Seit April 2019 gibt es in Ulm und Neu/Ulm die Möglichkeit, Busse und Straßenbahnen an Samstagen kostenlos zu nutzen. Eine wissenschaftliche Studie der Universität Ulm hat nun untersucht, wie sich dieses Angebot auf die Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in der Doppelstadt auswirkt. Die Ergebnisse der Fahrgastbefragung, an der mehr als 4200 Fahrgäste teilnahmen, wurden am 3. März bei einer Pressekonferenz im Rathaus vorgestellt. Projektpartner sind die Stadt Ulm und die Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm (SWU).
„Der kostenlos angebotene Nahverkehr an Samstagen führt in Ulm und Neu-Ulm zu einer verstärkten ÖPNV-Nutzung. Besonders nachgefragt wird das Gratis-Angebot insbesondere von Menschen, die ansonsten nur gelegentlich oder eher selten mit Bussen oder Straßenbahnen unterwegs sind“, fasst Andreas Rebholz die ersten Studienergebnisse zusammen. Der Doktorand am Institut für Nachhaltige Unternehmensführung der Universität Ulm koordiniert diese wissenschaftliche Arbeit. Überraschender Weise kamen die Fahrgastzuwächse nicht – wie andere Studien hätten vermuten lassen – vorrangig durch so genannte „Kannibalisierungseffekte“ zustande. Das ist der Fall, wenn vor allem Fußgänger und Radfahrer auf Busse und Straßenbahnen umsteigen – also Verkehrsteilnehmer, die im Hinblick auf Lärm, Abgase und Energiebilanz sowieso als unproblematisch gelten. „Stattdessen zeigte sich, dass tatsächlich mehr als die Hälfte der Nahverkehrsnutzer, die sich aufgrund des kostenlosen Angebots für eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln im Stadtgebiet Ulm / Neu-Ulm entschieden haben, dafür ihr Auto zuhause stehen ließen“, erklärt Rebholz.
Im Detail sehen die Zahlen so aus: 40,3 Prozent der Befragten geben an, dass sie die Fahrt mit Bus oder Straßenbahn ohne das Kostenlos-Angebot an Samstagen nicht angetreten hätten. Mehr als die Hälfte, genauer gesagt 53,8 Prozent, aus dieser Gruppe hätte alternativ das Auto genutzt, 16,3 Prozent wären ansonsten mit dem Rad gefahren und 13,6 Prozent zu Fuß gegangen. Was die Häufigkeit der Nahverkehrsnutzung angeht, sagen 52,3 Prozent der Studienteilnehmer, dass sie seit der Einführung des Angebots den Nahverkehr an Samstagen häufiger nutzen. 38,2 Prozent glauben, dass sich ihr Nutzungsverhalten an Samstagen nicht verändert hat.
Samstags-Effekte wirken sich kaum auf Berufsverkehr aus
Wie zu erwarten zeigten die Ergebnisse allerdings auch, dass mit Spill-Over-Effekten nicht zu rechnen ist. Das heißt: die positiven Samstags-Effekte haben so gut wie keine Auswirkung auf das Nutzerverhalten an Werktagen mit starkem Berufsverkehr. So geben 61 Prozent aller Befragten an, dass sich ihr ÖPNV-Nutzungsverhalten an Werktagen nicht verändert hat, und nur 11,5 % äußern die Absicht, von Montag bis Freitag häufiger mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. „Der Samstag unterscheidet sich grundlegend von anderen Wochentagen. Viele Menschen sind unterwegs um einzukaufen oder etwas zu erledigen. Außerdem gibt es mehr Ausflugs- und Freizeitverkehr als unter der Woche“, so Rebholz. Torsten Fisch, kommissarischer Leiter der Abteilung Mobilität unterstreicht: "Aus Sicht der Stadt Ulm wurde das Ziel, die Erreichbarkeit der Innenstadt zu fördern, voll erreicht. Die Fahrgastentwicklung zeigt, dass die Maßnahmen zum Ausbau des ÖPNV-Angebotes auch an Samstagen wirken. Jetzt gilt es dran zu bleiben und den ÖPNV auch werktags als gute Alternative zum eigenen PKW im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger zu verankern.“
Für die Ulmer Studie wurden an allen Samstagen im September und Oktober 2019 mehrere Tausend Menschen im Stadtgebiet von Ulm und Neu-Ulm befragt. Beide Monate gelten in der Mobilitätsforschung als repräsentativ im Hinblick auf die „durchschnittliche“ Verkehrsnachfrage. Durchgeführt wurden On-Board-Befragungen mit einem Kurzfragebogen in den Straßenbahnen und Bussen der Linien 1,2,4 und 5. Mit 4290 ausgefüllten Fragebögen kam bei der Fahrgastbefragung eine stattliche Stichprobengröße zustande, die statistisch belastbare Aussagen erlaubt. Die detaillierten Ergebnisse aus diesem Begleitforschungsprojekt sollen im Laufe des Jahres auch wissenschaftlich verwertet und veröffentlicht werden.
Trotz der positiven Studienergebnisse, was die Nahverkehrsnutzung an Samstagen angeht, bezweifeln die Ulmer Wirtschaftswissenschaftler, dass unentgeltliche ÖPNV-Angebote ausreichen, um für eine dauerhafte Verkehrsverlagerung zu sorgen. „Um Autofahrer zum Umstieg auf Bus und Bahn zu bewegen, bedarf es einer ganzen Reihe an zusätzlichen Maßnahmen. Dazu gehört auf jeden Fall der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und eine Verbesserung der Angebote“, sagt Professor Martin Müller. Der Wirtschaftswissenschaftler leitet das Institut für Nachhaltige Unternehmensführung an der Universität Ulm und ist in zahlreichen regionalen Nachhaltigkeitsinitiativen engagiert.
Text und Medienkontakt: Andrea Weber-Tuckermann