Mediale Skandalisierung und Bagatellisierung des Kinderschutzes
Heiner Fangerau, Arno Görgen
Das Teilprojekt 3 beschäftigt sich mikro- und mesoanalytisch mit der Skandalisierung und Bagatellisierung von definierten Kinderschutzfällen in der medialen Öffentlichkeit und deren Rückwirkung auf die unterschiedlichen Fachdiskurse – insbesondere den medizinischen und den rechtlichen Fachdiskurs – und Strukturen des Kinderschutzes. Die Analyse ermöglicht einerseits gemeinsam mit der philosophischen Analyse in TP2 eine bessere makrohistorische Verortung der Mikroanalysen von TP1, TP4 und TP5, andererseits können im Zusammenhang mit dem zu konzipierenden Instrument (TP5) aus dem Teilprojekt heraus Strategien des Umgangs von Pädagogen und anderen Praktikern im Umgang mit Medien erörtert werden. Ziel dieses Arbeitspaketes ist es, mittels der Methode der historischen Diskursanalyse zum einen eine Geschichte der öffentlichen Wahrnehmung von sexuellem Kindesmissbrauch in den führenden Printmedien (Bild/Spiegel) der Bundesrepublik Deutschland ab 1945 nachzuzeichnen. In einem zweiten Schritt wird in einer weiteren Diskursanalyse anhand noch auszusuchender relevanter medizinischer Fachorgane der Einfluss medialer Berichterstattung auf Forschung zum medizinischen Kinderschutz erfasst und im Hinblick auf sich wandelnde Konzeptionen von Kindeswohl und Verständnismustern von Verletzungen des Kindeswohls untersucht werden. Hier werden kongruent mit TP4 auch Prozesse der Medikalisierung in den Blick genommen. Neben dieser Erfassung der Langzeitentwicklung sollen exemplarisch Skandalkomplexe untersucht werden, die sich inhaltlich schwerpunktmäßig mit sexuellem Missbrauch in pädagogischen Kontexten beschäftigen. Als mögliche Beispiel sind hier die Wormser Prozesse (1993-1997) oder die Skandalkaskaden um den Missbrauch in kirchlichen pädagogischen Institution im Jahr 2010 zu nennen. Diese werden inhaltlichen ebenfalls auf Schnittstellen zwischen Politik, Medien und Wissenschaft untersucht.
Mit dem gleichen Teilziel wird auch mit Hilfe eines Werksauftrags an einen ausgewiesenen Rechtsexperten auf dem Gebiet des Kinderschutzrechts (Prof. Dr. R. Wiesner) die Entwicklung der für den Kinderschutz relevanten Paragrafen in der Bundesrepublik Deutschland analysiert. Ausgehend von den verfassungsrechtlichen Grundlagen sollen die einzelnen Rechtsverhältnisse, die für den Schutz von Kindern in Einrichtungen von Bedeutung sind, näher herausgearbeitet werden. Darunter fallen Inhalt und Reichweite der Elternverantwortung, die Rechte des Kindes, die Modalitäten des staatlichen Wächteramtes sowie die Verantwortung der Träger der Einrichtungen, in denen die Kinder betreut werden. Dabei sind auch die Änderung des Bundeskinderschutzgesetzes, das am 1. Januar 2012 in Kraft getreten ist, in den Blick zu nehmen, soweit sie sich auf den Schutz von Kindern in Einrichtungen insbesondere die Gewährleistung von so genannten Kinderschutzstandards beziehen. Aus dieser Analyse soll ersichtlich werden, wie das Rechtssystem auf das Problem des Kindesmissbrauchs und dessen Emergenz in der breiten Öffentlichkeit reagiert. Diese rechtshistorische Analyse ist zum einen darauf angelegt, strukturelle Probleme in der legislativen Anlage des Kinderschutzes zu offenbaren, die auch auf die Praxis in den Institutionen rückwirken und die Arbeit dort strukturieren. Zum anderen soll die Bewertung der Rechtsentwicklung im Spiegel der Untersuchung der medialen Skandalisierung von Missbrauchsfällen betrachtet werden. Gegenseitige Wechselwirkungen sollen aufgedeckt werden und in Rückbindung an TP2 die jeweilig zum Tragen kommenden Kindeswohlbegriffe herausgearbeitet werden. Zuletzt sollen Wirkung und Dynamik des §8 SGB VIII auch im Zusammenhang mit den Ergebnissen aus TP1, 4 und 5 untersucht und interpretiert werden.
Universität Ulm, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin