Die Universität Ulm nimmt mit ihrem vor über 15 Jahren initiierten interdisziplinären Forschungsschwerpunkt Fahrerassistenzsysteme und automatisiertes Fahren national wie international eine Spitzenposition ein. Unter Koordination der Wissenschaftler um Professor Klaus Dietmayer und Dr. Michael Buchholz vom Institut für Mess-, Regel- und Mikrotechnik bewirbt sich die Universität Ulm zusammen mit der Stadt Ulm und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart beim Ministerium für Finanzen und Wirtschaft um die Einrichtung und Förderung des Testfeldes für automatisiertes und vernetztes Fahren in Baden-Württemberg in der Region Ulm.
Ein weiterer enger Partner des Antragskonsortiums ist die Industrie- und Handelskammer Ulm (IHK). Im Erfolgsfall werden die Antragsteller und die IHK Ulm einen fünfjährigen operativen Betrieb des Testfeldes durch Geld-, Sach- und Personalleistungen von jeweils 500 000 Euro sichern. Ferner unterstützen zahlreiche namhafte Unternehmen und Hochschulen der Region und darüber hinaus den Antrag. Neben ihrer Expertise stellen sie im Erfolgsfall nochmals über vier Millionen Euro an Sach- und Personalmitteln für das Vorhaben zur Verfügung. Das Land würde den Aufbau des Testfelds im öffentlichen Straßenraum mit insgesamt 2,5 Millionen Euro unterstützen. Das Gesamtprojekt hätte damit ein Gesamtvolumen von knapp 9 Millionen Euro.
„Durch ihre weit fortgeschrittenen und höchst anerkannten Forschungsarbeiten ist die Universität Ulm dazu prädestiniert, das Testfeld mit Leben zu füllen. Gemeinsam mit den Partnern wollen wir mit dem Testfeld unseren Schwerpunkt weiter ausbauen und zu einer Stärkung von Stadt und Region beitragen“, sagt der Ulmer Universitätspräsident Professor Michael Weber.
Der Ulmer Oberbürgermeister Gunter Czisch bezeichnet die Teststrecke als „großen Gewinn für die Stadt und wichtig für die Weiterentwicklung der Wissenschaftsstadt“. „Die Bewerbung passt außerdem hervorragend in unsere Strategie Digitale Stadt“, sagte Czisch. Die Stadt sei daher sofort bereit gewesen, sich an der Ausschreibung zu beteiligen.
Das Testfeld soll Forschungsprojekten und Unternehmen, vor allem auch kleinen und mittleren Betrieben, die Möglichkeit bieten, neue Technologien für selbststeuernde Fahrzeuge in einer realen Umgebung zu erproben. Dabei steht insbesondere die Kommunikation von Versuchsfahrzeugen verschiedener Automatisierungsgrade untereinander und mit der Infrastruktur im Fokus. Auch Tests der infrastrukturseitigen Systeme, beispielsweise von Mobilfunknetzen und IT-Backendsystemen, sind vorgesehen.
Die Voraussetzungen in Ulm könnten besser nicht sein: Alle Straßenkategorien wie Autobahnen, Landstraßen und innerstädtische Straßen sind auf kompaktem Raum und bei geringer Stauneigung vorhanden. Konkret umfasst das Testfeld neben der Wissenschaftsstadt und dem Zentrum beispielsweise ein Teilstück der A8 von Ulm-West/Ost bis Merklingen sowie die Bundesstraße 10 und die Landstraße 1079 (ehemalige B19). Auf diesen Abschnitten können komplexe Manöver erprobt werden. Besondere Herausforderungen für die selbststeuernden Fahrzeuge sind beispielsweise der mehrspurige Ringverkehr am Blaubeurer Tor sowie die Neue Straße am Rathaus, die sich Fußgänger und Autos teilen müssen. Und selbst Baustellen – allen voran die Trasse der künftigen Straßenbahnlinie 2 – sind willkommene „Hindernisse“ bei künftigen Erprobungsfahrten. In das Testfeld eingebunden sind zudem Tunnel, Ampeln, Auf- und Abfahrten sowie beispielsweise Parkhäuser.
„Wir haben in Ulm eine einmalige Konstellation eines engmaschig verzahnten Netzes aus Straßen aller Kategorien gepaart mit schon vorhandener Infrastruktur, in denen sich jetzige und zukünftige Herausforderungen des automatisierten Fahrens und der Vernetzung perfekt abbilden und testen lassen,“ sagt Professor Dietmayer, Leiter des Instituts für Mess-, Regel- und Mikrotechnik. Eine weitere Stärke des Antrags sei das hervorragende Netzwerk der Partner und unterstützender kommunaler Einrichtungen, Unternehmen und Hochschulen, die einen Aufbau und Betrieb des Testfeldes auf internationalem Niveau erlauben. Dies werde natürlich auch den Forschungsschwerpunkt in Ulm weiter stärken.
Gebündeltes Know-how für das Testfeld
Die Stadt Ulm unterstützt die Einbindung der Testregion in die vorhandene Infrastruktur. So werden unter anderem 49 Ampeln in Ulm mit Funkmodulen zur Übertragung des aktuellen Signalstatus ausgerüstet. Darüber hinaus wird das Parkhaus „Deutschhaus“ entsprechend mit Funkmodulen ertüchtigt. Die aktuellen Parkhausbelegungen sowie Daten des öffentlichen Nahverkehrs in Ulm sollen so haltestellengenau im Testfeld vorliegen.
