Global Health und Interkulturalität
Ziel dieses Projektes ist es, an den Schnittstellen von medizinischer Praxis, fachbezogener akademischer Lehre und medizingeschichtlich-kulturwissenschaftlicher Forschung kulturelle Rahmenbedingungen medizinischen Handels zu erschließen und entsprechende Ergebnisse in die Krankenversorgung und universitäre Lehre zu transferieren. Dazu dienen die folgenden Teilprojekte:
- Interkulturelle Transferprozessen in Ritual und Heilung, d.h. die Übertragung von Diagnose-, Therapie und Präventionsmethoden in historischer, ethnologischer und ethischer Perspektive
- Die Implementierung eines Studiengangs Global Health im Kerncurriculum des Medizinstudiums
- Kultursensible Lehre und Medikale Erinnerungskultur - Eine Studie Vorstellungen von ärztlicher Identität bei Medizinstudierenden vorderasiatisch-nordafrikanischer Herkunft an der Universität Ulm
- Kultursensible Krankenversorgung – Mitarbeit in der Arbeitsgruppe „Interkulturalität in der medizinischen Praxis“ der Akademie für Ethik in der Medizin
- Tendenzen des Umgangs mit aussichtslosen Prognosen bei Patienten mit islamischen/ Migrationshintergrund
1. Interkulturelle Transferprozesse in Ritual und Heilung - Die Übertragung von Diagnose-, Therapie und Präventionsmethoden in historischer, ethnologischer und ethischer Perspektive
Dem Ausganspunkt dieses in Vorbereitung befindlichen Projektes stellt der rezente, (post-) moderne multikulturelle medizinische Pluralismus dar, der sich unter anderem im Transfer von Diagnose- und Therapiemethoden über kulturelle Grenzen hinweg sowie in der kulturübergreifenden Auslagerung von medizinischen Heil- und Pflegeleistungen manifestiert. Das Projekt widmet sich einer kritischen Sicht auf die undifferenzierte Übernahme fremdkultureller, größtenteils spirituell gebundener Heilweisen in einen westlichen Kontext und geht dabei folgenden Themenstellungen nach:
- Die Perzeption fremdkultureller Medizinkonzepte vor dem Hintergrund der historisch gewachsenen Ambivalenz interkultureller Fremdwahrnehmung (Ethnozentrismus, Idealisierung des Fremdkulturellen)
- Die Analyse von unbefriedigten Gesundheitsbedürfnissen innerhalb westlicher Gesellschaften
- Kommerzielle Aspekte des Gesundheits-„Outsourcing“
- Indigenous Knowledge und Indigenous Property Rights
Vorträge
Die Ethik des Jenseits – Ein Beispiel aus dem indianischen Amerika. Beitrag zur Tagung des Ethik-Netzwerkes Baden Württemberg am 27. November 2009 in Ulm - Thema: Ethik und Weltanschauung.
Schamanismus als medizinische Prävention? Ein Fallbeispiel aus Ladakh (Nordwest-Indien). Vortrag beim 29. Stuttgarter Fortbildungsseminar „Prävention und Gesundheitsförderung in der Geschichte der Medizin“, Robert Bosch-Institut, 28.-30. April 2010
Patienten, Campesinos, Heiler, Ärzte, Sanitäter – Kontrastive Analyse des Patientenverhaltens in der bolivianischen Kallawaya-Region. 30. Stuttgarter Fortbildungsseminar des Instituts für Medizingeschichte der Robert Bosch-Stiftung, 06.-08.04. 2011
Publikationen
Kressing, F. (2012): Schamanismus als medizinische Prävention? Ein Fallbeispiel aus Ladakh (Nordwest-Indien). In: Jütte, R. (Hrsg.), Medizin, Gesellschaft und Geschichte. Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Nr. 30, Stuttgart; S. 229-252.
Kressing, F. (2012): Heil und Gesundheit aus der Ferne – Einige ethische Überlegungen zu interkulturellen Transferprozessen in der Komplementär- und Alternativmedizin. In: Zeitschrift für Medizin - Ethik – Recht. Medizinethik im kulturellen Kontext 1 (3) 2012, S. 6-14.
