Pressemeldung

Die Entschlüsselung der Struktur des Huntingtin Proteins

Ulm University

Vor 25 Jahren wurde die Ursache der Huntington-Krankheit entdeckt. Mutationen auf einem einzigen Gen, dem Huntingtin Gen, führen zu einer fehlerhaften Form des gleichnamigen Proteins. Jetzt haben Forscher mit Hilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie, der jüngst mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Methode, die dreidimensionale, molekulare Struktur des gesunden menschlichen Huntingtin-Proteins entschlüsselt. Diese ermöglicht nun dessen funktionelle Analyse. Ein verbessertes Verständnis von Struktur und Funktion des Huntingtin-Proteins könnte in Zukunft zur Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten beitragen. Die Arbeit der Forscher vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried und der Universität Ulm wurde jetzt im Fachjournal Nature vorgestellt.

Die Huntington-Krankheit beginnt häufig mit Störungen des Gefühlslebens und ist durch unwillkürliche Muskelbewegungen und dem Verlust geistiger Fähigkeiten charakterisiert. Die neurologische Erkrankung zählt zu den bis heute unheilbaren und zum Tode führenden Erbkrankheiten. Das Protein HTT, auch Huntingtin genannt, spielt die zentrale Rolle bei der Huntington-Krankheit. Das Huntingtin Gen ist die Bauanleitung für das gleichnamige Protein. Seit 25 Jahren ist bekannt, dass Mutationen in diesem Gen die Ursache für die Huntington-Krankheit sind.

Obwohl seit vielen Jahren an der Erkrankung geforscht wird, gibt es immer noch viele Hürden zu überwinden. Jetzt ist es in der Zusammenarbeit von Rubén Fernández-Busnadiego aus der Abteilung „Molekulare Strukturbiologie“ am MPI für Biochemie und Stefan Kochanek, Leiter der Abteilung „Gentherapie“ am Universitätsklinikum Ulm, gelungen, die molekulare, dreidimensionale Struktur des Huntingtin Proteins zu entschlüsseln.

Überwundene Hürde

Schon viele Jahre haben Wissenschaftler wie Stefan Kochanek von der Ulmer Universitätsmedizin an der Produktion und Aufreinigung von Huntingtin gearbeitet. Doch was hat eine detaillierte Analyse des Proteins in den letzten Jahrzehnten verhindert? Fernández-Busnadiego, Experte für Kryo-Elektronenmikroskopie, nennt zwei Hauptgründe: „Die Kryo-Elektronenmikroskopie wurde erst in den letzten Jahren soweit optimiert, um Proteinstrukturen mit fast molekularer Auflösung anzuschauen. Der zweite Grund ist, dass das Huntingtin-Protein in seiner Struktur sehr beweglich ist. Auch dafür haben wir erst jetzt eine Lösung gefunden.“ Bei der Analyse wird das Protein aus unterschiedlichen Perspektiven unter dem Mikroskop aufgenommen. Aus der Vielzahl der entstandenen Bilder kann die dreidimensionale, molekulare Struktur errechnet werden. Dafür muss das Protein immer in der gleichen Form vorliegen. Fernández-Busnadiego erklärt: „Vergleichbar wäre dies mit einer Person, die im Dunkeln fotografiert wird. Bleibt die Person nicht für eine Weile ruhig stehen, wird die Aufnahme verschwommen.“

Um ein scharfes Bild zu erhalten, haben die Forscher um Kochanek nach weiteren Proteinen gesucht, die mit Huntingtin in Verbindung stehen und es stabilisieren. „Ein Protein, dass Huntingtin für die Kryo-Elektronenmikroskopie stabilisiert ist HAP40. So konnten wir, gemittelt über viele Bilder, die dreidimensionale Struktur ableiten“, so Kochanek. „Bleiben wir in der Analogie vom Foto im Dunkeln, dann wirkt das Protein wie ein Stuhl für die fotografierte Person. Darauf sitzend, bewegt sich die Person viel weniger und das Bild wird bei gleicher Belichtungszeit viel schärfer“, ergänzt Fernández-Busnadiego.

Wozu wird die dreidimensionale Struktur von Huntingtin benötigt?

„Wir wissen zwar seit einer Weile, dass die Mutation des Huntingtin-Gens schlimme Folgen hat, doch ist bis heute nur relativ wenig über die Funktion und die Aufgaben des gesunden Proteins bekannt“, erklärt Kochanek. Proteine sind die molekularen Maschinen der Zelle. Um ihre vielseitigen Aufgaben zu erfüllen, haben diese eine bestimmte dreidimensionale Struktur, ähnlich wie ein bestimmtes Bauteil in einer Maschine. „Da wir jetzt den exakten Aufbau des Bauteils Huntingtin kennen, können wir in weiteren Studien untersuchen, welche Bereiche von Huntingtin besonders wichtig sind und wie andere Protein mit Huntingtin funktionell zusammenarbeiten. Auf diese Weise könnten Strukturen entschlüsselt werden, an denen bestimmte Wirkstoffe therapeutisch angreifen.“

In der Erforschung der Huntington-Krankheit gibt es derzeit viel Bewegung. Große Hoffnung richtet sich derzeit auf eine "Stummschaltung" des Huntingtin Gens mit sogenannten Antisense-Oligonukleotiden (ASO) zur Behandlung der Huntington-Krankheit. Diese kleinen Moleküle vermindern die Bildung des Huntingtin Proteins in den Zellen. Dabei kann das Medikament nicht zwischen dem normalen und dem krankhaft veränderten Huntingtin-Protein unterscheiden. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, mehr über die Funktion des gesunden Huntingtin Proteins zu lernen. „Die entschlüsselte Struktur wird uns einen großen Schritt voran bringen“, schaut Kochanek in die Zukunft.

Zur Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts 

 

Text: Dr. Christiane Menzfeld, MPIB
Medienkontakt: Annika Bingmann

 

Literaturhinweis:
Q. Guo, B. Huang, J. Cheng, M. Seefelder, T. Engler, G. Pfeifer, P. Oeckl, M. Otto, F. Moser, M. Maurer, A. Pautsch, W. Baumeister, & R. Fernández-Busnadiego and S. Kochanek: The cryo-EM structure of huntingtin, Nature, Februar 2018, DOI: 10.1038/nature25502

Die Huntington-Krankheit ist ein unheilbare erbliche Erkrankung des Gehirns, die durch Störungen des Gefühlslebens, unwillkürliche Muskelbewegungen und den Verlust geistiger Fähigkeiten charakterisiert ist (Symbolbild: Shutterstock)
Das Protein Huntingtin besteht aus drei flexiblen Bereichen, dargestellt in rot, gelb und blau. Zusammen mit seinem Interaktionspartner HAP40, violett dargestellt, ist Huntingtin stabiler. Dies ermöglichte die Entschlüsselung ihrer dreidimensionalen Struktur mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie (Illustration: Gabriele Stautner, ARTIFOX © Max-Planck-Institut für Biochemie)
Prof. Stefan Kochanek, Leiter der Abteilung Gentherapie der Ulmer Universtiätsmedizin (Foto: Karthikeyan Balakrishnan/Uni Ulm)