Noch hat das Elektroauto nicht seine endgültige Form für den Verkehrsalltag gefunden. Durch die Vielfalt der möglichen Antriebssystemlösungen benötigen Forschungsinstitute einen großen Satz an kostenintensiven Entwicklungswerkzeugen. Um hier Synergien zu nutzen und bestehende Infrastruktur zu vernetzen, starten fünf Partner gefördert vom Land Baden-Württemberg nun ein Labornetzwerk. Darin wird es auch möglich sein, räumlich getrennte Bauteile für Untersuchungen in Echtzeit zu koppeln.
„Mit diesem strukturierten Schulterschluss wird die Wettbewerbsfähigkeit baden-württembergischer Forschungseinrichtungen weiter verbessert“, unterstreicht Theresia Bauer, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. „Das Labornetzwerk wird innovative Forschungsprojekte anstoßen und wertvolle Grundlagen für die Elektromobilität legen.“
„Lösungen für die gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft entstehen nicht im stillen Kämmerlein einzelner Einrichtungen“, ist sich Prof. Thomas Hirth sicher, Vizepräsident für Innovation und Internationales des KIT. „Durch das Labornetzwerk wird der Forschungs- und Innovationsstandort Baden-Württemberg gestärkt und es werden Anknüpfungspunkte für innovative Partner geschaffen.“
„Durch die Vernetzung wird ein signifikanter Mehrwert für die gesamte Forschungslandschaft in Baden-Württemberg geschaffen“, freut sich Prof. Albert Albers vom KIT, Sprecher des Labornetzwerks XiL-BW-e. „Mit dem Labornetzwerk entsteht ein innovativer Entwicklungs- und Validierungsprozess für Elektroantriebe in Fahrzeugen.“
Im derzeitigen Wandel hin zur Elektromobilität lassen sich heutige Standards für konventionelle Antriebe nicht vollständig auf elektrische Antriebe übertragen oder adaptieren. Zur Umsetzung heutiger Lösungen für elektrische Antriebe liegen nur lose vernetzte Entwicklungswerkzeuge vor. Das Labornetzwerk XiL-BW-e (Frameworkbasiertes XiL-Labornetzwerk BW für Elektromobilität) wird die landesweite Infrastruktur für die Forschung an Elektromobilität vernetzen, wodurch innovative Fragestellungen bearbeitet werden können. Im Mittelpunkt steht das interaktive und dynamische Zusammenwirken von räumlich getrennten Prüfständen. Wo notwendig werden Forschungsinfrastrukturen ertüchtigt und ergänzt. Gemeinsame Schnittstellen, Routinen und Standardprozeduren werden erarbeitet.
Das Netzwerk wird vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert. Das Gesamt-Budget beträgt 10,3 Millionen Euro. Die Partner innerhalb von XiL-BW-e sind das KIT, die Universitäten Stuttgart und Ulm sowie die Hochschulen Aalen und Esslingen. Ziel ist mittelfristig die Öffnung des Prüfstandverbunds mit einem entsprechenden Zugangs- und Nutzungskonzept, um die bedarfsorientierte Partizipation aller einschlägigen Einrichtungen zu ermöglichen.
XiL: X-in-the-loop-Ansatz
Das komplexe Zusammenwirken von mechanischen, elektrischen und informationstechnischen Komponenten in modernen Fahrzeugen erfordert systematische und hoch integrative Entwicklungsprozesse und Entwicklungsumgebungen. Möglichst früh im Produktentstehungsprozess muss man in der Lage sein, einzelne Komponenten trotz fehlender Gesamtsystemprototypen in einer systemnahen Umgebung untersuchen zu können.
Dazu wurde unter anderem am KIT der X-in-the-loop-Ansatz (XiL) entwickelt. Die Validierung beispielsweise eines physisch vorhandenen Getriebesystems im Gesamtsystemzusammenhang wird hierbei durch die simulationsgestützte Kopplung erreicht. Nicht vorhandene Komponenten und Eigenschaften, wie des Motorverhaltens, der Fahrzeuglängsdynamik oder des Reifens, werden per hochdynamischer Aktuatoren mit spezifischen Modellen und Simulationen abgebildet. Durch diesen bei Bedarf Simulations- und Aktuator-gestützten Ansatz können sehr flexibel Parameter des Restsystems variiert und die Auswirkungen effizient analysiert werden oder Daten und Parameter von räumlich getrennten Prüfständen ausgetauscht werden.
Text: Kosta Schinarakis, KIT
Details zum KIT-Zentrum Mobilitätssysteme
Batterieteststand und Simulator an der Uni Ulm
Gebündelte Infrastruktur für Elektrofahrzeuge der Zukunft
Die Batterie als Herzstück der Elektromobilität stellt im Labornetzwerk XiL-BW-e den Schwerpunkt an der Universität Ulm dar. Von ihr hängen Fahrzeugkosten und die mögliche Reichweite entscheidend ab. Am Institut für Mess-, Regel- und Mikrotechnik (MRM) wird im Projekt eine Einheit aus Simulator und Messsystem für Batteriezellen aufgebaut, die die schnelle Evaluation neu entwickelter Batteriezellen und Algorithmen für das Batteriemanagement unter realistischen Bedingungen ermöglicht. Dazu wird das Batterietestsystem über einen Echtzeitrechner mit dem XiL-Labornetzwerk gekoppelt, wodurch ein Betrieb und eine Alterung der Batteriezellen mit realen Belastungszyklen von Antriebsstrang-, Fahrzeug- oder Ladeprüfstanden ermöglicht werden. So entsteht eine flexible Simulator-Messeinheit für Nutzfahrzeuge und PKW. Am MRM (Leitung: Prof. Klaus Dietmayer) soll das System vor allem für den Ausbau der Arbeiten zu fahrzeugtauglichen Algorithmen zur Batterieüberwachung genutzt werden. „Dieses System erlaubt uns, die Tauglichkeit neuer Batteriezellen für den Fahrzeugeinsatz unter realistischen Bedingungen bereits in früheren Entwicklungsstadien als bisher zu testen und parallel dazu die notwendigen echtzeitfähigen Verfahren für die Regelung und Diagnose für den Fahrzeugeinsatz zu entwickeln.“, so Dr.-Ing. Michael Buchholz vom MRM.
Parallel dazu spielt auch die elektrochemische Analyse der unter realistischen Bedingungen gealterten Zellen eine wichtige Rolle. Bisher wird die Leistungsfähigkeit von Batterien oft lediglich über Größen wie Strom, Spannung und Temperatur definiert. Doch eigentlich müssen diese Werte mit der atomaren Ebene in Beziehung gesetzt werden, was Batterieanalytik auf verschiedenen Längenskalen voraussetzt. Solche vernetzten Untersuchungen sollen an der Universität Ulm und der Hochschule Aalen durch die im Rahmen des Projekts aufgebaute Infrastruktur ermöglichen, die beispielsweise auch den Partnern am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zugutekommen. Neben den starken Ulmer Instituten für Elektrochemie unter der Leitung von Prof. Timo Jacob sowie Elektrochemische Speicherung und -Wandlung profitiert das Netzwerk vom Umfeld der Uni Ulm mit dem Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung (ZSW) sowie dem Helmholtz Institut Ulm für elektrochemische Energiespeicherung (HIU).
Der Förderanteil der Universität Ulm beträgt rund 3,2 Millionen Euro. Davon fließen 2,4 Millionen ans Institut für Elektrochemie und 800 000 Euro ans MRM.
Text und Medienkontakt: Annika Bingmann