Kressing, F. (2014): Anmerkungen zur Ethik der Forschung an und mit ethnischen Minderheiten. In: Lenk, C., G. Duttge, H. Fangerau (Hrsg.): Handbuch Ethik und Recht der Forschung am Menschen. Springer: Heidelberg, Dordrecht, 323-327.
Projektbearbeiter
Dr. Frank Kressing, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Universität Ulm
Datei-Downloads
2. Die Implementierung von Global Health im medizinischen Curriculum der Universität Ulm
„Globale Gesundheit ist eine Disziplin bestehend aus Praxis, Forschung und Bildung mit einem Fokus auf Gesundheit und die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Faktoren, die sie weltweit beeinflussen”
-- Schubert; Özbay, Tinnemann: Hier & Dort. bvmd, Globalisation and Health Initiative 2009, S. 4.
Fragen von weltweiter medizinischer Versorgung, Forschung und Gesundheitspolitik gewinnen auch in den Curricula medizinischer Fakultäten zunehmend an Gewicht. Sowohl von studentischer Seite als auch von Seiten der Hochschullehrer besteht ein wachsendes, empirisch belegbares Interesse an der Vermittlung von Aspekten der globalen Gesundheitsversorgung. Indizien dafür sind z.B. dezidierte Bedarfsanalysen von studentischer Seite bezüglich des Ist-Zustandes und des Ausbildungsbedarfs im Global Health-Bereich (Bozorgmehr et al. 2010/10: 66; Bozorgmehr; Saint & Tinnemann 2011/7:8; Bozorgmehr, Last, Müller & Schubert 2009) sowie die Gründung einer bundesdeutschen „Global Health Alliance“ im Mai 2011 an der Universität Marburg, welche unter Beteiligung von Studierenden und Dozenten die Implementierung von Global Health-Curricula an den medizinischen Fakultäten in Deutschland vorantreiben will. Unterrichtsangebote in diesem Fach bestehen bislang an den Universitäten und Hochschulen in Aachen, Bonn, Berlin, Frankfurt/Main, Freiburg, Gießen, Göttingen, Greifswald, Heidelberg, Marburg, München, Münster und Würzburg. In Ulm wird seit dem Sommersemester 2012 „Global Health“ als Wahlpflichtfach oder als Schwerpunkt in den Lehrveranstaltungen zu Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin gelehrt (s.u.: „Downloads“).
Im September 2013 gründete sich auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung in Graz ein gemeinsamer Ausschuss für interkulturelle Kompetenz und Global Health mit dem Ziel, die Vermittlung von Aspekten der Gesundheitsversorgung in einer interdisziplinären, kulturübergreifenden Perspektive als feststehenden Bestandteil der Medizinerausbildung zu etablieren (ebd.: „Vorstellung GH_Graz_23_09_13).
Aspekte von Global Health
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-- bvmd, (GandHI). Lehre am Puls der Zeit – Global Health in der medizinischen Ausbildung: Positionen, Lernziele und methodische Empfehlungen. 2009. Bonn 2009, S. 26
Vorträge
Vorstellung des geplanten Wahlpflichtfachs an der Uni Ulm. Global Health Wahlpflichfachtreffen, Bundesvereinigung der Medizinstudierenden (bvmd), Global Health Initiative (GandHI), Philipps-Universität Marburg, 20.05. 2011
Global Health an der Medizinischen Fakultät der Universität. Workshop „Global Health an Deiner Uni starten“, bvmd-Bundeskongress Aachen, 03.12.2011
Vorstellung des Posters Global Health Alliance. Ein Netzwerk Lehrender und Studierender. Autoren: P. Saupp, H. Schröder, S. Schmidt, W. Bruchhausen, F. Kressing. Jahrestagung der Gesellschaft für medizinische Ausbildung, Aachen, 27.09. 2012
Vorstellung der Global Health Alliance für Deutschland. Workshop 01: Interkulturelle Kompetenz und Global Health in der medizinischen Ausbildung, "Tradition – Hemmschuh oder Chance?" Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung, Graz, 25.09.2013
Literatur
Bozorgmehr, K, Last, K, Müller, A, Schubert, K Lehre am Puls der Zeit - Global Health in der medizinischen Ausbildung: Positionen, Lernziele und methodische Empfehlungen. Zeitschrift für Medizinische Ausbildung (2011)
Bozorgmehr, K, Schubert, K, Menzel-Severing, J, Tinnemann, P: Global Health Education: A cross-sectional study among German medical students to identify needs, deficits and potential benefits. BMC Medical Education (2010) 10/6
Bozorgmehr, K, Victoria, A, Tinnemann, P: The “global health” education framework: A conceptual guide for monitoring, evaluation and practice. Globalization and Health (2011) 7/8.
