Das Kandinsky-Projekt
Eine synästhetische Farblicht-Installation
von Christine Söffing
Kandinsky sei Synästhetiker, heißt es, weil er in seinem 1912 verfasstem Buch „Über das Geistige in der Kunst“ seine persönliche Farb-Klang-Zuordnung beschrieben hat. (Kandinsky: Über das Geistige in der Kunst. 10. Auflage. Bern 1952. Seite 91 – 103).
Obwohl Kandinsky an keiner Stelle ausdrücklich schreibt, dass er selbst die Farben zu den Klängen sieht oder die Klänge zu den Farben hört, so sagt er (a.a.O. s. 63): „Endlich ist das Hören der Farben so präzis, dass man vielleicht keinen Menschen findet, welcher den Eindruck von Grellgelb auf den Basstasten des Klaviers wiederzugeben suchen oder Krapplack dunkel als eine Sopranstimme bezeichnen würde.“
Kandinsky erklärt, ohne den Begriff Synästhesie zu benutzen, synästhetische Wahrnehmung über die Schwingungen der Seele und nennt einen Dresdener Arzt, dessen Patient „eine bestimmte Sauce immer und unfehlbar >blau< schmeckte“ (a.a.O.S.62).
So schreibt er: „Man könnte vielleicht [..] annehmen, dass gerade bei hochentwickelten Menschen die Wege zur Seele so direkt und die Eindrücke derselben so schnell zu erreichen sind, dass eine Wirkung, die durch den Geschmack geht, sofort zur Seele gelangt und die entsprechenden Wege aus der Seele zu anderen materiellen Organen mitklingen lässt (in unserem Fall – Auge). Es wäre eine Art Echo oder Widerschall, wie man es bei Musikinstrumenten hat, wenn sie, ohne selbst berührt zu werden, mit einem anderen Instrument mitklingen, welches direkt berührt wurde.“ (a.a.O. S. 62)
Ist es möglich, die Bilder Kandinskys hörbar zu machen?
War die Frage an uns, die EMU Ulm.
Welches Bild also sollten wir auswählen?
Es sollte nicht zu viele Elemente und so gut wie keine erkennbaren gegenständlichen Formen enthalten. Wir wählten daher das Ölgemälde „Gelb – Rot – Blau“ von 1925, Kandinskys Bauhauszeit.
Nach Kandinskys synästhetischer Farbe-Ton-Zuordnung wäre in dem Bild „Gelb – Rot – Blau“: gelb – die Trompete, rot– das Cello, blau – auch das Cello.
Doch es warfen sich augenblicklich Fragen auf: Wie könnten wir komponieren, wenn niemand von uns synästhetisch korrekt Kandinskys Zuordnungen in den Nuancen überprüfen könnte? Müsste der Ton scharf angeblasen sein oder sanft? Welche Cellotöne wären blau und welche rot?
Ich selbst, die Autorin dieses Artikels, bin auch Synästhetikern. Wenn ich Klänge, Stimmen oder Geräusche höre, sehe ich diese für die Dauer des Klangerlebnisses als farbige dreidimensionale Form vor mir. Die Klänge haben sogar eine Materialbeschaffenheit. Sie sind z.B. flauschig oder hart und kantig.
Somit war es entschieden einfacher, meine eigenen synästhetischen Klang-Zuordnungen zu den Farben dieses Bildes von Kandinsky zu wählen, weil ich in jedem Moment des Hörens sehen konnte, ob die Farbe des Klanges noch stimmte oder ob sich jemand farblich verspielte.
So besetzten wir die Farben nach meiner synästhetischen Zuordnung mit folgenden Instrumenten: Gelb – Chimes, Rot – Bassrohr, Blau – Klavier.
Sollten wir nun alle Farben im Bild mit Instrumenten besetzen? Und wie lange sollten wir wann genau welche Farbe spielen?
Wir beschlossen, Kandinskys Bild in einen Film umzusetzen, um einen zeitlichen Verlauf zu erhalten.
