Trotz der Mächtigkeit heutiger Prozess-Management-Systeme (PrMS) gibt es in Unternehmen zahlreiche Prozesse, die technologisch noch nicht adäquat unterstützt werden. Existierende PrMS basieren auf einem aktivitätsorientierten Paradigma, bei dem Prozesse anhand von Aktivitäten modelliert werden, die dann mit bestehenden Anwendungen zu verknüpfen sind. Die Verwaltung der Anwendungsdaten dagegen erfolgt außerhalb des PrMS in den integrierten Anwendungen.
Diese strikte Trennung von Prozessen und Daten hat sich für viele prozessorientierte Anwendungen als zu inflexibel und eingeschränkt erwiesen. Insbesondere fehlt ein Verständnis der inhärenten Zusammenhänge dieser beiden Perspektiven eines Informationssystems. Eine detaillierte Untersuchung der grundlegenden Beziehungen zwischen Prozessen, Daten, Funktionen und Benut-zern hat gezeigt, dass viele Prozesse objektzentriert (engl. object-aware) sind. Objekte besitzen Bearbeitungsprozesse, die wie-derum koordiniert werden müssen und die eine datengetriebene Ausführung erfordern. Letzteres bedeutet, dass der Bearbeitungs-fortschritt zur Laufzeit nicht von den ausgeführten Aktivitäten, sondern von den jeweiligen Attributwerten des Objekts abhängt. Inner-halb eines Geschäftsprozesses müssen zahlreiche solcher objektspezifischen Prozesse koordiniert werden, wobei die unterschiedli-chen Beziehungen der Objekte zueinander zu berücksichtigen sind. Dadurch entsteht zur Laufzeit, analog zur Datenstruktur, eine komplexe Prozessstruktur. Bei der Ausführung von Aktivitäten dagegen können einzelne Objekte oder ganze Objektmengen gleich-zeitig bearbeitet werden. Somit ist eine Aktivität nicht mehr notwendigerweise eindeutig einer bestimmten Prozessinstanz zuzuord-nen und dadurch flexibler ausführbar.
Die mangelnde Kontrolle heutiger PrMS über die Anwendungsdaten hat zwei grundlegende Nachteile. Erstens bietet das aus-schließlich aktivitätsorientierte Paradigma nicht die Mächtigkeit, objektzentrierte Prozesse adäquat zu unterstützen. Zweitens bieten PrMS den Endbenutzern zur Laufzeit lediglich eine prozessorientierte Sicht mittels Arbeitslisten. Eine daten- und funktionsorientierte Sicht dagegen fehlt. Dadurch ist es nicht möglich, Daten unabhängig vom Prozessstatus zu beliebigen Zeitpunkten einzugeben, einzusehen oder zu ändern. Die Folge ist, dass bestehende daten- und funktionsorientierte Anwendungen oftmals durch eine fest kodierte Prozesslogik erweitert werden, was den Anwendungscode unnötig komplex und schwer wartbar macht.
Ein ganzheitlicher Ansatz, der die Zusammenhänge zwischen Prozessen, Daten, Funktionen und Benutzern innerhalb von Informationssystemen berücksichtigt, kann viele Limitationen heutiger PrMS überwinden. Unser Ziel ist es, ein umfassendes Rahmenwerk für eine objektzentrierte Prozessunterstützung zu entwickeln. Dieses basiert auf einem konzeptionellen Modell mit präziser operationaler Semantik. Wir ermöglichen eine datengetriebene Prozesssteuerung ohne jedoch das aktivitätsorientierte Paradigma vollständig aufzugeben. Zur Laufzeit soll dem Benutzer sowohl eine prozess- als auch eine daten- und funktionsorientierte Perspektive zur Verfügung gestellt werden. Hierbei soll nicht nur eine generische Implementierung für die Prozesslogik, sondern auch für die Daten- und Funktionslogik zum Einsatz kommen. Dadurch sind Anwendungskomponenten (z.B. Arbeits- und Übersichtslisten, Formulare) zur Laufzeit automatisch aus den Modellbeschreibungen generierbar.
Objektzentrierte Prozessunterstützung mit PHILharmonicFlows
Ulm University Ulm UniversityDissertationsvorhaben, Vera Künzle, Ort: O27/3211, Zeit: 14:00 Uhr, Datum: 07. Dezember 2011