Bruchhausen, W: „Biomedizin“ in sozial- und kulturwissenschaftlichen Beiträgen. Eine Begriffskarriere zwischen Analyse und Polemik. Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 18 (2010): 497-522
Bruchhausen, W: Global Health – Eine Herausforderung für das Medizinstudium. Deutsches Ärzteblatt – Politik - Ausbildung 42 (2011): 1-2
Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland, Global Health Initiative: Lehre am Puls der Zeit – Global Health in der medizinischen Ausbildung: Positionen, Lernziele und methodische Empfehlungen, Bonn (2009)
Schubert, K, Özbay, J, Tinnemann, P: Hier und Dort – Einblicke in die Globale Gesundheit. Berlin, Leipzig (2009)
Downloads – Lehr-und Lernmaterialien Sommersemester 2012
3. Kultursensible Lehre und Medikale Erinnerungskultur - Eine Studie Vorstellungen von ärztlicher Identität bei Medizinstudierenden vorderasiatisch-nordafrikanischer Herkunft an der Universität Ulm
Erfahrungen der universitären Lehre, z.B. in den Kursen zur Medizinischen Terminologie im ersten vorklinischen Semester zeigen, dass Studierende vorderasiatischer und nordafrikanischer Herkunft mit größeren Schwierigkeiten als deutschstämmige, „einheimische“ Studierende, aber auch als andere internationale Studierende und Studierende in der Bewältigung des Studienalltags zu kämpfen haben. Hier soll die These aufgestellt werden, dass diese Schwierigkeiten von Studierenden aus den „Nahen Osten“ keinesfalls nur auf Sprachprobleme und Adaptionsschwierigkeiten an den bundesdeutschen Alltag zurückzuführen sind, sondern auch durch das westliche medizinische Ausbildungssystem bedingt sind und auch durch eine spezifische medikale Erinnerungskultur und kulturspezifische Vorstellungen von ärztlicher Identität bedingt sind (vgl. Elzubeir & Elzubeir 2010).
3.1 Eingrenzung der studentischen Klientel
Die entsprechende studentische Klientel weist dabei einen sehr heterogenen Charakter auf: An der Universität Ulm findet sich ein beträchtlicher Prozentsatz von Medizinstudierenden aus arabisch geprägten Ländern, vor allem aus Palästina und Israel. Hinzu kommen Studierende iranischer Herkunft, die zum kleineren Teil im Iran selbst geboren sind und zum größeren Teil entweder in der Bundesrepublik aufgewachsen sind oder über Migrationsketten (z.B. vorangegangenes Exil der Eltern in den USA) nach Deutschland bzw. zum Studium nach Deutschland gekommen sind, sowie ein beträchtlicher Anteil türkischstämmiger Studierender, von denen der größte Teil hier in der Bundesrepublik auf gewachsen und ein geringer Teil direkt aus der Türkei zum Studium nach Deutschland gekommen ist – so die Vorannahme. Hinzu kommen weitere Studierende mit (teilweise) vorderasiatischem Hintergrund, z.B. aus bosnisch-jordanischen Mischehen.
Auch wenn durch diese Charakterisierung der Untersuchungsgruppe deutlich auf ein vorwiegend moslemisches Umfeld verwiesen ist, soll eine Etikettierung als „moslemisch“ vermieden werden, da (1) einerseits von einem völlig unterschiedlichen Grad der Verwurzelung im islamischen Glauben (von strenggläubig, evtl. fundamentalistisch, bis hin zu atheistisch) auszugehen ist, (2) auch Studierende mit christlichen Hintergrund (z.B. ägyptische Kopten, christliche Libanesen, aramäisch-stämmige Studierende aus der der Türkei, Georgier) und jüdischem Hintergrund (vornehmlich Israelis) mit in diese Studie durchaus mit einbezogen werden sollen, so dass das Herkunftsgebiet der Untersuchungsklientel ganz grob mit dem unspezifischen deutschen Begriff „Orient“ wiedergegeben werden kann.
