgestellten Effekten gehören erhöhte Sterberaten, Wachstumsdefekte, Organschäden und Verhaltensstörungen. „All diese Evidenzen sprechen dafür, dass dieses Herbizid breite Auswirkungen auf die Tierwelt hat und für Lebewesen neu bewertet werden muss“, meint Professorin Susanne Kühl. Im Zusammenhang mit den bereits bekannten Befunden anderer Arbeitsgruppen hat also auch die neue Ulmer Studie eine gewisse Brisanz: Aktuell wird auf EU-Ebene über eine mögliche Verlängerung der Zulassung für Glyphosat und darauf basierter Herbizide beraten.

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Susanne Kühl, Institut für Biochemie und Molekularbiologie, Universität Ulm, E-Mail: susanne.kuehl(at)uni-ulm.de

Publikationshinweis:
Hannah Flach, Petra Dietmann, Matthias Liess, Michael Kühl, Susanne Kühl: Glyphosate without Co-formulants affects embryonic development of the south african clawed frog Xenopus laevis, in: Ecotoxicology and Environmental Safety Vol. 260, 15 July 2023
https://doi.org/10.1016/j.ecoenv.2023.115080

 

Text und Medienkontakt: Andrea Weber-Tuckermann

 

 

 

Kaulquappen des Krallenfrosches mit Glyphosat behandelt
Kaulquappen des Krallenfrosches, die mit Glyphosat behandelt wurden (unten), sind kleiner als die unbehandelten Tiere (Aufnahmen: Hannah Flach / Uni Ulm)
gesteigerte Mobilität der Glyphosat-Kaulquappen
Mit Glyphosat behandelte Kaulquappen (rechts) zeigen eine gesteigerte Mobilität im Vergleich zu den unbehandelten (links) (Aufnahme: Hannah Flach / Uni Ulm)
verkleinerte Kaulquappen-Herzen
Die Herzen der Kaulquappen sind nach der Behandlung mit Glyphosat verkleinert (Aufnahmen: Hannah Flach / Uni Ulm)
missgebildete Hirnnerven der Kaulquappen
Die Glyphosat-Exposition führt bei den Kaulquappen des Krallenfrosches zu missgebildeten und verkürzten Hirnnerven (Aufnahmen: Hannah Flach / Uni Ulm)
Hanna Flach und Prof. Susanne Kühl
Die Erstautorin der Studie Hannah Flach (links) mit Studienkoordinatorin Prof. Susanne Kühl (Foto: Vanessa Ihle / Uni Ulm)