Im Gesundheitswesen eines Landes spiegeln sich in vielerlei Hinsicht die soziale Gerechtigkeit und die Integration von Minderheiten in der Gesellschaft wider. Obwohl europäische Richtlinien eine Gleichbehandlung aller Menschen – unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, Religion oder sexueller Orientierung vorsehen – werden diese Vorgaben ganz unterschiedlich in nationale Gesetze umgesetzt. Im europäischen Forschungsprojekt „Healthcare as a Public Space. Social Integration and Social Diversity in the Context of Access to Healthcare in Europe“ nimmt Professor Florian Steger, Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Ulm, die soziale Diversität und den Zugang von Minderheiten zur Gesundheitsversorgung in Deutschland, Kroatien, Polen und Slowenien in den Blick.
Das vergleichende Forschungsvorhaben wird für drei Jahre mit insgesamt einer Million Euro aus EU-Mitteln sowie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Den Rahmen bildet das europäische Programm zur Unterstützung der Kunst- und Geisteswissenschaften HERA – Humanities in the European Research Area.
Die Gesellschaften der EU-Mitgliedsstaaten werden immer vielfältiger. Neben vielen positiven Aspekten dieser zunehmenden Diversität scheinen Minderheiten in europäischen Ländern unterschiedlich gut integriert zu sein und nicht immer ausreichend Zugang zur Gesundheitsfürsorge zu haben. Weiterhin könnten Sprachbarrieren, die Ablehnung von Therapien aus religiösen Gründen oder schlichtweg Vorurteile die medizinische Versorgung von gesellschaftlichen Randgruppen erschweren. Im europäischen Forschungsprojekt „Healthcare as a Public Space. Social Integration and Social Diversity in the Context of Access to Healthcare in Europe“ werden diese Annahmen überprüft. Neben einem Ländervergleich plant die Forschergruppe aus den Universitätsstädten Ulm, Warschau in Polen, Rijeka in Kroatien und aus dem slowenischen Ljubljana aus ihren Forschungsergebnissen konkrete Handlungsempfehlungen abzuleiten. Diese Erkenntnisse sollen auf längere Sicht die Versorgung von Geflüchteten, religiösen oder weiteren Minderheiten verbessern.
Normenvergleich und Interviews im Gesundheitswesen
Zunächst ist viel „Aktenstudium“ und Recherchearbeit zu bewerkstelligen: In jedem Land analysiert eine Gruppe Richtlinien und Bestimmungen von EU-Institutionen sowie deren Umsetzung in nationales Recht. Hinweise auf den Einfluss dieser ethischen und rechtlichen Normen in der Gesundheitspraxis bieten Satzungen, Leitbilder oder Akkreditierungsdokumente von Kliniken. Diese umfangreiche Analyse wird erstmals durch Befragungen von Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzten sowie von weiterem Fachpersonal in den vier Ländern ergänzt. „Die Interviews werden uns wichtige Hinweise auf ethische Konflikte und daraus abzuleitende Lösungsstrategien geben. Um an Minderheiten heranzutreten, arbeiten wir eng mit Kliniken und Gesundheitszentren zusammen“, erklärt Professor Steger.
Florian Steger hat langjährige Erfahrung mit länderübergreifenden Forschungsvorhaben. Mit Projektpartnern hat er bereits zur Pränataldiagnostik in Deutschland und Polen sowie auch zur „Migration als Herausforderung für die Medizin“ wissenschaftlich gearbeitet. Teil des aktuellen Vorhabens zur Gesundheitsversorgung von Minderheiten sind regelmäßige Meetings, Workshops und Konferenzen in den vier europäischen Ländern.
Neben einer verbesserten Versorgung von Minderheiten soll das Projekt dazu beitragen, Ärztinnen und Ärzte sowie weitere Fachkräfte im Gesundheitswesen auf die Herausforderungen und Chancen der wachsenden Diversität vorzubereiten. „Unser Vorhaben ist über die Gesundheitsversorgung hinaus relevant. Forschungsergebnisse betreffen auch die soziale Wahrnehmung von Diversität, die Gesundheitspolitik und ganz allgemein die Gesetzgebung“, resümiert Professor Steger.
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