3.2 Die Lebenssituation internationaler Studierender aus dieser Region
Wie die Auswertung entsprechender Literatur, von Selbstzeugnissen, Internetportalen und „Best Practice“-Beispielen deutscher Hochschulen zeigt, gestaltet sich die Lebenssituationen dieser Studierendengruppe – häufig sowohl im Studien- wie im Heimatland – gleichermaßen prekär und ist geprägt durch politische Unsicherheit (z.B. Syrien, Palästina), familiären Erwartungsdruck in Bezug auf einen erfolgreichen Studienabschluss, z.T. das Gefühl der religiösen, ethnischen und sexuellen Diskriminierung. Die Folgen bestehen in hohen Durchfallquoten unter Studierenden aus dem Nahen Osten, einer hohen Quote von Studienabbrechern, einer hohe Rate von Rückwanderern bei gleichzeitigem Fachkräftemangel in Deutschland, damit verschenkten Potenzialen und nicht zuletzt im internationalen Imageverlust deutscher Hochschulen.
3.3 Die Studie
Die avisierte empirische Studie geht von der Grundthese aus, dass die Schwierigkeiten von Studierenden aus den „Nahen Osten“ mit dem westlichen medizinischen Ausbildungssystem auch durch eine spezifische medikale Erinnerungskultur und kulturspezifische Vorstellungen von ärztlicher Identität bedingt sind. Ziel der Studie ist es, empirische Belege zu eventuell kulturgebundene Vorstellungen von ärztlichem Tun zu ermitteln, deren Kenntnis und Berücksichtigung den interkulturellen Transfer von Heil- und Pflegeleistungen im Krankenhausalltag erleichtern kann.
Vorstellungen zur ärztlichen Identität von arabisch-, iranisch- und türkischstämmigen Medizinstudierenden sollen in verschiedenen Phasen ihres Studiums vor dem Hintergrund ermittelt werden, dass ausgehend von der hellenistisch- islamischen Tradition des Mittelalters gerade in den Ländern des Nahen Ostens Medizin eine sehr hohe Wertschätzung erfährt. Die zugrunde liegende These besteht darin, dass dieser kulturelle Hintergrund auch das Verhältnis der Studierenden aus dieser Herkunftsregion zum Medizinstudium und zum Arztberuf prägt und dass diese im Verlauf des Projektes noch zu ermittelnde Grundeinstellung – bei aller zu berücksichtigenden Heterogenität – zu Konflikten mit vorherrschenden Wertmustern im „westlichen“ medizinischen Umfeld und unter Medizinstudierenden deutscher Hochschulen beitragen kann.
Aufgrund der über narrative Interviews zu ermittelnden Befunde dieser Studie sollen einerseits interkulturelle Transferprozesse, aber auch kulturspezifische Barrieren in der Vermittlung von medizinischen Erkenntnissen und ärztlichem Rollenverständnis ermittelt werden, deren Kenntnis einen Beitrag zur Erleichterung des Lernens und Lehrens im Fach Medizin leisten und zeigen kann, wie kulturgebundene Faktoren medizinisches Tun beeinflussen und unter Umständen auch lenken können. Einer der zugrunde liegenden Thesen besteht allerdings darin, dass ein gleichartiges kulturelles Umfeld von Arzt und Patient noch kein „besseres“ Arzt-Patienten-Verhältnis garantieren muss.
3.4 Methode
Als Methode ist eine kulturell informierte und kultursensible Methode anzuwenden, die am besten der qualitativen ethnographischen Feldforschung in Gestalt von narrativen Interviews gemäß einem allgemein gehaltenen, nicht in jedem Falle verbindlichen Frageleitfaden entspringen sollte. Solche Leitfragen können sein:
- Können Sie uns etwas aus Ihrer Kindheit berichten?
- Gab/gibt es in Ihrer Familie Ärzte?
- Wie kam es zum Ihrem Entschluss, Medizin studieren zu wollen?
