Der Molekularbiologe Professor Robert Allan Weinberg gehört zu den renommiertesten Krebsforschern weltweit. Bei der ULM LECTURE im Stadthaus Mitte Mai stellte er zudem unter Beweis, dass er auch ein begnadeter Wissenschaftskommunikator ist. Standen bereits vor dem Vortrag zahlreiche junge Nachwuchsforscher Schlange, um sich mit ihm fotografieren zu lassen - was er sehr freundlich mit einem "Come nearer!" kommentierte - riss der Strom der Autogrammjäger, auch im Nachgang der eineinhalbstündigen Veranstaltung nicht ab.
Vor vollem Haus - im Publikum saßen auch zahlreiche jüngere Zuhörer - sprach Weinberg über die Ausbreitungsmechanismen bösartiger Tumore. Dabei hatte er nicht nur dem fachkundigen Publikum Einiges zu bieten. Bei seinem englischsprachigen Vortrag gab er zugleich spontane Kostproben seines "ostwestfälischen Küchendeutschs", und das gleichermaßen humorvoll wie schlagfertig. Geboren wurde Bob Weinberg 1942 in Pittsburgh, seine Eltern allerdings kommen aus Deutschland. Sie flohen kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in die USA.
Der Mitbegründer des berühmten Whitehead-Institutes für Biomedizinische Forschung am Massachusetts Institute of Technology (MIT) nahm sich dabei die Zeit, die grundlegenden Prozesse bei der Entstehung und Ausbreitung von Krebs auch für den Laien verständlich zu machen. "Das Tödliche am Krebs sind seine Metastasen. Gut neunzig Prozent der Krebskranken sterben nicht am Primärtumor, sondern daran, dass sich die Krebszellen im Körper ausbreiten und andere lebenswichtige Organe befallen", erklärt der vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler, der 2013 mit dem "Breakthrough Prize in Life Science" geehrt wurde. Was macht nun die Krebszellen so gefährlich? Und wieso sind manche aggressiver und tödlicher als andere? "Die Entstehung von Krebs in ein sehr langwieriger Prozess, den wir im Detail noch längst nicht verstehen", gesteht der Tumorforscher und illustriert mit einem Schaubild das hochkomplexe Zusammenspiel von krebsfördernden und -hemmenden genetischen Faktoren und Prozessen.
Embryonalentwicklung und Tumorentstehung haben vieles gemeinsam
"Krebszellen sind embryonalen Stammzellen nicht unähnlich. Sie neigen dazu, sich vermehrt zu teilen, sich auszubreiten und sich zu neuen Zellverbänden zusammen zu schließen", erläutert der Wissenschaftler. So überrasche es nicht, dass es grundlegende Mechanismen der Embryonalentwicklung gibt, die auch bei der Tumorentstehung eine Schlüsselrolle spielten; mit dem Unterschied allerdings, dass diese Prozesse bei Krebs unkontrolliert verlaufen und statt neues Leben vielmehr den Tod bringen.
Im Mittelpunkt von Weinbergs eigener aktueller Forschung steht die sogenannte Epithelial-Mesenchymale Transition (EMT). Das heißt, ursprünglich sesshafte Zellen lösen sozusagen ihre nachbarschaftlichen Verbindungen zum umliegenden Gewebe und werden mobil. Sie fangen an zu wandern, dringen in fremde Gewebe ein und gehen dort neue - mitunter auch sehr ungesunde - Verbindungen ein. Diese phänotypische Veränderung von Zelleigenschaften kann durch epigenetische Faktoren ausgelöst werden. So ist es Mitarbeitern von Weinberg gelungen, diesen phänotypischen Übergang künstlich zu erzwingen. Dabei zeigte sich, dass die einer EMT unterzogenen, zwangsmobilisierten Zellen in ihren Eigenschaften Stammzellen sehr ähnlich sind. Ein weiterer Befund: je nachdem, ob die Zellen nun einen epithelialen oder mesenchymalen Phänotyp haben, sprechen sie ganz unterschiedlich auf eine immuntherapeutische Behandlung an.
Autogramme vom Forscher als persönliches Andenken
Mit langanhaltendem Applaus quittierte das Publikum Weinbergs gleichermaßen wissenschaftlich hochkarätigen wie verständlichen Vortrag. Noch bei der Diskussion im Anschluss - geleitet von Professor Klaus-Michael Debatin, dem Ärztlichen Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum und Gastgeber des Abends - war das Interesse der Zuhörerschaft ungebrochen. Als persönliches Andenken hielt zum Abschied so mancher junge Wissenschaftler - die zahlreichen Wissenschaftlerinnen hier nicht zu vergessen! - ein persönlich signiertes Exemplar von "The Biology of Cancer" unterm Arm. Das von Weinberg verfasste Lehrbuch ist ein internationales Standardwerk der Tumorbiologie und wird - wie man an den Ulmer Exemplaren gut sehen konnte - auch hier intensiv gelesen.
Text, Medienkontakt und Fotos: Andrea Weber-Tuckermann