Dazu zerlegte ich das Gemälde zuerst einmal kompositorisch: Welche Farben treten an welcher Stelle auf? Welche Formen sind wo zu sehen? Ein gelbes Rechteck, ein rotes Kreuz und ein blauer Kreis – das sind die Hauptfiguren. Das Bild hat zwei Hälften, die linke gelbe helle und die rechte rot-lila-blaue. Die Hälften wirken gleichschwer. Warum? Welche Kompositionsachsen bestimmen das Bild? Z.B. verlaufen die drei Kreise der Gelb-Hälfte parallel zu der Linie auf der rechten Bildhälfte:
Wie sollte nun der Film entstehen? Ich beschloss, die wichtigsten Formen von Kandinskys Bild zu übernehmen sowie die wichtigsten Kompositionsachsen.
Der Film entstand im Computerprogramm „Flash“.
Er beginnt mit der Einblendung einer langsam gelb werdenden Bildfläche. Klang: Chimes – leise im Hintergrund.
Um die Farben wie auf einer Bühne vorzustellen, treten sie nacheinander - in europäischer Leserichtung von links nach rechts - langsam und in Ruhe in Erscheinung.
Die farbigen Formen suchen sich ihren Platz im Bild, sie ringen um den Platz, sie kooperieren miteinander, sie versuchen sich auszubreiten, sie agieren.
Doch wie lange sollte nun jede Farbe auf der Bildbühne auftreten?
Die ersten musikalischen Proben
Wie klingt es, wenn sich das gelbe Rechteck langsam vergrößert? Wann tritt das Rot ins Bild? Wie ändert der Klang seinen Klangraum? Wie lange erklingt welche Farbe?
Wir spielten, ich änderte den Film, wir spielten wieder, ich passte den Zeitverlauf des Filmes wieder an den Klang an. So entstand in Wechselwirkung von Spiel und Bild der Film, der uns Spielern die zeitliche Partitur lieferte.
Die Farben des Hintergrundes von „Gelb - Rot - Blau“
Musik erklingt im Raum und in der Zeit. Klänge kommen und gehen.
Ich nehme jeden Klang synästhetisch als eine Form im Raum wahr. Je nachdem wie der Klang tönt, angeschlagen, gespielt wird ändert sich auch für mich die Farbe des Raumhintergrundes. Diese subjektive Musikwahrnehmung war ausschlaggebend für die Hintergrundgestaltung des Filmes.
Ich beschloss alle Hintergundfarben aus dem Gemälde Kandinskys jeweils einzeln als Farbhintergrund im Bild erscheinen zu lassen.
So würde – didaktisch gesehen – der Zuschauer wissen, welche Farbe gerade gespielt wird. Kandinskys Hintergrundfarben ordnete ich dabei nach meiner Synästhesie zu den jeweils auftretenden Vordergrundfarben.
Das Bild Kandinskys stellt damit für mich alle Zeiten des musikalischen Klangverlaufes gleichzeitig dar. Im Film zeige ich die Zeiten nacheinander.
Die endgültige Besetzung der Farben
Gelb – Chimes - live gespielt von Klaus Schmidtke
Rot – Bassrohr - ein von Dieter Trüstedt entwickeltes Instrument - live gespielt von Axel Baune
Blau – Klavier - live gespielt von Tobias Hornberger
Die Hintergrundfarben:
Hellgelb – Chimes - der Klang wurde aufgenommen von Axel Baune - Dieter Trüstedt programmierte in pd ein Instrument - gespielt am Laptop von Christine Söffing
Rosa, hellorange, Haut – Chin mit Glasstab - ein von Dieter Trüstedt entwickeltes Instrument – live gespielt von Dieter Trüstedt
Hellblau, leichtgrün, lila, flieder – Chin mit dem Bogen gestrichen -live gespielt von Dieter Trüstedt
Weiß – das Schweigen – ohne Klang
Schwarze Linien – begrenztes Dunkel – Chin gezupft – live gespielt von Dieter Trüstedt
Die Vertonung des Filmes
Um die Klänge exakt im Film auf die jeweiligen Farbflächen setzen zu können, haben wir jedes Instrument, also jede Farbe für jede Stelle ihres Einsatzes separat aufgenommen.
Aufnahmen und Technik: Klaus Schmidtke.
Dieter Trüstedt und Christine Söffing bearbeiteten dann im Tonschnittprogramm die einzelnen Aufnahmen und setzten die Klänge Farbe um Farbe in jeweils eine Filmspur ein.
Der Film ist so gestaltet, dass er in Ruhe einzelne Klänge auftreten lässt: Das Kandinsky-Projekt, Filmdauer: 6,13 Minuten
Christine Söffing, Neu-Ulm im Juli 2009