- Warum studieren Sie hier in Deutschland? Gab es andere Alternativen?
- Einstellung zur Medizin: Gründe für die Wertschätzung
- Broterwerb – ökonomische Motivation?
- Welche medizinischen Fachbereiche schätzen Sie am meisten, welche am wenigsten? Warum?
- Wie beurteilen Sie das Lehrprgramm in Geschichte, Theorie und Ethim der Medizin (für höhersemestrige Studierende, welche die entsprechenden Kurse mitgemacht haben)?
Als Vergleichsgruppen der Studie sind deutsch-stämmige Medizinstudierende und ausländische Studierende anderer Fächer (Biologie, Physik etc.) mit einzubeziehen, um die fächerübergreifende Übertragbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten. Narrative Interviews können durchaus auch von älter-semestrigen Studierenden bzw. Tutoren geführt werden.
3.5 Medizinhistorisch-wissenschaftsgeschichtliche Einbindung
Das Projekt ist in medizinhistorischer und wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht mehrfach in historisch nachweisbare Transferprozesse medizinischer und medizinrelevanter Vorstellungen eingebunden. Diese betreffen:
- Den Transfer medizinischen Wissens und medizinischer Praktiken aus dem griechisch- hellenistischen Umfeld in den arabisch-islamischen Raum. Hierbei wird vorausgesetzt, dass der östliche Mittelmeerraum als „antikes Epizentrum“ der empirischen Medizin definiert werden kann und dieses Wissen als Prozess bewusster Aneignung in frühislamischer Zeit in den zunächst arabisch geprägten entstehenden islamischen Kulturraum übernommen und weiterverbreitet wurde.
- Den Transfer von neuzeitlich-medizinischem Wissen und Fertigkeiten vom 18. bis zum 20. Jahrhunderts aus Westeuropa in die islamische Welt, der zu einer teilweisen Übernahme europäischer Medizin, aber zu einer Ko-Existenz mit einheimischen „offiziellen“ und volksreligiös inspirierten paramedizinischen Praktiken führte – so lautet die forschungsleitende These.
- Die Konfrontation von Medizinstudierenden, die teilweise von dieser „euro-islamischen“ Medizintradition geprägt sind mit Prämissen, Wertigkeiten und Verfahrensweisen (knowledge, skills, attitudes) der westlichen, mitteleuropäischen Biomedizin des 21. Jahrhunderts.
3.6 Emanzipativ-partizipatorischer Ansatz - Motivation zur Mitwirkung für internationale und deutschstämmige Studierende
Zur Umsetzung der Studie ist der Einsatz studentischer Tutoriums-Gruppen und die Zusammenarbeit mit außeruniversitären Initiativen vorgesehen, z.B. „Tür an Tür“/Migranet in Augsburg, dem Arabian-German Medical Alumni Network (AGMAN) der Universität Erlangen-Nürnberg, der ArabMed-AG der Charité in Berlin, der German University in Cairo, dem International Office der Universität Ulm, der Global Health Allianz, dem IMECU–Projekt International Medical Culture an der Chirurgischen Klinik und Poliklinik in München und dem Istanbul Health Museum EU Project.
Die Studie versteht sich dementsprechend nicht allein als wissenschaftliche Untersuchung, sondern auch als mögliche Maßnahme zur Stärkung und Nutzung von Potenzialen von internationalen Studierenden und als Beitrag zur Gestaltung eines befriedigenden Studienalltags und über den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn als Beitrag, kultursensibles Lernen als Bestandteil des universitäres Curriculums in der Medizin zu etablieren, indem verstärkter Wert auf die Vermittlung von Inhalten des medizinischen Pluralismus und der außereuropäischen Medizingeschichte gelegt wird. Gemäß den Ansätzen der Aktionsethnologie/Advocacy (Schlesier, Seithel) ist die Studie gemäß bereits bestehender Best Practice-Ansätze eingebunden in eine weitreiche Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten (knowledge and skills) an internationale Studierende und die Maxime, dass sich die Untersuchenden in weitgehender Weise den Forschungspartnern zur Verfügung stellen. Dementsprechend besteht die Motivation zur Mitwirkung an dieser Studie für „einheimische“ Studierenden darin, dass sie anderen Studierenden bei der Bewältigung des Studiums helfen können und Verständnis für die Lage einer größeren Gruppe ausländischer Studierender wecken können.
