Ethische Analyse des psychiatrischen Fachdiskurses zu Kinderwunsch und Elternschaft bei psychisch kranken Menschen
DFG-Projekt in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Versorgungsforschung der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II, der Universität Ulm am BKH Günzburg; Projektleitung: Dr. Silvia Krumm (http://www.uni-ulm.de/psychiatrieII/agversorgungsforschung.htm)
Menschen mit psychischen Erkrankungen wurden – unter maßgeblicher Beteiligung der Psychiatrie – bis weit in das 20. Jahrhundert hinein u.a. durch Institutionalisierung und Sterilisierung daran gehindert, Kinder zu bekommen. Derzeit scheint ein Konsens dahingehend zu bestehen, dass betroffene Personen möglichst selbst über die Frage einer Elternschaft entscheiden können sollten. Doch sind Entscheidungen zu Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft im Fall einer psychischen Erkrankung besonders problematisch: So bestehen sowohl für die betroffenen Personen selbst als auch für das (potenzielle) Kind z.T. erhebliche Risiken, und die Frage nach einer autonomen Entscheidungsfindung der psychiatrischen Patienten stellt häufig eine spezielle Herausforderung dar. Darüber hinaus ist zu vermuten, dass die gegenwärtige Diskussion um die Bedeutung genetischer Dispositionen zur Ausbildung auch psychischer Krankheiten die Beratungssituation im Fall einer diagnostizierten psychischen Krankheit beeinflusst. Es ist also davon auszugehen, dass sich die Beschäftigten in der Psychiatrie in multiplen Spannungsfeldern bewegen, deren Bewältigungsmöglichkeiten nicht unbedingt evident sind.
Begleitend zur soziologischen Analyse des psychiatrischen Fachdiskurses und der Einstellungen der Professionellen zu diesem Themenfeld (Dr. Silvia Krumm), soll die ethische Analyse, unter Berücksichtigung des historischen Hintergrundes des 20. Jahrhunderts bis zu Gegenwart, ethische Konflikte und Dilemmata, sowie möglicherweise wirksame Tabus im Kontext des Kinderwunsches psychisch kranker Menschen analysieren. Darüber hinaus soll die Bedeutung verschiedener Autonomiekonzepte, die im psychiatrischen Fachdiskurs zu Empowerment und Dehospitalisierung seit der Psychiatriereform der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts wirksam sind, im Hinblick auf die Frage der Elternschaft psychisch Kranker untersucht werden. Vor der Projektionsfläche der allgemeinen (nicht-psychiatrischen) Debatte um ein ‚Recht auf Kind‘ und den Einfluss genetischer Konzepte auf Schwangerschaftsverläufe könnte, so die Hypothese, die Analyse der Situation bei Vorliegen einer psychischen Krankheit auch Aufschluss geben über allgemein wirksame Konzepte von Autonomie, Normalität und Krankheit und deren Verhältnis zueinander, sowie über aktuell wirksame Vorstellungen gelungener Lebensführung.
Verantwortlich für das Projekt:
Dr. Gisela Badura-Lotter