Die „Herdenimmunität“ gilt als einzige Möglichkeit, die Coronavirus-Pandemie nachhaltig abzuschwächen oder sogar zu beenden. Dennoch ist die Bereitschaft, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen, sehr unterschiedlich ausgeprägt. Ob die Herdenimmunität erreicht wird, hängt allerdings entscheidend von der Impfbereitschaft ab. Mit einem neu entwickelten Fragebogen erfassen Psychologinnen und Psychologen der Universitäten Ulm, Kopenhagen und Erfurt sieben Komponenten der individuellen Impfbereitschaft. Ihre 7-Komponenten-Skala (7C) wurde bereits in mehreren großen Studien validiert. Ergebnisse sollen beispielsweise Gesundheitsbehörden helfen, Informationsangebote gezielter auszurichten und auch Impfskeptiker anzusprechen. Der Fachbeitrag ist im European Journal of Psychological Assessment erschienen.
Die Impfbereitschaft ist in der Bevölkerung ungleich verteilt: Während sich viele Bürgerinnen und Bürger möglichst schnell gegen COVID-19 immunisieren lassen wollen, lehnen andere Impfungen vollständig oder teilweise ab. Skeptische Personen befürchten etwa, durch die Vakzine unfruchtbar zu werden oder einen Mikrochip implantiert zu bekommen. Um in Deutschland Herdenimmunität zu erreichen, die oft mit einer Durchimpfungsrate von wenigstens 80 Prozent beziffert wird, sollten also gezielte Informationsangebote gemacht, offene Fragen beantwortet und Zweifel möglichst ausgeräumt werden.
Pandemie stellt Forschende vor neue Herausforderungen
Bisher haben Forschende einen auf fünf Komponenten basierenden Fragebogen (5C-Skala) eingesetzt, um die Impfbereitschaft zu erheben. Bei diesen Komponenten handelt es sich um „Vertrauen, Gleichgültigkeit, Barrieren, Abwägung sowie kollektive Verantwortung“. Mit dem Instrument ließen sich die Einstellungen zur Grippe- oder Pneumokokken-Impfung sowie die generelle Impfbereitschaft zuverlässig erfassen. Doch die mit der Coronavirus-Pandemie einhergehenden Grundrechtseinschränkungen und Verschwörungsmythen stellen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor neue Herausforderungen. „Vor diesem Hintergrund musste der 5C-Fragebogen erweitert und überarbeitet werden. Künftig sollte zusätzlich untersucht werden, inwiefern der Glaube an Corona-Verschwörungstheorien mit der Impfbereitschaft zusammenhängt“, erläutert Erstautor Mattis Geiger, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Differentielle Psychologie und Psychologische Diagnostik der Universität Ulm.
Ein weiterer neuer Baustein der Impfbereitschaft ist die Übereinstimmung mit der nationalen COVID-Politik („Regelkonformität“), die zahlreiche Restriktionen aber auch Lockerungen von Grundrechtseinschränkungen für vollständig Geimpfte vorsieht. Solche Maßnahmen können von einigen Gruppen als „Impfpflicht durch die Hintertür“ interpretiert werden und zur Ablehnung der Immunisierung führen.
Neue Komponenten: Verschwörungsglauben und Regelkonformität
Von diesen Überlegungen ausgehend, haben die Forschenden die bisher eingesetzte 5C-Skala um zwei Komponenten erweitert. Die sieben Komponenten umfassen nun „Vertrauen, Gleichgültigkeit, Barrieren, Abwägung, kollektive Verantwortung, Regelkonformität und Verschwörungsglauben“, die als Maß für die allgemeine Impfbereitschaft zusammengefasst werden können.
Der 7C-Fragebogen wurde in mehreren Querschnittstudien mit einigen tausend Personen geprüft und validiert. Im direkten Vergleich zeigte das erweiterte Instrument eine höhere Vorhersagekraft der Impf-Intention während der Coronavirus-Pandemie als die bis dato verwendete 5-Komponenten-Skala. Somit lassen sich künftig Informationsmaterialien gezielt auf spezifische Gruppen zuschneiden. Eine vorherige Studie hat gezeigt: Bei „Gleichgültigkeit“ gegenüber dem Impfen können zum Beispiel Hinweise auf Krankheitsrisiken oder auf den sozialen Nutzen der Immunisierung informierte Entscheidungen fördern.
Insgesamt umfasst die 7C-Skala 21 Fragen und Aussagen, die den sieben Komponenten zugeordnet sind. Alle Fragen werden auf einer mehrstufigen Skala beantwortet („Stimme überhaupt nicht zu“ bis „Stimme voll und ganz zu“). Aussagen wie „Die Gesundheitsbehörden beugen sich blind der Macht und dem Einfluss der Pharmakonzerne“ gehören beispielsweise zum Komplex „Verschwörungsglauben“.
Das Autorenteam hat den 7C-Fragebogen in mehrere Sprachen übertragen und auch eine Kurzfassung erstellt. „Die 7C Skala ist ein effizientes und psychometrisch geprüftes Instrument, um verschiedene Komponenten der Impfbereitschaft zu messen und entsprechende Interventionen wie gezielte Informationskampagnen abzuleiten“, resümiert Professor Oliver Wilhelm, Leiter der Ulmer Abteilung für Differentielle Psychologie und Psychologische Diagnostik.
Version zu Kinder-Impfungen in Arbeit
Die Kurzversion der 7C-Skala wird seit Anfang des Jahres zweiwöchentlich im dänischen COSMO-Panel (COVID-19 Snapshot Monitoring) eingesetzt, was Verlaufsbeobachtungen der Impfbereitschaft während der COVID-Krise erlaubt. Derzeit validieren die Forschenden eine auf Kinder-Impfungen zugeschnittene Fassung des Fragebogens, die von Eltern beantwortet werden soll. Diese Version wird demnächst in Deutschland und Dänemark für die Verlaufsbeobachtung der Kinder-Impfbereitschaft während der Pandemie verwendet.
Interessierte können den 7C-Fragebogen ausfüllen und automatisiertes Feedback erhalten:
Der Fragebogen steht auf Deutsch, Englisch und in anderen Sprachen zur Verfügung
Mattis Geiger, Franziska Rees, Lau Lilleholt, Ana P. Santana, Ingo Zettler, Oliver Wilhelm, Cornelia Betsch, and Robert Böhm: Measuring the 7Cs of Vaccination Readiness. European Journal of Psychological Assessment (2021) https://doi.org/10.1027/1015-5759/a000663
Text und Medienkontakt: Annika Bingmann