Publikationen
Kressing F. (2014): Contested Medical Identities - Migration of Health Care Providers and Middle Eastern Students at Western Universities. In: İlkılıç, İ., H. Ertin, R. Brömer, H. Zeeb (Hrsg.): Health, Culture and the Human Body. Epidemiology, Ethics and History of Medicine, Perspectives from Turkey and Central Europe. Istanbul: Beşikçizade Center for Medical Humanities (BETIM), Hayat Foundation for Health and Social Services, 113-124.
Vorträge
Orta Doğu’nun tıbbiyelilerin hatırlaması ve özdeşliği Almanya‘da – Commemoration and Identity of Medical Students from Middle Eastern Countries in Germany. Medizinhistorisches Museum Ingolstadt, 02.05. 2011
Paracelsus und Ibn Sino [sic!] im Spiegel westlicher und orientalischer Erinnerungskultur. GTE-Institutskolloquium, Universität Ulm, 18.05. 2011
Kressing, F.: Potenziale internationaler Studierender/ von Studierenden mit Migrationshintergrund nutzen und stärken. Vorstellung des Projektes zur medikalen Erinnerungskultur beim International Office der Universität Ulm, 25.08. 2011
Contested Medical Identities, Migration of Health Care Providers and Middle Eastern Students at Western Universities. Second International and Interdisciplinary Conference on ‘Health, Culture, and the Human Body‘. Istanbul, 15.09. 2012.
Kressing, F. Global Health, kultursensible Lehre und medikale Erinnerungskultur. Jahrestagung der Gesellschaft für medizinische Ausbildung, Aachen, 29. 09.2012.
Literatur
Elzubeir, M A, Elzubeir, K E, Magzoub, M E: Stress and Coping among Arab Medical Students: Towards a Research Agenda. Review Article, Education for Health (2010): 1-16
Seithel, F: Action Anthropology. Eine Darstellung ihrer Grundzüge anhand nordamerikanischer Projekte. Mainz 1986
Seithel, F: Von der Kolonialethnologie zur Advocacy Anthropology. Zur Entwicklung einer kooperativen Forschung und Praxis von EthnologInnen und indigenen Völkern. Hamburg (2000)
Universität Ulm, Universitätsklinikum Ulm, Bundesminsterium der Verteidigung (2011): Verbundantrag PiCS@Uulm – Practical and Communication Skills Concept - UULM PRO MINT & MED, Ulm (2011)
Schlesier, K H: Zum Weltbild einer neuen Kulturanthropologie. Erkenntnis und Praxis. Die Rolle der Action Anthropology. Vier Beispiele. Zeitschrift für Ethnologie 105/1 (1980): 32–66
Datei-Downloads
4. Kultursensible Krankenversorgung – Mitarbeit in der Arbeitsgruppe „Interkulturalität in der medizinischen Praxis“ der Akademie für Ethik in der Medizin
Die weltweite Migration – auch von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in den Gesundheitsberufen und in Pflegeteams – schafft neue Voraussetzungen für einen kultursensiblen Umgang mit Patientinnen und Patienten, wirft aber auch grundsätzliche Fragen ärztlichen und pflegerischen Handelns auf, welche Gegenstand der Arbeitsgruppe „Interkulturalität in der medizinischen Praxis“sind.
Diese Arbeitsgruppe besteht seit Februar 2011 innerhalb der „Akademie für Ethik in der Medizin“ (aem). Ihre Mitgliedern stammen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und vertreten ganz verschiedene Fachbereiche (Medizin, Pflege, Ethnologie, Theologie, Philosophie/Ethik, Pädagogik und Linguistik).
Die Arbeitsgruppe beschloss ein Positionspapier mit dem Titel „Empfehlungen zum Umgang mit Interkulturalität in Einrichtungen des Gesundheitswesens“, das in 13 konkreten Thesen die Mindeststandards bzw. Lernzielbereiche der kultursensiblen Patientenversorgung und Krankenpflege (wie Kulturmodelle, kulturelle Wahrnehmung, Entscheidungsfindungsprozesse, Rolle der Kommunikation etc.) thematisiert. Das Positionspaper berücksichtigt den aktuellen medizinethnologischen und medizinethischen Forschungsstand und richtet den Blick neben der medizinischen Aus-, Fort- und Weiterbildung auch auf organisationsethische und politische Aspekte. Es stellt die Grundlage für weitere Entwicklungen in der medizinischen Lehre dar und setzt einen Standard fest, hinter den die Ausbildung nicht zurückfallen darf.