Die Universität Ulm und das DLR bringen insbesondere ihr technisches Know-how in den Aufbau und Betrieb des Testfeldes ein. Ein wichtiger Forschungsbereich der Ulmer Ingenieure ist seit jeher der innerstädtische Bereich, in dem sich Fußgänger und weitere Verkehrsteilnehmer auf engstem Raum bewegen. Seit einiger Zeit rollen zwei selbststeuernde, mit seriennaher Sensorik ausgestattete Versuchsfahrzeuge mit einer Ausnahmegenehmigung über eine kürzere Teststrecke auf dem Eselsberg. Grundlagen des automatisierten Fahrens erarbeiten Ulmer Ingenieure, Informatiker und Psychologen im interdisziplinären Forschungszentrum für kooperative, hochautomatisierte Fahrerassistenzsysteme und Fahrfunktionen (F3). Seit Januar sind die Wissenschaftler um Professor Dietmayer zudem Teil des Tech Center a-drive, in dem die Universität Ulm, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sowie das Forschungszentrum Informatik (FZI) ihre Kompetenzen zum führerlosen Fahren bündeln. Die Daimler AG und das Land Baden-Württemberg fördern den Zusammenschluss mit insgesamt 7,5 Millionen Euro.
Das DLR unterstützt das Vorhaben für das Testfeld Ulm und bringt als Mitantragssteller seine Erfahrungen aus der Anwendungsplattform Intelligente Mobilität (AIM) ein sowie die komplette Serverstruktur und das Datenschutzkonzept. AIM in Braunschweig ist eine deutschlandweit einzigartige Großforschungsanlage, die das komplette Spektrum der Verkehrsforschung von der Simulation bis zur Anwendung im öffentlichen Raum abbilden kann. „Das Testfeld Ulm kann so auf den bereits vorliegenden Erfahrungen, Spezifikationen, einzelnen technischen Komponenten und der IT-Infrastruktur des Testfeldes AIM aufbauen. Hierdurch wird eine zügige, wirtschaftliche und vor allem risikoarme Umsetzung des Testfeldaufbaus in Ulm ermöglicht“, sagt Professor Frank Köster vom Institut für Verkehrssystemtechnik am DLR. Im Falle einer Förderung ist zudem geplant, weiteres Personal am Stuttgarter Standort des DLR aufzubauen.
Darüber hinaus würde Nokia als weiterer Unterstützer das Forschungsmobilfunknetz in Ulm ausbauen und dem Testfeld zur Verfügung stellen. Dadurch können – unabhängig vom laufenden Betrieb der kommerziellen Mobilfunknetze der Partner Vodafone und Deutsche Telekom – neueste, zukünftige Mobilfunkstandards wie 5G für die Aufgabenstellungen frühzeitig erprobt werden. Daimler TSS, maßgeblich beim Aufbau von car2go beteiligt, steuert IT-Anbindungen bei und die Firma 3D Mapping Solutions, Spezialist für hochgenaue, digitale Karten, führt im Erfolgsfall die notwendigen Vermessungen durch. Dank des Forschungsinstituts für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart (FKFS), das den Ulmer Antrag ebenfalls unterstützt, dürfen die Forscher zudem einen der leistungsfähigsten dynamischen Fahrsimulatoren in Europa nutzen. So können die Strecken in 3D für simulationsgestützte Tests abgebildet werden. Viele weitere Unternehmen leisten ebenfalls signifikante Eigenbeiträge zum Aufbau und Betrieb des Testfeldes.
Die Testregion soll bei rechtzeitiger Förderentscheidung bereits im Mai 2017 in Betrieb genommen werden und jedem interessierten Nutzer offen stehen. Neben automatisierten Fahrzeugen können beispielsweise auch Serviceroboter für die Müllentleerung oder Paketlieferung erprobt werden. Aber auch die Kommunikationsinfrastruktur selbst und die Erprobung neuer Geschäftsmodelle unter Nutzung der Testfelddaten sind mögliche Szenarien. Streckennutzer hätten neben der aktuellsten Technik durch ein entsprechendes Regelwerk auch rechtliche Sicherheit. Erprobungsfahrten würden so auch für kleinere und mittlere Unternehmen attraktiv. „Wir wissen heute schon von vielversprechenden Ansätzen für vernetztes und autonomes Fahren aus den Bereichen Nutzfahrzeuge und Logistik - auch aus unserer Region. Die Entwicklung der Systeme ist das eine, der reale Test aber verhilft den Ideen zum Erfolg. Damit wird das Testfeld zum wichtigen Standortfaktor für unserer Region,“ so Otto Sälzle, Hauptgeschäftsführer der IHK Ulm.
Gegenüber den Mitbewerbern haben die Ulmer ein weiteres Ass im Ärmel: Im Vergleich zu tiefer gelegenen, wärmeren Regionen in Baden-Württemberg sind Tests in der Donaustadt bei allen Wetterverhältnissen möglich. Derzeit stellen vor allem Schnee und Eis, aber auch dichter Nebel, noch ein Problem für automatisierte Fahrzeuge dar.
Zusammengefasst bieten Universität und Stadt Ulm, das DLR und ihre Unterstützer technische Expertise und ein exzellentes Umfeld in der Wissenschaftsstadt.
Die Forscher betonen, dass das Testfeld den Stadtverkehr nicht beeinträchtigen wird. Insgesamt wären nur sehr wenige Fahrzeuge unterwegs, Eingriffe in den Verkehrsraum seien nicht nötig. Ein Sicherheitsfahrer wird zudem weiterhin stets an Bord der selbststeuernden Fahrzeuge sein.
Text und Medienkontakt: Annika Bingmann