Publikationen
Peters T, Grützmann T, Bruchhausen W, Coors M, Jacobs F, Kaelin L, Knipper M, Kressing F, Neitzke G (2014) Empfehlungen zum Umgang mit Interkulturalität in Einrichtungen des Gesundheitswesens. Positionspapier der Arbeitsgruppe Interkulturalität in der medizinischen Praxis in der Akademie für Ethik in der Medizin. Ethik in der Medizin, Berlin, Heidelberg.
Kressing, F (2014): Interkulturalität und das Fürsorgeprinzip. In: Katholische Akademie Rhein-Neckar, Katholischer Pflegeverband e.V. (Hrsg.) Ludwigshafener Ethische Rundschau, Nr. 1, 2014, 3. Jhg.
Imhof C, Kressing F (2014): Die ethnische Verlagerung von ethischen Problem- und Konfliktfällen. In: Coors M, Grützmann T, Peters T (Hrsg.) Das Fremde verstehen. Interkulturalität und ethische Konflikte in Medizin und Pflege. Göttingen: Edition Ruprecht, 70-80.
Kressing, F (2013): Starke Ulmer Präsenz in der Lehrforschung: Positionspapier der Arbeitsgruppe "Interkulturalität in der medizinischen Praxis" der Akademie für Ethik in der Medizin - Vorstellung der Global Health Alliance. In: Universität Ulm, Studiendekanat Humanmedizin (Hrsg.) Newsletter Studium und Lehre WS 13/14, Ulm, 10, 11.
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5. Tendenzen des Umgangs mit aussichtslosen Prognosen bei Patienten mit islamischem/ Migrationshintergrund
Wie beim Christentum auch, handelt es sich auch beim Islam um eine sehr heterogene Religion, in deren verschiedenen Richtungen die Vorstellungen von Krankheit, Tod und vor allem einem gottgefälligen Leben sehr unterschiedlich beschaffen sein können. Gerade im Kontext der Bundesrepublik Deutschland ist dabei das Bekenntnis der Aleviten von großer Bedeutung, dem immerhin schätzungsweise ein Viertel der Zuwanderer türkischer und kurdischer Herkunft in unserem Lande angehören. In der Fortbildungsveranstaltung wird dementsprechend auf die verschiedenen Facetten der Weltreligion „Islam“ ebenso hingewiesen wie auf die Migrationssituation in einem fremdreligiösen Umfeld, die mit für die Schwierigkeiten verantwortlich ist, die sich zum Teil mit Patienten moslemischer Herkunft ergeben. Ausgangspunkt der Erörterungen soll das sehr häufig zitierte moslemische Leitmotiv sein: „Wir sind gar nicht Besitzer unseres eigenen Körpers, sondern haben ihn nur von Gott [Allah] ausgeliehen,“ das weitreichende Entscheidungen auf individuelle und kollektive Patientenentscheidungen in medizinethischen Konfliktfällen haben kann.
Vorträge
Fortbildung "Krankheit und Tod im Islam", Kinderklinik Ulm, 02.11.2010
Tendenzen des Umgangs mit aussichtslosen Prognosen bei Patienten mit islamischem und/oder Migrationshintergrund. Kolloquium Benefit invasiver Maßnahmen bei infausten Prognosen, Prof. Porzsolt, Klinische Ökonomie/ Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Ulm, Villa Eberhard, 30.11.2010
Krankheit und Tod im Islam. Komitee für Klinische Ethikberatung (KEK) der Universität Ulm, Villa Eberhardt, 03.03.2011
Tendenzen des Umgangs mit aussichtslosen Prognosen bei Patienten mit islamischem Hintergrund. Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Ulm, Ulm-Michelsberg, 05.02. 2014
Ansprechpartner
Dr. Frank Kressing, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Universität Ulm